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Sie folgte ihm zur Haustür und wartete, bis er ihr aufschloss. Hatte er tatsächlich zittrige Hände? Das ließ ihr Herz einen Tacken schneller schlagen. Auch seine Körperhaltung war nun etwas angespannt, obwohl sie merkte, dass er versuchte, sich zu entspannen.

Es amüsierte sie fast, dass der gelassene Ben so etwas wie Nervosität zeigte. Sie konnte es nicht nachvollziehen, weil sie keine Besonderheit war, aber süß war es trotzdem. Sofort unterdrückte sie den Impuls, ihm beruhigend die Hand an die Wange zu legen. Sie wollte es doch langsam angehen und hatte ihn vor nicht mal einer Stunde darum gebeten.

Sie ging an ihm vorbei und sah sich in dem großen hellen Vorraum um: Zwei Türen führten links von ihr ab, daneben wies ein Bogen den Weg in den nächsten Raum. Die Wände leuchteten in einem strahlenden Weiß, das von gelegentlich aufgehängten postmodernen Drucken durchbrochen war. So einer hing auch über einem schlichten, modernen Sideboard, auf dem eine Schüssel stand. In die legte Ben gerade seinen Schlüssel und es rührte sie, dass er weiterhin aufgewühlt wirkte.

Hinter ihm führte auch eine Tür weg, stellte sie nun erstaunt fest und entdeckte die Schuhschränke und die Wandhaken, die sich rechts von ihr befanden. Obwohl der Raum sie ein wenig an einen Hotelflur oder eine Arztpraxis erinnerte, durchströmte sie das Gefühl von Heimeligkeit. Womöglich, weil es zwar sauber war, jedoch trotzdem zeigte, dass hier gelebt wurde.

Sie bemerkte den forschenden Blick, den Ben ihr nun zuwarf und lächelte. „Schön hast du es hier."

„Ja, das hab ich. Und stell dir vor: Das ist nur der Flur."

Sie musste grinsen, weil sie wusste, dass er sie nur für ihre nichtssagende Phrase aufgezogen hatte. Trotzdem fiel ihr auf, dass er die Hände in die Hosentaschen seiner Jogginghose vergraben hatte und weiter etwas angespannt war. Er deutete auf die Tür links von ihr, die tiefer im Inneren lag und sie folgte automatisch seinem Fingerzeig.

„Das hier ist ein kleines Bad und daneben ist die Küche. Dorthin gehen Shelby und ich in der Zwischenzeit und machen Kaffee, in Ordnung?"

„Ok. Danke."

Ben nickte und ihre Hundeoma lief ihm natürlich sofort hinterher. Die hatte nur das Wort Küche gehört und schon war sie Feuer und Flamme. Sie schüttelte den Kopf und trat durch die Tür. Das kleine Bad war immerhin groß genug, um neben einer Toilette und dem obligatorischen Waschbecken eine bodentiefe Dusche zu beherbergen. Auch dieser Raum war durch die beiden Fenster hell, obwohl sie nicht zum Boden reichten wie die restlichen. Die Wandfliesen zeigten sich in einem geschmackvollen Milchkaffee-Ton und harmonierten wirklich gut mit den in Holzoptik gehaltenen Bodenfliesen.

‚Ob die seine Ex mit ihm ausgesucht hat?', fragte sie sich, während sie die Spülung betätigte und an das Waschbecken trat.

Es war sicher schwer für ihn gewesen, wenngleich seine Worte so abgeklärt geklungen hatten. Sie hätte es wahrscheinlich nicht gekonnt, obwohl sie seine Argumentation durchaus nachvollziehen konnte, dachte sie und verließ den Raum, um durch den Torbogen in die Küche zu treten.

Die – sie hatte es schon erwartet – auch allererste Sahne war: cremeweiße, moderne Fronten schmiegten sich in einem U an die Wände und sie vermutete, dass die Arbeitsplatte nicht aus dem Baumarkt war. Sie sah eher aus wie Granit. Er hatte es demnach wirklich ernst gemeint mit seinem Vorsatz ein Heim für immer zu gestalten. Der Backofen und der Geschirrspüler waren auf Körperhöhe eingelassen und als sie nähertrat, stellte sie fest, dass auch die Spüle kein 08-15 war. Sie war zwar aus Edelstahl, doch sie war so tief und groß, dass man bequem ein Blech oder einen Grillrost darin reinigen konnte. Da hatte jemand wirklich mitgedacht.

Aber von Ben und Shelby fehlte in dem ordentlichen Raum mit dem edlen Kaffeevollautomaten jede Spur. Sollte sie einfach durch den weiteren Türbogen ins tiefere Innere des Hauses gehen? Oder doch eher nach Ben rufen?

„Wir sind im Wohnzimmer, Ella! Einfach ins Esszimmer und durch zu mir!"

Sie nickte automatisch und betrat einen hellen Raum, in dem ein Tisch mit acht Stühlen, ein Sideboard und ein Buffet abgestellt worden waren. Ein kleiner Weinkühlschrank stand im Eck. Sie schluckte und ihre Augen blieben an den bunten Farbklecksen kleben, die an den Wänden angebracht waren. Sie hatte keine Ahnung, was sie darstellen sollten. Aber wieder lockerten sie das steife, moderne Mobiliar auf.

Diesen Raum hatte sie wohl von der Ausfahrt aus gesehen, dachte sie, als sie durch die bodentiefe Fensterfront nach draußen in den Garten sah. Sie schluckte automatisch, als sich Bilder vor ihrem inneren Auge auftaten, die sie zusammen mit ihren Kindern und Ben sah, wie sie einen Pool für die Kids dort aufstellten.

Schnell schob sie die Vorstellung beiseite, bei der ihr Herz aus Vorfreude zu rasen begonnen hatte, während ihre Brust ein bisschen enger geworden war. Sie wischte sich ihre schwitzigen Hände an ihrer Jogginghose ab und schritt durch die offenstehende Schiebetür, die wohl ins Wohnzimmer führte.

Zuerst wurde ihr Blick von dem großen Regal angezogen, das sich links von ihr an der Wand befand: Es war vollgestopft mit Schallplatten und sie widerstand dem Impuls zu gucken, welche Schätze Ben darin wohl hortete. Stattdessen wanderten ihre Augen weiter zum danebenstehenden Sideboard, auf dem das zugehörige Abspielgerät platziert war. Darüber hing wieder ein bunter Kunstdruck, dessen Farben sich mit denen deckten, die der moderne Teppichläufer auswies, der sich vor der Glasfront befand.

Das Sofa und der Fernseher mussten sich wohl um die Ecke befinden, dachte sie, denn sie stellte fest, dass ihre rechte Seite nur noch von einer Gitarre geziert wurde. Obwohl auch hier die Außenwände praktisch aus Glas bestanden, fühlte sie sich nicht wie auf dem Präsentierteller, was sie immer befürchtet hatte, wenn sie an solchen „Gläsernen Häusern" vorbeigefahren war. Doch das Grundstück war komplett mit einer hohen Hecke eingefasst, die sie vor neugierigen Nachbarn verbargen.

Vor ihr war der Zugang zur Terrasse, auf der ebenfalls ein großer Tisch mit acht Stühlen Platz gefunden hatte. Außerdem gab es eine Grillecke, die sich mit etwas Abstand zur Sitzgelegenheit befand, aber nahe genug, um weiter mit den restlichen Anwesenden quatschen zu können. Wie alles andere wirkte das Konzept sehr durchdacht, erkannte sie und bog um die Ecke, um zu Shelby und Ben zu kommen.

Doch so weit kam sie gar nicht. Als sie sah, was außerdem auf der Terrasse stand, erstarrte sie augenblicklich und holte zischend Luft. Ein Whirlpool. Leckomio. Sie hatte schon immer mal im warmen Blubberblasenwasser sitzen und entspannen wollen. Am besten mit den Menschen, die sie liebte.

„Alles ok?", hörte sie und versuchte, ihren Blick von der Terrasse loszueisen.

Im Augenwinkel fiel ihr auf, dass Ben zu ihr trat und spürte, wie Shelby an ihr hochsprang. Mühsam riss sie die Augen von dem Whirlpool los und wandte sich Ben zu. Ihre Hände waren erneut ganz feucht geworden. Das Wissen, dass sie nicht mehr in ein solches Leben gehörte und die Sehnsucht danach zerrissen sie beinahe.

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Rainbow Sky - Wo die Sonne den Regen küsstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt