13. Verschwunden

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Nach dem letzten Treffen mit meinem Chef hatte ich viele Fragen im Kopf. Ich frage mich immer noch, warum er mich und Stefan gequält hat und uns dann auf den letzten Drücker verschont hat. Ich frage mich auch, warum er beim letzten Mal so nett war. Er hat diese Viecher entfernt und mir einen Tipp gegeben. Aber warum? Seit wann kümmert er sich um das Wohlergehen eines menschlichen Wesens? Ich bin verwirrt über sein Verhalten.

Er ist seit genau acht Tagen verschwunden. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass er gestorben ist. Ich habe ihn weder gesehen noch von ihm gehört. Sein Büro ist leer und seine Abwesenheit ist spürbar. Der nette Chefkoch hat die Leitung des Restaurants übernommen. Alle gehorchen ihm. Auch ich gehöre zu dieser Gruppe.

Im Gegensatz zum Chef verhält sich der Koch sehr herrisch. Ihm scheint die neu gewonnene Position zu gefallen und er hat unzählige Aufgaben an alle verteilt, die wir vorher nicht gemacht haben. Wir haben in den letzten Tagen mehrmals das Restaurant geputzt, die Tische an einen anderen Ort gestellt, die Flure in den oberen Stockwerken gewischt oder auch den Keller und das Lager aufgeräumt.
Die ganze Situation war schrecklich. Vor allem, weil der Koch gerne fluchte und alle beschimpfte, wenn die Arbeit nicht gut gemacht wurde. Viele hatten Angst. Der Koch hat gedroht jeden umzubringen und zur nächsten Mahlzeit zu servieren. Wir haben deshalb alles gemacht, was er wollte.

Natürlich wurde das Fehlen des Chefs auch von den Kunden bemerkt. Sie fragten nach ihm und wollten wissen, wo er sei. Aber weder ich noch meine Kollegen konnten eine Antwort auf diese Frage geben. Die Kunden akzeptierten es.

Die Ungeheuer hielten sich fern und kamen nur zum Essen hierher. Es war schon seltsam. Seit unser Chef weg ist, sind die Gäste viel distanzierter. Aber das macht mir genauso viel Angst. Mein Chef ist nicht hier, also ist der Weg frei, einen Menschen zu töten. Ich schüttle den Kopf und schaue in das Gesicht des wütenden Kochs.

,,Du träumst schon wieder, oder was?", schreit er und schiebt mir den Teller mit dem Essen zu. Ich entschuldige mich, aber er kann es nicht annehmen.

,,Am liebsten würde ich dich in kleine Stücke schneiden, damit du nie wieder träumen kannst", hält er inne, greift nach dem Messer und sagt dann: ,,Gib mir deine Hand, einen Finger für dein Verhalten."

Ich schaue ihn erschrocken an und weiche ihm aus. Ganz weit weg vom Fenster, so dass er nicht mehr nach mir greifen kann. Ich entschuldige mich noch einmal, aber er will, dass ich ihm sofort den Finger gebe. Die Panik steigt in mir auf. Was soll ich nur tun?

Plötzlich beginnt er wieder zu brüllen. Ich lasse den Teller fallen. Ich schaue auf den Boden und merke, was ich gerade getan habe. Automatisch sage ich ihm, dass es mir leid tut und dass ich alles aufräumen werde, aber er schreit weiter und dass es jetzt zwei Finger sein werden. Ich gehe in die Knie und greife nach den Tellerstücken. Nehme sie einzeln und werfe sie in den Müll. Tränen laufen mir über das Gesicht. Ich bin so dumm. Warum kann ich eine Arbeit nicht gut machen? Warum muss ich so ein Versager sein? Ich wische mir das Gesicht ab und greife nach den nächsten Stücken. Ich stehe wieder auf und will das Stück wegwerfen, als ich merke, wie fest ich das Stück umklammert halte.

Ich höre nichts. Keine Unterhaltungen mehr. Kein Lachen. Nur Stille.

Ich spüre Wärme in meinen Fingern. Mein Herz pocht heftig in meiner Brust. Mein Blick wandert von meinen blutigen Händen zu den Kunden. Alle sehen mich an. Ich schlucke.

Ich höre Stefans Stimme im Hintergrund: ,,Verdammte Scheiße. Oh nein..." Und dann höre ich ihn weglaufen.

Eines der Monster steht auf und rennt in meine Richtung. Und dann stehen auch die nächsten auf. Ich gerate in Panik. Mein Körper wird starr. Ich kann meinen Körper nicht mehr bewegen. Sie stürmen in meine Richtung. Einer ist schon hinter der Theke.

Stillstand.

Jeder verharrt in seiner Position. Mein Blick ist auf das nächstgelegene Ungeheuer gerichtet. Ich kann meinen Kopf nicht mehr bewegen. Ich habe die Kontrolle über meinen Körper verloren. Die Atmosphäre verändert sich gewaltig. Stille erfüllt den Raum. Tränen fließen über mein Gesicht.

Plötzlich höre ich die Klingel am Eingang läuten. Eiseskälte, die sich in das Innere des Restaurants schleicht und sich im ganzen Raum ausbreitet und dann höre ich diese klappernden Schritte, die sich in meine Richtung nähern. Ich schaue mich nach der Person um, die diesen Zustand verursacht hat und erkenne ihn. Meinen Chef.

Er starrt mich an. Kein Lächeln. Keine Emotion ist in seinem Gesicht zu lesen. Er wendet sich von mir ab und sorgt dafür, dass alle auf ihre Plätze zurückkehren. Aber auch dann bewegt sich niemand freiwillig.

Auf einmal bewege ich mich und laufe in mein Zimmer. Der Chef schaut nicht einmal in meine Richtung. Ich schlucke. Als sich meine Zimmertür hinter mir schließt, spüre ich meinen Körper wieder. Ich falle auf die Knie und schnappe nach Luft. Mein Blick wandert zu meiner Hand. Keine Wunden mehr. Ich bin wieder allein mit meinen unruhigen Gedanken, während es draußen stärker geworden zu sein scheint und heftig gegen das Gebäude pfeift.

Er hat mich wieder gerettet.


Monster -Die schöne IllusionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt