Der ewige Fluss [Woodwalkers FF]

Kapitel 1

Ich erinnere mich gerne zurück an früher. Früher- Wie fremd das klang. Klar, damals war mein Leben noch normal.

Und heute- heute sitze ich im Rollstuhl. Die Leute in der Sternensee-Schule versuchen mir immer wo es geht, zu helfen- aber ich möchte auch keine Last für sie sein.

Manchmal nervt es auch, wenn die Lehrer in Sei dein Tier mich mitleidig anschauen. Und wisst ihr, warum? Genau. Ich bin eine Rotfeder in zweiter Gestalt. Meine Beine sind gelähmt, und so ist meine Tiergestalt so gut wie nutzlos- ich komme nicht richtig vorwärts. In der freien Natur wäre ich sowieso eine leichte Beute für andere Tiere. Tja.

,,Was ist denn los, Melina? Warum starrst du so lange in die Gegend? Es gibt Mittagessen und alle warten schon auf dich!" Und das ist Valerie, meine beste Freundin. Nur manchmal versteht sie halt nicht, dass ich nach dem Unfall auch Zeit für mich allein brauche.

,,Ja, warte kurz! Bin gleich da!", antwortete ich und schob mich zur Tür, die nach drinnen führte. Valerie lief neben mir, schaute mich besorgt an und fing dann wieder an, vom Verwandlungsunterricht zu erzählen. ,,Wir haben ja diesen Neuen. Es ist ja immer wieder dasselbe Spiel- Tierlexikon rausholen, Tiergestalt finden und verwandeln. Die Lehrer sollten den Unterricht echt anders gestalten-" ,,Ja", unterbrach ich sie, ,,ich war auch voll überrascht, als er plötzlich weg war und dann war da nur noch ein Regenwurm...ganz ehrlich, ich hab noch nie gewusst, dass es überhaupt Regenwurm-Wandler gibt." Valerie nickte und fragte mich: ,,Klar. Aber war es in Ordnung, dass die meisten so gelacht haben?"

Und mit dieser Frage waren wir angekommen. Die Cafeteria von uns war zwar etwas heruntergekommen, aber trotzdem fühlten wir uns wohl. ,,Was meinst du, sollten wir uns mal mit dem Neuen zusammensetzen? Ich glaube, er heißt Marian oder so.", flüsterte Valerie und wir schauten zu dem Tisch, an dem er saß. Seine dunklen braunen Haare fielen ihm in Strähnen über das Gesicht und sein grünes T-Shirt passte perfekt zu seinem kleinen, schlanken Körper.

Er schaute uns an, schaute wieder auf seinen Teller und fragte dann: ,,Valerie und...Melina, richtig?" Wir nickten beide. Marian fing an zu reden: ,,Na ja...was seid ihr beide so? In Tiergestalt? Ich bin ja ein Regenwurm, wie ihr wisst..." Mein neuer Klassenkamerad schaute betrübt, wahrscheinlich wünschte er sich eine andere Tiergestalt.

Valerie und ich grinsten. ,,Aktion falsche Schlange!" Und mit diesen Worten schrumpfte Valerie, ihr Körper wurde länger und ihr wuchsen braun-schwarze Schuppen. ,,Ah, eine Schlange?", meinte Marian, der nun sichtlich verwirrt war. Ne, nur eine Eidechse- ohne Beine!, kam es von Valerie und ich fing an zu kichern. Irgendwie fielen alle drauf rein. Um Marian ein vernünftige Antwort zu geben, sagte ich: ,,Also, sie ist eine Blindschleiche. Und ich bin eine Rotfeder, so ein Fisch, den kennst du bestimmt." Marian grinste und erwiderte: ,,Für 'ne Behinderte bist du echt cool." Okay...lass uns abhauen, der Typ tickt nicht mehr ganz richtig!, rief mir Valerie in Gedankensprache zu. Ich nahm mir noch drei Brötchen mit Wurst und ließ den verdutzten Marian sitzen.

Nachdem sich Valerie zurückverwandelt und umgezogen hatte, gingen wir zum Geschichtsunterricht. Valerie liebte es- sie machte sich immer Gedanken, wie man die Menschen besser verstehen kann. Und was ist es für ein großer Schritt, wenn man die Vergangenheit kennt? Das sagte sie zumindest immer.

Plötzlich hörte ich ein ,,Aua!"; ich war voll in jemanden reingefahren. Doch als ich in sein Gesicht blickte, wollte ich nur noch weg. Er war für meinen ,Unfall' verantwortlich, und das würde ich ihm nie verzeihen. Valerie zischte ,,Du Idiot!" und dann verschwanden wir schnell im Klassenzimmer, auf das wir diesen Jungen niemals wiedersehen würden.