In seinen Augen

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Meine Augen klebten an ihm, während jeder einzelne in der Kirche seinen Kopf zur Tür gedreht hatte. Zu der Tür, an der sie bald erscheinen würde.

Meine Augen jedoch konnten den Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. Von seinem unordentlichen, dunkelblonden Haar. Seine braunen Augen, die einst auf mich gerichtet waren, richteten sich nun auf die Rückseite der Kirche. 

In einem kleinen, flüchtigen Moment der Schwäche ließ ich meine Gedanken abschweifen. Ich ließ mich von meinen wildesten Träumen verzehren. Ich ließ mich von meinen immer noch so lebhaften Gefühlen für ihn verzehren. Ich ließ mich von der Liebe überwältigen. Ich stellte mir vor, dass ich es war, auf die seine Augen gerichtet waren. Ich stellte mir vor, dass ich es war, die durch den Gang auf ihn zuschritt. 

Die ganze Kirche keuchte vor Erstaunen. Mein Herz aber war unheimlich still. Es schien, als hätte es für eine Sekunde aufgehört zu schlagen. Ich sah einfach nur zu. Den gefühlvollen, liebevollen Ausdruck in seinen sanften braunen Augen aufnehmend. Ein furchtbar lautes, reißendes Geräusch hallte durch die Kirche. Das Geräusch meines zerrissenen Herzens, das, da war ich mir sicher, jeder hören konnte.

Langsam drehte ich meinen Kopf herum. In Richtung der Tür der kleinen Kirche.

Sie war wunderschön. In jeder nur denkbaren Hinsicht. In jeder Hinsicht, die ich nicht hatte. Alles an ihr schrie die fünf Buchstaben. Schön.

Eine starke Hand hielt meine fest umklammert,  ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden. Sie war noch nicht einmal außer Atem, nachdem sie die Steigung zu der kleinen griechisch-orthodoxen Kirche erklommen hatte.

Ihr dunkles Haar fiel makellos über ihren offenen Rücken. Liebe leuchtete in ihren ozeanblauen Augen, die nun auf ihn gerichtet waren. Auf ihn, der jede einzelne Liebe und jedes einzelne Glück auf diesem Planeten verdiente. Auch wenn es nicht meine war, die ihn glücklich machte.

"Halt dich einfach an mir fest", flüsterte mir die unerschütterliche Stimme meines Bruders ins Ohr. Ich schluckte und drückte seine Hand zurück.

Ganz leicht beobachtete ich, wie sich ihr Körper bewegte. Ihr fast märchenhaft weißes Kleid glitt über den Boden, als sie auf ihn zuging. Alle in der Kirche waren von ihr fasziniert. Fasziniert von der Art, wie er ihre kleinen zerbrechlichen Hände in seine großen nahm. Ein Ausdruck von Ehrfurcht und reiner Anbetung in seinen braunen Augen. Ich sah sie an, während alle meine wildesten Träume danach schrien, dass ich es sein sollte. Dass ich es war, die er so ansah.

Ich erinnerte mich noch an seine Küsse. Ich konnte immer noch den Geschmack seiner Lippen auf meinen spüren. Er war immer noch der Hauptdarsteller meiner wildesten Träume, und es brach mir das Herz, ihn mit einer anderen verheiratet zu sehen.

Mein Herz sank wie ein Schiff auf den Grund des Ozeans. Die Worte schallten durch die Kirche, erreichten aber nie mein Ohr. Stattdessen waren meine Augen immer noch auf ihn gerichtet. Auf seine kantigen Gesichtszüge. Auf seine braunen Augen, die von dunklen Wimpern umrahmt waren, sein markantes Kinn und seine vollen Lippen. 

Ich war ein Masochist. Einer von der schrecklichen Sorte. Ich hätte nie kommen sollen. Ich hätte die Einladung wegwerfen sollen, denn hier zu sein, brachte einen Gedanken in den Vordergrund meines Seins, den ich die meiste Zeit über zu vergessen versuchte. Ein Gefühl, das ich versuchte, loszuwerden.

Ich blinzelte die Tränen weg, die nun meine Augen füllten, während ich sie beobachtete. Sah ihnen zu, wie sie sich tief in die Augen sahen. Braun und Blau trafen aufeinander. 

Ein kaum hörbares Schluchzen verließ meine Lippen und ging im lauten Jubel der ganzen Kirche unter, als sich ihre Lippen in einem leidenschaftlichen, von Liebe erfüllten Kuss trafen.  Wie sich die Lippen von jetzt Mann und Frau trafen.

Eine vertraute Hand schlang sich um meine Mitte und zog mich an seine Seite. Mein Kopf lag auf der Schulter meines älteren Bruders, als mein zerrüttetes Herz mich zwang, meine Augen zu schließen. Es zwang mich, mich vor all dem Schmerz zu schützen, der vor mir lag. Stattdessen schlüpfte ich in meine wildesten Träume, in denen er sich noch an mich erinnerte. Und in denen ich immer noch mit ihm zusammen war. 

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