Cassiopeia

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" Klack. Klack. Klack." Meine Absätze hallten laut auf dem dunklen Kopfsteinpflaster der Straßen wieder. Es war ein regelrechtes Wunder, dass ich mit meinen Absätzen nicht in den kleinen Rillen stecken blieb. Der Himmel über Galway, war in rot- orangenen Striemen durchzogen, ließ mich kurz stehen bleiben, mein Gesicht in den Himmel geneigt. Ein lauwarmer Windhauch fuhr durch meine roten Haare. Ließ die Locken, die ich noch heute Morgen versucht hatte zu bändigen, sich in mein Gesicht kringeln. Es war ungewöhnlich warm für Ende September. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, ließ mich von der warmen Luft umhüllen.

"Du hast den Himmel schon immer faszinierend gefunden" eine tiefe Stimme, von einem massiven, irischen Akzent durchzeichnet, drang zu mir herüber. Eine Stimme, die ich seit drei Jahren nicht mehr gehört hatte. In meiner Brust stockte mein Atem, meine Augen weiterhin geschlossen, vor lauter Angst sie zu öffnen und zu merken, dass ich mir seine Stimme wie so oft wieder eingebildet hatte.

"Das hab ich damals schon immer so an dir geliebt" seine Stimme klang sanft, ließ mein Herz vor lauter Sehnsucht fast zerspringen. 

Ich zählte in meinem Kopf. Langsam. Eins. Zwei. Drei. Ich öffnete vorsichtig meine Augen, schaute in die dunkelblaue Iris von dem Mann, der nun keinen halben Meter von mir entfernt stand. Sein braunes Haar stand noch immer in der selben, verwuschelten Art und Weise von seinem Kopf, wie vor drei Jahren. Seine Wangen zeichnete der selbe Dreitagebart, durch den ich jedes Mal gefahren war, wenn wir uns liebten. Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich beobachtete wie er auf mich zu lief. Seine langen Beine, die in einer verwaschenen Jeanshose steckten, kamen auf mich zu. Ich hatte ganz vergessen, wie breit seine Schultern waren. Das gespannte Leder seiner Jacke, erinnerte mich nun wieder daran. Ich schluckte, als er vor mir zum Stehen kam. Seine Mundwinkel zogen sich zu einem schiefen Grinsen nach oben, dass mich wieder an den neunzehnjährigen Jungen erinnerte, den ich damals auf einer Party kenngelernt hatte, auf die mich meine Mitbewohnerin Holly geschleppt hatte. Ich war jung, alleine und war gerade von England wegen meines Studiums nach Irland gezogen. 

"Carrick?", ich hatte meine Stimme wieder gefunden. Ich war geschockt. Mein Herz begriff immer noch nicht, dass er hier vor mir stand. Vor drei Jahren hatten sich unsere Wege getrennt und ich war mir sicher, dass ich ihn nie wieder sehen würde. 

Dennoch stand er nun vor mir, ließ mich fast in dem Blau seiner Augen ertrinken. Um uns herum lief das Leben weiter, Menschen hetzten durch die Straßen, wollten noch kurz vor Ladenschluss die letzten Schnäppchen ergattern. Doch für mich stand in diesem Moment das Leben still. 

"Hi Leah" Ich hatte die Art und Weise vermisst, wie er meinen Namen aussprach. Inzwischen hatte der Himmel sich über uns dunkel gefärbt, enthüllte eine sternenklare Nacht.

"Wa..Was machst du hier?", die Worte kamen zittrig über meine Lippen, als ich in sein noch immer vertrautes Gesicht blickte. " Ich dachte du bist nicht mehr hier? Ich.. ich dachte du bist wo anders?" meine Stimme kam nun in einem Flüstern von meinen Lippen. 

"Weißt du noch, als wir uns das erste Mal getroffen haben?" 

Ich sah dabei zu, wie sein Kopf sich in den Himmel neigte, er ignorierte meine Frage komplett. 

"Ich hab dir die Sternenbilder erklärt." 

Ein wehmütiges Gefühl breitete sich in meinem Inneren aus, als ich daran zurückdachte. 

"Cassiopeia. Kannst du dich noch erinnern?", er deutet mit seinem Finger nun in die schwarze Endlosigkeit über uns. Ich neigte meinen Kopf ebenfalls in Richtung Himmel und sah sofort, die fünf Sterne die das "W" bildeten. 

Ich nickte. "Du hast mir dabei geholfen die fünf Sterne zu finden. Ich weiß noch wie lange ich gebraucht habe, sie zu finden." 

Eigentlich hätte es seltsam sein müssen mit Carrick auf einer Straße zu stehen, unsere Köpfe in den Himmel gerichtet, während das wilde Menschentreiben um uns herum weiterging, aber es war nicht seltsam. Mit Carrick war nie etwas seltsam gewesen. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein. Sein vertrauter Geruch nach Moschus hing in der Luft. 

"In der Nacht wusste ich sofort, dass ich dieses hübsche Mädchen neben mir irgendwann heiraten würde."

 Ein Stich durchfuhr meine Brust, ich hatte meine Augen immer noch geschlossen, als eine kleine Träne mein Gesicht herunterlief.

"Carrick?", hörte ich meine Stimme, fast wie in Trance aus meinem Mund dringen. "Du bist nicht hier", brachte ich voller Schmerz über meine Lippen. "Du bist die letzten drei Jahre nicht mehr hier gewesen. Nicht mehr hier... Bei mir", ich öffnete meine Augen, schaute nun in das ebenfalls schmerzverzerrte Gesicht von Carrick. 

Er hob seine Hand und fasste mir unter das Kinn. Fast, aber nur fast, fühlte es sich wie eine echte Berührung an. 

"Du bist tot, Carrick",  flüsterte ich schmerzerfüllt, mein Herz zersprang, so wie es das immer tat, wenn ich an die große Liebe meines Lebens zurückdachte, in tausend klitzekleine Teilchen. 

Sein trauriger Gesichtsausdruck war nun auf mich gerichtet, als er seine Hand von meinem Kinn ließ und sie auf meine linke Brust legte. Er schüttelte den Kopf. 

"Ich bin immer hier, Leah. Hier. Für immer. In deinem Herzen. Und das wird sich auch nicht ändern.", ich schluckte, starrte in seine blauen Augen, ließ mich ein letzte Mal in ihre Tiefe ziehen. 

"Solange du Cassiopeia am Himmel finden wirst, solange werde ich bei dir sein." 

Sein Gesicht verblasste immer mehr, die Konturen seines Gesichtes verschwanden, bis er sich schließlich komplett auflöste und mich alleine zurück ließ.

Ein qualvoller Laut ließ mich in meinem Bett aufschrecken. Ich war vollkommen außer Atem, ein Schmerz breitete sich in meinem Herzen aus.  Ein Schmerz so stark, dass ich das Gefühl hatte meine Brust würde jeden Moment zerspringen. 

Panisch streckte ich meine Hand nach meinem Nachtschrank aus, griff nach dem schwarzen, vertrauten Bilderrahmen. Tränen standen in meinen Augen, als ich auf das Bild eines Mannes mit braunen, verwuschelten Haaren und dunkelblauen Augen blickte. Ich schloss die Augen und presste das Bild an meine Brust.

Wie konnte man weiterleben, wenn einem die Luft zum Atmen genommen wurde? Wenn All das was einen zusammenhielt, nicht mehr da war? 


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