Chaos

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Solange ich denken konnte, gab es immer uns vier.
Unzertrennlich...
Mit uns war das Gleichgewicht gekommen.
Und wir hatten es wieder zerstört.

Unsere Eltern hatten sich ständig über uns lustig gemacht und sich zusammengereimt, wir hätten ein gemeinsames Schicksal.
Ich hatte nie an sowas wie Schicksal geglaubt.

Ezra auch nicht...

Wir haben ständig Witze über die komischen Geschichten unserer Eltern gemacht.
Unserer Meinung nach musste man das, was alle Schicksal nannten, selbst in die Hand nehmen.
Damit hatten wir Treys utopische Zukunftsvorstellungen ziemlich zerstört. Sie hatte schon immer nur an das Gute geglaubt und war ziemlich naiv, fasst blind, durch Leben gehüpft.
Deshalb wurde sie umgebracht.

Mit ihrem Tod hatte das Chaos angefangen. Pflanzen starben ab und Tiere spielten verrückt. Angriffe von Wildtieren wurden zur echten Gefahr und es traute sich fast niemand mehr vor die Tür.  Ezra hatte versucht, die Menschen zu retten, so wie er immer alle hatte retten wollen, doch sie waren ihm in den Rücken gefallen, sobald man Treys verbrannte Leiche gefunden hatte. Natürlich hatten sie sofort das Feuer beschuldigt. Es war logisch für sie.

Um Lúra und mich zu schützen, hatte man Ezra weggesperrt. Umbringen konnten sie ihn nicht. Sie wollten die Welt nicht noch mehr ins Chaos stürzen. Trotzdem war es kälter geworden, seit er weg war. Und Lúra war auch nicht mehr die Selbe. Sie versank den ganzen Tag in ihren Gedanken, traute fast niemandem mehr, außer mir und wollte die meiste Zeit einfach in Ruhe gelassen werden. Doch jetzt gerade war ich auf dem Weg zu ihr. Sie musste etwas essen.

Vor ihrem Zimmer blieb ich stehen und klopfte an die Tür.
„Lúra?" Keine Antwort.
Vorsichtig öffnete ich das Zimmer und lugte hinein. Sie lag auf dem Bett und starrte an die Decke, wie so häufig in letzter Zeit. Als die Tür hinter mir wieder zuschlug, fiel ihr Blick auf mich.
„Wollen wir etwas essen?", fragte ich und setzte mich mit dem Tablett neben sie aufs Bett.
Sie nickte und setzte sich auf. Schweigend nahm sie sich ihren Teller und fing an zu essen. Ich warf ihr noch einen prüfenden Blick zu und begann ebenfalls etwas zu essen. Kaum war sie fertig, legte sie sich wieder hin. Seufzend stellte ich ihr Glas auf das kleine Tischchen, das als Nachtisch diente. „Falls du Durst hast...", kommentierte ich meine Handlung. „Danke.", war das erste Wort, das ich heute von ihr hörte. Daraufhin öffnete sie mir mit einem starken Luftzug die Tür. Es war mehr als deutlich, dass ich sie alleine lassen sollte, also verließ ich sie wieder.

In den späten Abendstunden wurde ich durch Schreie und schnelle Schritte auf dem Gang aus meinem Zimmer gelockt. Die Menschen rannten durcheinander und schrieen wirres Zeug.
„Sie ist tot!"
„Wir haben schon zwei Elemente verloren..."
„Jetzt ist alles verloren!"
„Was machen wir den jetzt!"
„Wer tut denn sowas?"

Es ging um Lúra. Sie war tot. Es war Zeit für mich zu gehen. So schnell ich konnte schnappte ich mir die fertiggepackte Tasche, die sich unter meinem Bett befand, legte mir meinen Umhang um die Schultern und zog mir die Kapuze tief ins Gesicht. Dann beeilte ich mich durch den Hinterausgang nach draußen zu gelangen. Kaum war ich vor die Tür getreten musste ich mich festhalten, um nicht einfach davonzufliegen.
Draußen tobte der Wind und riss die Bäume aus der Erde. Dunkle Wolken verdeckten den Himmel und in der Ferne sah man Tornados übers Land wirbeln, die alles verschluckten, was sich ihnen in den Weg stellte. Gegen den Wind stemmend machte ich mich auf den Weg.

„Was willst du hier?", fragte er mich, sobald die Tür hinter mir zugefallen war. Er saß in der hinteren Ecke seiner Zelle und starrte an die Wand, während er kleine Flammen über seine Arme wandern ließ. „Lúra ist tot." Auf einen Schlag verebbte das Feuer. „Was?" Seine Stimme war eiskalt. Langsam näherte ich mich seiner Zelle und setzte mich davor. „Lúra ist tot.", wiederholte ich meine Worte.
„Warum?" Seine Stimme zitterte. Eine Weile starrte ich ihn an, dann stand ich wieder auf. „Jetzt sind nur noch wir zwei übrig, Bruder.", antwortete ich, seine Frage ignorierend. „Die Welt stürzt ins Chaos. Ist das nicht wunderschön? Diese Hoffnungslosigkeit?"
„Was?", fragte er fassungslos.
Ich kicherte. „Du bist wirklich naiv..." Das waren die letzten Worte, die mein Bruder von mir zu hören bekam, bevor er einen wirklich qualvollen Tod starb. Langsam ließ ich jeden Tropfen Flüssigkeit seinen Körper verlassen, den ich finden konnte, bis er nur noch als verschrumpelte Leiche vor mir lag.

Ich grinste. „Da war es nur noch einer..."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 16, 2022 ⏰

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