White Scruffy Unicorns Shitting on Rainbows

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"Sag mal, Sadie", flüsterte ich meiner Schwester zu. „Wurdest du schon mal richtig derbe enttäuscht?" Im Augenwinkel sah ich, wie sie mich von der Seite ansah und den Blick dann mit gerunzelter Stirn wieder auf die Straße richtete.
„Wie soll ich denn das jetzt verstehen?" Unruhig fuhr sie mit der Hand am Lenkrad entlang.
Ich sah einfach nur geradeaus, fixierte mit leerem Blick das Armaturenbrett, nahm es aber nicht wirklich wahr. „Naja, du hast dir dein Leben lang ein Bild in deinem Kopf aufgebaut und dann, zack, bum, geplatzt" Ich hob meine Fäuste, spreizte die Finger. „Wie ne Seifenblase"
„Okay", gab sie als Antwort, zog es dabei aber misstrauisch in die Länge.

Wir hielten an einer Ampel. Sie war rot. Natürlich. Sonst würden wir ja auch nicht anhalten. Rot. Wie ihre Augen. Blutrünstige Augen.

„Nikki?" Sadie legte ihre Hand auf meinen Arm und sehr vorsichtig fragte sie: „Ist alles in Ordnung bei dir?"
„Ja", antwortete ich mit buttriger Stimme. „Wieso fragst du?"

„Du sitzt seit zwanzig Minuten mit mir im Auto, starrst die ganze Zeit mit weit aufgerissenen Augen ins Leere und das Einzige, was du zu mir sagst, ist so eine merkwürdige Scheiße über Enttäuschungen. Also, was ist passiert?"

„Erinnerst du dich noch an Miss Erdbeermarmelade?", fragte ich sie jetzt und Sadies Augenbrauen verschwanden unter ihrem Pony.
„Du meinst das Plastikpferd, mit dem wir früher immer gespielt haben?"
„Es war ein Einhorn", korrigierte ich sie. „Weißt du, das hat da so was Spitzes noch an der Stirn"
„Ja, schon klar" Sie rollte mit den Augen. „Und was ist mit dem ollen Teil?"
„Es ist rosa"
„Okay" Sie klang verwirrt.

„Einhörner sind rosa", wiederholte ich. „Sie haben rosa Fell, ne rosa Mähne und ein rosa Horn. Sie sind gutmütig. Und erhaben. Lieb. Versessen. Gierig. Gerissen" Ich machte eine Pause. „Aber vor allem sind sie... blutrünstig"
Sadie schwieg, bog rechts ab und hielt dann am Straßenrand. Sie atmete tief durch. „Okay, was hast du geraucht?" Sie stemmte die Hände in die Hüfte und musterte mich forsch. Ich beantwortete ihre Frage nicht, sondern starrte wie hypnotisiert auf die nächste rote Ampel.
„Ja, blutrünstig", hauchte ich.

Ich hörte sie ungeduldig auf das Lenkrad trommeln.
„Was ist los, Nikki? Warum stellst du mir so komische Fragen? Wie kommst du plötzlich auf dieses Einhorn? Ich verstehe es einfach nicht" Sie rieb sich durchs Gesicht.
„Ich habe die Wahrheit erkannt, Sadie", erklärte ich ihr leise. „Einhornfell ist nicht flauschig, es ist verdammt versifft und stinkt. Und sie tanzen auch nicht über Regenbögen, nein, sie scheißen drauf"

Sadie schwieg. Das war mir nur recht. Ich musste meine Gedanken sortieren.

Es hatte mich angestarrt, hatte die Zähne gefletscht, ekelhafte, gelbe Zähne. Tief und kehlig war sein Wiehern gewesen. Und dabei hatten die Augen gestrahlt. Hell, wie tödliche, rote Laserstrahlen.
Doch warum? Wie? Nichts ergab Sinn.

„Kannst du weiterfahren?", bat ich sie, doch Sadie rührte sich nicht. „Ich glaube, es ist hinter mir her"

„Was, das Einhorn?" Die Stimme meiner Schwester triefte vor Sarkasmus.

Ich runzelte die Stirn. „Du glaubst mir nicht"

Sadie schüttelte den Kopf und seufzte. Schließlich kratzte sie sich an der Augenbraue, wie immer, wenn ihr etwas nicht behagte.
„Hast du in letzter Zeit mit Doktor Donners gesprochen?"

Ich zuckte beim Klang dieses Namens zusammen. „Nein, wag es ja nicht", zischte ich und funkelte meine Schwester wütend an. „Komm du nicht auch noch mit der Scheiße an. Mom und Dad haben mich schon oft genug zu Doktor Dudelsack geschleift"
„Aber er ist womöglich der Einzige, der dir helfen kann", argumentierte Sadie und ihre Stirn war dabei in besorgte Falten gelegt.
Mit vorgerecktem Kinn verschränkte ich die Arme. „Also erstens brauche ich keine Hilfe, schon gar nicht von Doktor Dudelsack", stellte ich mit gereizter Stimme klar. „Zweitens werde ich mich mit Sicherheit nicht in die Klapsmühle stecken lassen und drittens wirst du jetzt sofort weiterfahren, oder ich steige aus und laufe!" Schwer atmend endete ich und Sadie seufzte nur einmal sehr lange, bevor sie wieder auf die Straße fuhr.

Tohuwabohu - KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt