Erschöpft streckte Samaya ihre Glieder von sich und blickte hinauf in den Himmel. Es war Mittwochmittag - 12:04 Uhr wenn man es genau nahm. Die Sonne schien ohne, dass jegliche Wolken sie daran hinderten und brachte die Luft förmlich zum Glühen. Erschreckend große Menschenscharen füllten die Stadt. Ungeduldig zwängten sie sich aneinander vorbei und bahnten sich ihren Weg durch die Massen – wenn es sein musste auch mit ihren Ellenbogen.
„Wer ist als nächstes dran?", erkundigte Samaya sich, während sie ihren Blick vom Himmel auf Pica richtete der bisher schweigend neben ihr hergelaufen war. Den mürrischen Ausdruck in seinem Gesicht ignorierte sie bewusst.
Ein erfrischender Windhauch durchwirbelte die Luft und ließ die seidigen, schwarzen Haare ihres Begleiters wild in alle Himmelsrichtungen wirbeln. Vielleicht hätte sie gelacht, wenn Picas Haare nicht ohnehin immer wüst von seinem Kopf abgestanden hätten.
„Der dort drüben", antwortete er, nachdem seine Augen eine Zeit lang die Menge abgesucht hatten.
„Todesursache?", fragte Samaya weiter, während sie dem Mann zu folgen begannen.
„Ein LKW überfährt ihn", sagte er knapp ohne den Blick von ihrer Zielperson zu nehmen.
Pica schätzte den Mann, der mit einem anderen Hand in Hand gerade die Shopping-Straße verlassen und zurück zum Parkhaus gehen wollte, auf Mitte dreißig. Meistens waren ihre Opfer ältere Menschen oder schwer Kranke. Andererseits hatte Pica die Kriterien, nach denen die Götter die Todesopfer aussuchten noch nie verstanden.
Die beiden Männer ließen den letzten Laden hinter sich und hielten geradewegs auf die vierspurige Straße zu, die zu dieser Uhrzeit so dicht befahren war, dass nur eine Ampel den Fußgängern den Übergang ermöglichen konnte. Angeregt unterhielten die beiden sich, ihrer Umgebung keine Beachtung schenkend, während sie die Blicke nicht voneinander nehmen konnten.
„Alles klar", murmelte Samaya und erreichte das Paar schließlich, als es an der Fußgänger Ampel zum Stehen kam.
„Warte einen Moment, ich habe eine Überraschung für dich", verkündete der größere der beiden feierlich, bevor er die Hand des anderen losließ und in seinem Rucksack zu kramen begann.
Ein Strahlen breitete sich auf dem Gesicht seines Freundes, während er mir erwartungsvollen Augen auf die Öffnung des Rucksacks starrte. Pica erwischte sich dabei, wie er es dem jungen Mann gleich tat. Unwillkürlich biss er sich auf die Unterlippe und schimpfte in Gedanken über sich selbst. Schließlich konnte es ihm egal sein, was für eine Überraschung der junge Mann bekam. In wenigen Sekunden hatte sich das Thema sowieso erledigt. Wie zur Bestätigung dieses Gedanken, bog ein riesiger, dunkelgrüner LKW um die Straßenecke. Das massive Fahrzeug beschleunigte massiv, um die Grünphase noch ausnutzen zu können und würde wohl nicht mehr Bremsen können, sollte jemand auf die Straße laufen. Mit einer Geste der Selbstverständlichkeit legte Samaya ihre Hand auf den Rücken des Mannes, der geduldig auf seine Überraschung wartete und schubste ihn auf die Straße, wo ihn das Fahrzeug augenblicklich erfasste.Einen Moment lang herrschte Todesstille. Dann begannen die umstehenden Leute zu kreischen und rannten aufgeregt zu dem Körper des Mannes, der durch den Aufprall einige Meter weit geflogen war, auf die Straße. Auch der LKW-Fahrer stürmte aus dem Fahrerhaus und kniete neben dem schwerverletzten Mann nieder.
„Oh Gott! Ich... Er ist einfach auf die Straße gelaufen! Ich habe ihn nicht gesehen", schrie er beinahe hysterisch. Vielleicht in der Hoffnung, dass seine laute und aufgebrachte Stimme den Verletzten somit zum Aufstehen bewegen konnte.
Der Mann mit dem Rucksack hatte eine ganze Weile lang entsetzt dagestanden, wie eine zu Stein erstarrte Säule. Nicht einmal das Geräusch seines Atems konnte Pica vernehmen. Dann nahm er die Schachtel aus seinem Rucksack, nach der er scheinbar gesucht hatte. Seine Hand zitterte, kurz darauf zitterte auch der Rest seines Körpers. Er ließ die Schachtel und den Rucksack fallen, bevor er sich auf wackeligen Beinen seinem Freund näherte. Immer schneller wurden seine Schritte, bis er schließlich rannte, als ob es um sein eigenes Leben ginge. Erst als er den Körper seines Freundes erreicht hatte kam er abrupt zum Stehen und fiel auf die Knie. Dass er neben dem Tod höchstpersönlich stand, der die Überreste seines Opfers betrachtete, wusste er nicht. Seine Augen fixierten schockiert seinen Freund, der sich unter qualvollem Stöhnen hin und her wandte. Doch in dem Lärm der Masse, ging seine Stimme vollkommen unter, sodass es niemandem auffiel, als die Qual des Mannes endete und seine Stimme verklang.
DU LIEST GERADE
Der Pakt der Unsterblichen (Boy x Boy)
FantasySeit Jahrtausenden steht Picas Leben im Dienst seiner Herrin - dem Djinn der Zeit. Dabei ist es allseits bekannt, dass Pica und Samaya sich auf den Tod nicht ausstehen können. Als seine Verzweiflung über seine Gebundenheit und sein Wunsch nach Frei...