Gesellschaften

15 0 0
                                    

Gedankenverloren starrte ich an die Decke. Alles hatte sich verändert.
Uns wurde eingeredet, dass jetzt alles besser war als damals. Ich ahnte, dass das ihre größte Lüge war. Vor ein paar Wochen hatte ich bei der Arbeit eine kleine Truhe ausgegraben. Erst hatte ich befürchtet, es wäre eine Bombe oder eine andere Waffe. Ein Überbleibsel aus dem Krieg... Ich habe sie trotzdem geöffnet. Man könnte durchaus sagen, dass mir nicht viel an meinem Leben lag. Die acht Jahre, die ich schon auf dieser Erde gelebt hatte, waren die Hölle gewesen. Alle aus der C-Gesellschaft dachten so.
Der Inhalt dieser Truhe hatte so anders auf mich gewirkt. Bunt und glücklich.
Es waren Bilder darin. Aber irgendwie waren sie nicht gemalt und auch nicht schwarz-weiß. Sie waren voller Farben, die ich nicht einmal alle benennen konnte. Sie erinnerten mich an Geschichten, die C1346 uns erzählt hatte, bevor sie ihn hingerichtet haben. Vielleicht waren es nie einfach nur Geschichten.
Vielleicht war es Vergangenheit...
Ich seufzte und mein Blick glitt zurück in die Wirklichkeit. Gleich war die monatliche Volkszählung, also musste ich mich jetzt beeilen. Meine blonden Haare band ich mir unordentlich zusammen. Dann zog ich das Kleid an, das C1511 mir hingelegt hatte. Ich hasste Kleider. Aber bei diesen Volkszählungen war meist die Familie dabei und sie wollten, dass wir uns ansehnlich zeigten. Es war lächerlich. In ihrem Hof enthaupteten sie Menschen und doch achteten sie auf unsere Sonntagskleidchen.
Ein letztes Mal blickte ich in den Spiegel. Meine braunen Augen sahen müde aus und wurden von tiefen Augenringen unterstrichen. Eine Narbe verlief quer durch mein Gesicht. Ich hatte sie seit ich fünf war. Sie war die Konsequenz eines Fehlers bei der Arbeit gewesen. Ich schüttelte den Kopf, um die Erinnerung wieder loszuwerden und zwang mir ein Lächeln aufs Gesicht. Es sah falsch aus.

Seufzend verließ ich schließlich das Haus. Normalerweise war ich immer mit C1346 zu den Zählungen gegangen. Es war ungewohnt diesen Weg alleine zu gehen.
Mein Ziel war der große Platz. Er lag in mitten der Siedlungen der C-Gesellschaft.
Haufenweise Menschen drängelten sich in diese Richtung. Ein paar Menschen der B-Gesellschaft waren auch hier. Man erkannte sie am Alter. In meiner Gesellschaft wurde man nicht älter als aller höchstens Mitte zwanzig. Sie wurden bestimmt alle mindestens fünfzig. Die Augen verdrehend quetschte ich mich weiter, bis ich auf meinem Platz stand.
Kaum war einigermaßen Ruhe eingekehrt, hörte man schon die Hufe ihrer Pferde. Erhobenen Hauptes und in feinster, teuerster Kleidung kamen sie auf den Platz geritten. Hinter ihnen der arme Kerl, der dieses Jahr die Zählungen durchführen durfte. Sie stellten sich nebeneinander auf und stiegen ab. Er nickte uns mit grimmigem Gesichtsausdruck zu und winkte seine Familie hinter sich her, an den Rand des Platzes. Mit einer Neugier für die ich mich hätte schlagen können, starrte ich ihnen hinterher.
Sie waren wunderschön. Makellose Haut, lange, dunkle Haare und strahlend blaue Augen. Ihr Gang war so elegant, dass es fast so wirkte, als würden sie über den Boden schweben. Und all das machte mich wütend.

Woher nahmen sie sich das Recht, sich so über uns zu stellen?!
C1346 hatte sich auch immer darüber aufgeregt...

Ich bemerkte den Kerl, der sich durch die Reihen schlich, fast nicht. Die Gedanken, die in meinem Kopf umherrasten, waren zu laut. Und so bemerkte ich auch den Schuss viel zu spät. Alle warfen sich auf den Boden und schrieen, während ich meinen Blick nicht von dem roten Fleck auf ihrer Kleidung wenden konnte. Sie selbst starrte ihn mit ihren blauen Augen verwirrt an. Aber sie lächelte, bevor sie umkippte und ihre Augen sich schlossen. Ihre Mutter brach schreiend neben ihr zusammen, bevor Er sie aufhalten konnte. Er selbst wirkte viel zu geschockt.
„Wer war das?!", hallte seine Stimme über den Platz. Wütend glitt sein Blick durch die Menge, bis er an mir hängen blieb. Verwirrt schaute ich mich um, bis ich sah wie der Schütze in meine Richtung zeigte. Verstört sah ich der Wache entgegen, die sich auf mich stürzte. „Es tut mir leid.", flüsterte der Schütze in meine Richtung. „Aber ich muss das beenden."
Verstehend nickte ich ihm zu und schenkte ihm ein letztes, echtes Lächeln.

Kurzgeschichten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt