Der ewige Fluss [Woodwalkers FF]

Kapitel 5

~~Kai~~

Ich rannte. Weit weg von diesem Raum, dieser Schule. Lange konnte ich diesen Sprint nicht durchhalten, also setzte ich mich an den kleinen Bach am äußersten Ende des Schulgeländes. Hier war es passiert. Seit diesem Ereignis hatte ich keine Schuppen, keinen Heißhunger auf Amphibien und keine Wärmeaufladung mehr. Ich hatte eine Erstjahresschülerin verletzt! Nur, weil meine Drecks-Tiergestalt die Überhand genommen hatte. Weil ich ein Raubtier war, was nur andere fraß und sich nicht darum kümmerte, ob sie lebendig oder tot waren. Vielleicht stimmte es doch- Schlangen sind widerwärtige Tiere. Kein Wunder, dass sie niemand mochte.

,,Willst du hier in Selbstmitleid versinken oder was?" Ne, oder? Gesellschaft war jetzt das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Ich blickte mich um, aber ich sah niemanden. Typisch Wandler... Ich konnte meine Gedankensprache nicht benutzen, also rief ich: ,,Rainbow, was willst du hier?"

Die Regenbogenforelle kam kurz an die Oberfläche und antwortete empört: Ich heiße nicht Rainbow, nur weil mich alle so nennen. Immer noch Henry, okay? Und was ist daran verboten, im Fluss zu schwimmen? Ich muss üben. ,,Für was denn üben, Henry?" Genervt meinte dieser: Überlebensprüfung mit Frau Lynx. Die will uns unbedingt zeigen, wir nicht gefressen werden. Besonders von einigen Raubtieren hier... Na vielen Dank auch. Diese Lehrerin schafft es immer wieder...

Mit schnellen Flossenschlägen war Henry -oder auch Rainbow- weg. So schnell wie er konnte ich niemals werden. Ich seufzte. Das konnte ein langer Tag werden...

Ich saß noch ein paar Stunden an diesem Bach, mitten in der Sonne. Das gab mir Energie. Mit einem Stock kritzelte ich meine Gedanken in die feuchte Erde. Wie es meiner Schwester wohl ging? Sie war entsetzt, als sie herausgefunden hatte, dass ich nicht nur ein Mensch, sondern auch eine Ringelnatter war. Mein Vater und sie waren keine Wandler. Die beiden wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Sie hatten Angst, aber auch Vorurteile. Schließlich waren Schlangen nicht sehr beliebt. Als ich dann auf die Sternensee-Schule kam, brach der Kontakt allmählich ab. Ich vermisste sie schrecklich.

Vielleicht hätte ich kein Wandler sein sollen. Dann wären meine Familie und ich immer noch vereint. Melina würde es gut gehen, ihr Rollstuhl würde nicht existieren. Aber wäre es wirklich besser, ein normaler Mensch zu sein?

Bald darauf bekam ich Hunger, also machte ich mich auf den Weg, zurück zur Schule. Meine Mitschüler sahen mich mit verschiedenen Blicken an- mal entsetzt, mal traurig und mal abwertend. Ich versuchte schnellstmöglich in mein Zimmer zu kommen, was ich mit Julius teilte. Schnell an den Mädchenzimmern vorbei, an den Lehrerzimmern... und schon stand ich vor einer Eichentür mit einem Schild ,,Julius & Kai- bitte per Gedankensprache klopfen". Schlagartig musste ich grinsen. Unser Gehör war nicht so gut (dafür hatten wir Erschütterungssinne), deswegen hatte Frau Kastanie, unsere Hausmeisterin, es aufgehängt.

Als ich mich im Zimmer umsah, war niemand da. Keine Hornisse, kein Schäferhund, kein Julius und kein Adam. Wo waren die denn abgeblieben? Aber egal, ich wollte sowieso allein sein. Ich schnappte mir Chicken Nuggets aus dem Kühlschrank und machte es mir gemütlich.

Irgendwie hatte ich geschafft, in meinem Bett einzuschlafen. Meine wirren Träume begannen wieder. Im Traum war ich wieder eine Ringelnatter mitten in der Natur. Auf der Suche nach Amphibien entdeckte ich eine Rotbauchunke- bevor ich sie fressen konnte, bemerkte ich, dass es ein Wandler war. Ab da an hassten mich selbst meine besten Freunde. Und ich hasste diesen Albtraum, ich wollte, dass er aufhörte! Stattdessen wurde ich im Traum Veganer und setzte mich für benachteiligte Tiere und Menschen ein. Danach verschwamm alles zu einer großen Dunkelheit...

Julius, der später kam, entdeckte nur noch einen schlafenden Kai- halb Ringelnatter, halb Mensch - der sich in den Schlaf geweint hatte.