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Was hatte er getan? Hatte er etwas falsch gemacht? Ella wirkte völlig neben der Spur und er überlegte fieberhaft, was schiefgelaufen war.

„Ich, äh, oh, Gott. Es tut mir so leid. So furchtbar leid. Ich kann das nicht. Ich kann einfach nicht Probe fahren...", wisperte Ella jetzt und er sah sie irritiert an.

„Probe fahren?"

„Ja, Probe fahren. Aber ich bin niemand, der Probe fährt, verstehst du? Ich kaufe die Milch im Supermarkt, ohne dass ich probiert hätte, ob sie schmeckt. Ich geh einfach davon aus, dass sie schmeckt und gut ist und darum kann ich nicht Probe fahren. Auch wenn Juli meinte, ich soll das unbedingt machen, weil ich sonst wieder nur die Klappe halte und nicht sage, wie es besser wäre und ... oh mein Gott. OH MEIN GOTT! Ich hab das jetzt nicht wirklich laut gesagt und... oh mein Gott! Dass das Blut nur bei Männern in andere Gefilde absackt, ist ein Trugschluss."

Er musste gegen seinen Willen grinsen, weil diese Erkenntnis Ella offenbar schockte. Er hatte sich schon gewundert, was plötzlich in sich gefahren war, aber er wäre ein Idiot, wenn er nicht zugegriffen hätte. Außerdem hatte er ja bereits seit gestern darüber nachgedacht, wie sie sich wohl anfühlte. Wie sie aussah und klang, wenn sie Lust empfand. Wie sie roch und schmeckte.

Sofort wallte wieder das Verlangen in ihm auf, genau diese Dinge weiter zu entdecken. Doch Ella war ordentlich mitgenommen. Sie wirkte, als würde sie jeden Moment an dem Chaos ersticken, das sich wohl in ihr abspielte. Dabei fand er den Gedankengang einer „Probefahrt" nicht so abwegig. Eigentlich doch eine gute Idee. Ob er das jetzt dachte, weil er echt scharf darauf war, Ella zu berühren oder es irgendwie auf eine verdrehte Art logisch klang, wusste er nicht einzuordnen. Aber das war im Grunde auch egal.

„Es tut mir so leid. Du ... das ... Du bist ja kein Wagen und hast Gefühle und ... oh Gott, ich bin so megapeinlich", lenkte Ella seine Aufmerksamkeit zurück auf das, was gerade zählte.

Er zog sie zu sich und raunte: „Ist schon ok."

„Nein, das ist absolut nicht in Ordnung. Ich ... scheiße. Ich vermisse Sex. Ich mag Sex. Mochte ich schon immer. Aber Probe fahren ist trotzdem nicht drin", wisperte sie und er merkte, dass sie wieder über ihre Worte erschrak.

‚Wenn sie nicht so durcheinander wäre, könnte mich diese Situation echt amüsieren', dachte er und registrierte die Tränen, die in ihren Augen schwammen und deutlicher Ausdruck ihrer Überforderung waren.

„Hey, es ist wirklich in Ordnung", sagte er und zog sie an sich, während sie sichtlich um Fassung rang.

„Das meinte ich, als ich gesagt habe, ich bin nicht süß, sondern scheißkompliziert. Dazu bin ich auch richtig gut darin, mich zu blamieren", hauchte sie und er zuckte automatisch mit den Schultern.

„Blamiert hast du dich nicht. Du hast eine Tatsache ausgesprochen. Das war es auch schon. Du magst Sex, das ist kein Verbrechen. Oder hast du kein Recht dazu, weil du kein Kerl bist?"

Jetzt flirrten ihre Augen verwirrt zu ihm und sie biss sich auf die Unterlippe, was seinen Fokus leider wieder darauf legte, wie unglaublich gut sich ihre Lippen auf seinen anfühlten. Er riss seine Aufmerksamkeit erneut in die Realität und bemerkte Bedauern in ihrem Blick.

„Ich wünschte, ich könnte lockerer sein. Nicht so verkopft."

„Ich glaube, du bist gar nicht so verkopft. Nur anfangs. Wären wir fest zusammen, würden wir jetzt wahrscheinlich nicht hier stehen und reden, sondern testen, wie der Wagen in der Kurve liegt, oder?"

„Der Wagen in der Kurve... oh, äh, ja. Das könnte sein. Äh, oder auch nicht. Ich bin noch gar nicht bereit, Sex zu haben, äh... Das ist mir nur ... entfallen. So im Eifer des Gefechts."

Er fragte sich, warum sie jetzt rot wurde und seinem Blick auswich, also umfasste er sanft ihr Kinn und zwang sie so, ihn zu fixieren, ehe er murmelte: „Was meinst du damit?"

„Ich ... äh, ich verhüte nicht. War nicht nötig, weil ... Ist ja egal. War nicht nötig. Und weil ich nicht damit gerechnet hab, dass ich so schnell in eine Situation kommen würde, wo es wieder nötig wäre, hab ich mich noch nicht darum gekümmert. Ist etwas komplizierter bei mir. Aber das ist eine lange Geschichte. Jedenfalls hab ich nicht mal Gummis da. Ein weiterer Beweis, dass ich nicht der Typ bin, der Probe fährt."

„Hm", machte er nur und merkte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte.

Worte wallten in ihm auf, doch er schluckte sie hinunter und erwiderte stattdessen: „Ich verstehe. Ich muss aber zugeben, dass die Idee einer Probefahrt prinzipiell nicht schlecht ist. So kann man checken, ob der Wagen sozusagen gut fährt und es einem Spaß macht, auf dem Fahrersitz zu verweilen, bevor man ihn kauft und dann vielleicht auf Dauer unzufrieden ist."

„Das Gleiche hat Juli auch gesagt. So ähnlich zumindest. Bevor man zu viele Gefühle entwickelt. Sonst ist es von Anfang an schwerer, weil die Bedürfnisse nicht gedeckt werden würden, die man halt so hat. Dann geht einen Haufen Zeit ins Land und irgendwann stellt man fest, dass man sich selbst belogen hat und es eben nicht reicht. Aber es wird immer schwerer, für die Bedürfnisse einzustehen, die man hat und dann entsteht ein Teufelskreis."

‚Interessant', dachte er und fragte: „Sprichst du von deiner Ehe?"

Sofort verschloss sich Ellas Gesicht und das war im Grunde Antwort genug. In Bezug auf körperliche Nähe war also etwas schiefgelaufen in ihrer Ehe. Doch er wollte sie jetzt nicht zwingen, darüber zu sprechen. Er hatte die vage Ahnung, dass er sie dann in die Flucht schlagen würde. Und zwar unwiderruflich. Befürchtete sie, dass er sie verurteilte, oder warum machte sie da zu? Er wollte es herausfinden, doch zu einem späteren Zeitpunkt.

„Du musst nicht antworten, Ella."

„Ok. Wir sollten zu Juli."

„Ja, gleich. Ich wollte noch etwas anfügen."

Jetzt flirrten ihre Augen wieder zu seinen und er sagte: „Weißt du, was das Gute an Probefahrten ist? Man darf praktisch alles ausprobieren: Man testet das Fahrgefühl, wie der Wagen in der Kurve liegt, wie er sich fahren lässt und ob er dem entspricht, was man sich vorstellt. Dabei darf man das Auto, so oft man möchte, in den roten Bereich schicken, bis zum Anschlag ausreizen. Aber wie weit man fährt, hat man selbst in der Hand. Man kann alles tun, was einem Spaß macht, solange der Wagen das hergibt. Und wenn er an seine Grenzen stößt, kann man das für sich bewerten und sich fragen, ob man damit klarkommt, denn eine Kaufverpflichtung gibt es nicht. Und manche Dinge lassen sich oft durch ein Gespräch mit dem Verkäufer regeln, in dem man ein Upgrade aushandelt. Indem man dem Verkäufer mitteilt, das hat gefehlt und das hätte man dann doch gerne."

Er hoffte, dass sie verstand, was er ihr sagen wollte, denn er hatte absichtlich die Verbildlichung ausgereizt, weil sein Gefühl ihm sagte, dass sie damit leichter klarkam. Wenn Ella genug Vertrauen gefasst hatte, brauchte sie bestimmt keine Metaphern mehr, das hatte ihn die Leidenschaft bereits gezeigt, die sie ihm entgegengebracht hatte. Doch dazu musste sie sich sicher fühlen und gerade tat sie das nicht, wie ihre Körpersprache verriet.

„Ich würde gerne mal wieder einen Wagen fahren und den Fahrspaß genießen", gab sie kaum hörbar zu und er nickte.

„Ich auch. Ich kenne sogar einen, der es mir besonders angetan hat."

Sie schluckte hart und er bemerkte Sehnsucht in ihrem Blick, als sie hauchte: „Ich auch."

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Rainbow Sky - Wo die Sonne den Regen küsstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt