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Er wurde wach, weil ihn Haare kitzelten und er eine leichte Bewegung wahrnahm. Als er ein Auge öffnete, schaute er in Ellas Gesicht. Sie schlief noch tief und fest. Ihre Lippen waren minimal geöffnet und sie hatte eine Hand vor ihrer Nase und der Stirn platziert. Die zugehörigen Finger gruben sich in das kleine Kissen, das unter seinem Arm hervorlugte, und hielten zudem sein T-Shirt fest. Irgendwie rührte ihn der Anblick, weil sie so friedlich wirkte.

Er musste grinsen, da wohl die Haarsträhne kitzelte, die in ihr Gesicht gefallen war, denn mit einer ruckartigen Bewegung krauste sie die Nase und rieb sich darüber, ehe sie seufzte und wieder ruhig lag. Es hatte ihn wirklich ziemlich erwischt. Er war überrascht gewesen, als Ella ihn heute Nacht zur Seite genommen und ihn gefragt hatte, ob er blieb. Dabei hatte sie so unsicher gewirkt und ihn trotzdem bittend aus ihren braunen Augen angesehen. Den Hundeblick hatte sie drauf, so viel war sicher, obwohl er gemerkt hatte, dass sie ihn nicht bewusst eingesetzt hatte.

‚Sonst hätte ich auch abgelehnt. Ich hasse es, offensichtlich manipuliert zu werden', schoss ihm durch den Kopf und seine Aufmerksamkeit wurde wieder auf Ella gelenkt, die sich allmählich etwas mehr regte.

Augenblicklich beschleunigte sich sein Puls aufs Neue, als er die kleinen Zuckungen spürte, die durch ihren Körper gingen und hörte, wie sich ihr Atem abflachte, während ein bezauberndes Knatschen aus ihrem Mund drang. Plötzlich machte sie ein schlürfendes Geräusch, kurz nachdem die Haut an seinem Oberarm etwas feucht wurde.

„Hab gesabbert", nuschelte sie und sah ihm flüchtig, noch Lichtjahre entfernt, in die Augen, ehe sie ihre verdrehte und wieder weg war.

Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu kichern. Gab es eine Steigerung von unfassbar süß? Er konnte sich gerade noch bremsen, als er den Kopf ungläubig schütteln wollte. Sie war völlig unverhofft in sein Leben getreten, aber er konnte sie sich schon nicht mehr wegdenken. Er genoss es, wenn sie Zeit miteinander verbrachten und wenn er allein in seinem Haus war, dachte er immer öfter nach, ob es ein Heim für einen Teenager, einen 5-jährigen und ihre Mutter sein könnte.

‚Aber davon seid ihr meilenweit entfernt, Ben. Gibt ja auch noch was, was du ihr erzählen müsstest, nicht?', rief er sich zur Ordnung und bemerkte, wie ihre Augen sich unter den Lidern ruckartig hin und her bewegten.

Sie träumte also. Er hoffte, dass es diesmal ein guter Traum war. Wieder baute sich in seinen Gedanken das Bild auf, das Ella geboten hatte, als er in der Nacht wachgeworden war und festgestellt hatte, dass sie ein Alptraum quälte. Wiederholt hatte sie geflüstert, die Fesseln müssten weg und sie sollten sie nicht festhalten, während ihr Körper vollkommen angespannt gewesen war und vor Erregung gezittert hatte.

Als er sie etwas losgelassen und die zu eng um sie geschlungene Decke gelupft hatte, war sie wieder ruhiger geworden. Allmählich hatte sich ihr Atem verlangsamt und das Beben war genauso von ihr abgefallen, wie ihre gemurmelten Äußerungen verstummt waren. Ihr vorher angespanntes, vom Mond beschienenes Gesicht hatte sich auch entspannt, während sich ihre Stirn wieder geglättet hatte. Dann war ein Seufzen aus ihrem Mund gebrochen und sie hatte wieder in seinem Arm gelegen, als ob sie dorthin gehörte.

Während sein Herz heftig gegen seinen Brustkorb gehämmert hatte, hatte sich Ella an ihn gekuschelt. Er hatte eine Weile gebraucht, bis ihm die Augen wieder zugefallen waren. Sie hatte so panisch und verzweifelt geklungen, dass ihm sämtliche Fragen durch den Kopf gerast waren, die ihn ohnehin die ganze Zeit marterten. Er wollte am liebsten alles über sie wissen, doch leider ging Ella mit Informationen spärlich um, wenn er sie nicht aus ihrem Verhalten oder der Interaktion mit anderen sammelte.

Wieder ließ er seinen Blick über das Gesicht der Frau in seinem Arm wandern. Sie träumte nicht mehr, das Zucken ihrer - unter den Lidern verborgenen - Augäpfel hatte aufgehört. Stattdessen schien sie nun damit zu kämpfen, ihre Augen zu öffnen. Wieder bildeten sich automatisch Grübchen in seinen Wangen. Es sah zum Schießen aus, wie sie ihn Sekundenbruchteile lang ansah, schielte, während ihr Blick flackerte und dann die Augendeckel erneut zufielen. Nur, damit ein Ruck durch Ella ging und sie die Lider aufs Neue aufriss. Es schien, als wolle sie ihre Wahrnehmung kalibrieren, doch es gelang ihr nicht ganz.

Dann - endlich - fixierte sie ihn aus schlaftrunkenen Augen und flüsterte: „Guten Morgen."

„Dir auch."

Er zog sie näher und atmete den Kräuter-Geruch ihres Haares ein, während er feststellte, dass sie anschmiegsam ihr Profil an seines lehnte und still ein paar Atemzüge nahm. Automatisch schloss er die Augen und ließ sich ebenfalls in diesen Kokon fallen, den sie gerade gebildet hatten. Er spürte, wie seine Finger zittrig und schwitzig wurden, als ihm aufging, wie er es vermisst hatte - das einvernehmliche, friedliche, sich selbsterklärende Schweigen, bei dem keine Worte offen waren und nur die Nähe des anderen zählte.

„Hast du gut geschlafen?", hauchte Ella viel zu schnell für seinen Geschmack und er bejahte automatisch, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Andererseits hatte er auch schon schlimmere Nächte durchlebt und die Tatsache, dass sie jetzt so entspannt und nah bei ihm lag, hatte ihn mehr erholt, als Schlaf das gekonnt hätte. Das kannte er nicht von sich und darüber musste er nachdenken, sagte er sich, während Ella kaum hörbar wohlig seufzte. Er spürte, wie sie ihren Schenkel noch ein bisschen mehr zwischen den Spalt seiner Beine schob und zog sie automatisch nochmal näher.

Jetzt passte wahrscheinlich kein Blatt Papier dazwischen, bemerkte er lächelnd und streichelte immer wieder durch ihr duftendes Haar, das wie Seide durch seine rauen Finger glitt. Ella wurde nochmal ein bisschen schwerer in seinen Armen und ihr Atem kitzelte etwas länger an seinem Nacken, während sich ihre Bäuche bei jedem Luftholen aneinanderpressten. Ansonsten war nichts zu hören. Er fragte sich gerade, ob sie wieder eingeschlafen war, als sie ihren Oberkörper ein bisschen von ihm löste und ihre Stirn an seine schmiegte.

„Du bist gefährlich, Ben. So richtig."

„Wie meinst du das? Inwiefern?", erkundigte er sich stirnrunzelnd und Ella zuckte mit den Schultern.

„Du stiehlst mir mein Herz. Ich bin drauf und dran mich in dich zu verlieben. Das wollte ich nicht. Ich bin nicht bereit."

Ihre Stimme war nur ein Wispern und doch hörte er ihr Zittern. In ihrem Blick spiegelte sich Panik gepaart mit Sehnsucht und das verwirrte ihn noch mehr. Auch die Tatsache, dass sie die Hand an seine Wange gelegt hatte und sanft mit dem Daumen über seine Bartstoppel strich, dröselte nicht auf, was sie ihm sagen wollte. Oder nicht sagen wollte, dachte er, als Ella jetzt den Blick abwandte und seinem auswich.

„Dann ist sich zu verlieben dumm?"

„Nicht für alle. Nur für mich", hauchte sie und ihre Augen wanderten zu seinen Lippen, wo sie sich festzusaugen schienen, ehe Ella sie sichtlich bemüht losriss und ihm wieder in seine sah.

Augenblicklich jagten Schauer sein Rückgrat hinab und sein Kopf wurde geflutet von dem magischen Nachmittag, an dem er sie schon mal berühren hatte dürfen. Wo sie für ihn und wegen ihm gezittert und seinen Namen gehaucht hatte. Er schluckte hart und versuchte, in der Gegenwart zu bleiben, doch er scheiterte, als Ella sanft ihre Lippen auf seine drückte.

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Rainbow Sky - Wo die Sonne den Regen küsstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt