Kapitel 02

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M e i n e Glieder fühlen sich schwer an. Als hätte ich stundenlang Sport getrieben und im Anschluss die Nacht durchgemacht.

So geht es mir, seit ich mich heute früh aus dem Bett gekämpft habe. Das Wochenende ziehe ich schlauchend hinter mir her. So sehr ich auch dagegen ankämpfe, die Schmerzen sind noch immer präsent. Wieder und wieder erwische ich mich dabei, wie ich atemlos die Wand anstarre und an all meiner erbärmlichen Existenz verzweifle.

Ist das der Inbegriff von Liebe? Für jemanden zu leiden, für jemanden jegliche Schmerzen zu ertragen, nur damit die geliebte Person glücklich ist?

Es dauert, bis ich mich gewappnet fühle, um diesen Tag zu überstehen. Mit gepackter Tasche verlasse ich das Haus und warte vor der Tür auf Lucas. Es ist zu einer Art morgendlichen Ritual geworden, dass er der erste Mensch ist, den ich sehe.

Die Geschehnisse am Wochenende hämmern wieder und wieder gegen meinen Kopf, sodass ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann.

Der Morgen ist kühl und feucht, die meisten Blätter haben sich schon auf den Boden gelegt. Selbst bei so einem trüben Wetter wirkt die Straße bunt und erleuchtet, wenn sie auch nur durch den Tod persönlich so gefärbt wird. Der Wind und die Feuchtigkeit jagen mir eine Gänsehaut über meinen Körper, leicht zitternd sehe ich die Straße hinunter.

Lucas scheint sich zu verspäten, jedoch wäre es nicht das erste mal.

Stumm wippe ich von einem Bein auf das andere und versuche so meinen Körper etwas wärmer zu halten. Eine weitere viertel Stunde später, reißt mich mein Handy aus meinen Gedanken, die Vibration lässt mich zusammenzucken.

Blümchen, sorry, ich hab vergessen dich abzuholen. Bin in der Schule. Beeil dich.

Seufzend sehe ich die Nachricht an und beginne dann, meinen mittlerweile zitternden Körper die Straße entlang zu bewegen.

Den gesamten Weg über versuche ich, meine Gedanken ruhig zu halten. Den Sorgen und Zweifeln keinen Einlass zu gewähren. Es ist ein Kampf gegen meinen inneren Zweifel, welchen ich meist zu verlieren drohe.

Parallel mit diesen sanften Stichen in meinem Herz spüre ich das Brennen auf der Haut.

Schnellen Schrittes bewege ich mich durch die leeren Straßen und atme erleichtert ein, als ich die Schule sehe. Die Uhr über der Eingangshalle steht erschreckend spät nach acht Uhr, womit mein Herz in sanfte Panik verfällt. Zu spät zu kommen ist eine Sache, die ich versuche zu vermeiden. Die Blicke aller Schüler auf mir vermischt mit den tadelnden Worten von Mrs. Gensy bilden eine mehr als unangenehme Vorstellung.

Dennoch führt kein Weg daran vorbei und so bewege ich mich beinahe lautlos auf die Tür zu, hinter welcher mich diese quälenden Sekunden erwarten.

Ein leichtes Zittern übermannt meinen Körper, als ich die Faust zum zögernden Klopfen erhebe. Meine Knöchel auf der massiven Holztür ergeben einen beinahe seltsamen Ton.

"Herein."

Mrs. Gensy wartet mit aufforderndem Blick am Lehrerpult und sieht mich an, ihr Blick scheint meinen gesamten Körper zu durchdringen.

"Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe verschlafen."

Meine Stimme zittert nun auch, meine Haut beginnt zu brennen. Die leichte Panik versetzt mich in eine Starre, die ich nicht einfach überwinden kann.

Ihre Augen suchen meine und starren mir mitten in meine Seele.

"Schon gut. Setzen. Einmal ist kein Mal."

Überrascht nicke ich und sehe zu, dass ich meinen Platz finde. Mit Block und Stift sehe ich zur Tafel und beginne, alles dort stehende zu notieren. Eine Hand legt sich sanft auf meinen Rücken.

Lucas sieht mich an, sein Lächeln wirkt aufbauend. Doch mir ist nicht danach, aufgebaut zu werden. Der Tag hat sich bereits jetzt als eine kleine Katastrophe herausgestellt und ich möchte schlichtweg nicht zu optimistisch an die noch folgenden Geschehnisse herantreten.

Schnell lächle ich und drehe mich weder zu Tafel, an welcher Mrs. Gensy verschiedene Buchseiten anschreibt.

"Sie werden sich heute mit diesen Seiten beschäftigen. Es geht dabei um Vertiefungsaufgaben zu der letzten Stunde. Ich erinnere ausdrücklich daran, dass wir diverse Beispiele erläutert und aufgeschrieben haben, also versuchen Sie zumindest, Ihre Aufgaben alleine zu bewerkstelligen."

Lustlos öffne ich das Mathematikbuch und blättere zu der ersten angeschriebenen Seite, nur um gleich darauf festzustellen, dass die Aufgaben dort so gar nicht wie die in der letzten Stunde aussehen. Zögernd versuche ich, die Zahlen mit Hilfe meines Taschenrechners in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen, probiere mich an verschiedenen Formeln aus.

Als mein Blick durch die Klasse wandert, stelle ich erleichtert fest, dass es nicht nur mir so geht. Der ein oder andere Schüler sieht verzweifelt auf das Buch, Madison aus der letzten Reihe widmet sich nur noch ihrem Handy.

Lucas selbst scheint sich auch auf das kleine Gerät in seiner Hand fixiert zu haben. Auf seine Lippen legt sich ein Lächeln. Eines, dass er mir seit einer geraumen Weile nicht mehr geschenkt hat. Ein ehrliches, glückliches.

Erst mit dem Klingeln versuche ich die Zahlen und Gleichungen aus meinem Kopf zu verbannen.

"Wir werden Ihre Ergebnisse nächste Stunde vergleichen und auf Fragen eingehen. Natürlich ist es dafür notwendig, dass Sie alle Aufgaben erledigen. Sollten Sie also in dieser Stunde nicht fertig geworden sein, wissen Sie ja, was Sie zuhause unternehmen können, anstatt auf Netflix und Co herumzuirren."

Mit gepackter Tasche stehe ich auf und beobachte, wie Lucas lachend an mir vorbei läuft und auf die Tür zusteuert.

Wie gerne würde ich seine Hand nehmen, mit lachen und sorglos zu Biologie laufen. Jedoch wächst in mir eine gewisse Hemmung seit unseres Gespräches. Und mein Kopf ist viel zu voll für 'sorglos sein'.

I'll fix you.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt