Er kämpfte für den Frieden.
Und vielleicht auch für Banks, der den Frieden niemals kennenlernen würde.
Zero lag auf dem Bauch. Ein Arm eingeklemmt unter seinem Körper, der andere ausgestreckt. Er hielt Banks Hand, drückte sie, als könnte er ihn dazu bringen, noch einmal über Zeros Knöchel zu streichen. Das hatte Banks vorhin getan. Es hatte ihn beruhigt.
Trotzdem wusste er nicht, wie sich Banks Hand anfühlte. Er kannte nur die abgewetzten Uniform-Handschuhe, die alle Soldaten trugen: schwarz und hässlich und viel zu dick.
Er hätte Banks fragen sollen, irgendwann in den vier Jahren, die sie jeden Morgen nebeneinandergesessen und ihre Tagesration gegessen hatten. Es wäre einfach gewesen, aber Zero hatte nie gefragt, woher die Narbe an seiner rechten Hand stammte oder warum er an manchen Tagen den Löffel mit der linken hielt. Wäre Zero nicht so sehr in seinem eigenen Kopf gefangen gewesen, hätte Banks dann schon gestern oder vorgestern oder vor Jahren seine Hand genommen?
Zero blinzelte und umklammerte Banks Hand noch fester. Vielleicht waren seine Finger unter all den temperaturresistenten Stoffschichten ja noch warm. Vielleicht konnte er ihre beiden Handschuhe entfernen und die Narbe mit seinen bloßen Fingerkuppen nachzeichnen. Ihm über die Knöchel streichen und sagen, dass der Frieden zum Greifen nah ist. Dass sie bald heimkehren konnten.Zero hatte keine Kraft dazu. Sein Körper war schwer, trotz des langjährigen Trainings. Man hatte sie dafür ausgebildet, unter hoher Schwerkrafteinwirkung zu kämpfen, aber heute wollten ihm seine Gliedmaßen nicht gehorchen. Er blieb einfach liegen.
Etwas rauschte in seinem Ohr. „-mich hören?"
Eine weibliche Stimme, die er kannte, sprach über den Kommunikator. „Zero, kannst du mich hören?" Schritte.
Zero öffnete die Augen. Er schwebte in der Luft. Nein, falsch, er lag auf einem Gitter und sah direkt hinunter in den Bauch eines Kessels glühender, zähflüssiger Masse. Richtig, die Skaulium-Raffinerie.Banks und er hatten nebeneinandergesessen, heute Morgen, bei der Lagebesprechung.
„Hört gut zu!", hatte der Kommandant respektheischend gebellt. „Dies ist die vielleicht wichtigste Operation dieses gottverdammten Krieges, unsere einzige Chance, die Oberhand über die Vorrins-Bastarde zu gewinnen. Solange sie diesen Planeten und damit die Skaulium-Produktion in ihren schuppigen Griffeln halten, haben wir schon so gut wie verloren. Doch wir werden nicht den Schwanz einziehen und uns verkriechen, nein. Denn hier und heute demonstrieren wir mit Mut und Stolz die Macht Askanas!"
Ihre Kameraden grölten, vielleicht um die Nerven zu behalten. Zero machte nicht mit, hatte er nie. Er fragte sich bloß, ob dies der letzte Kampf war. Ob das Kämpfen dann endlich ein Ende finden würde. Zero wollte nach Hause.
Banks sah ihn an. Vielleicht wollte er auch nach Hause.Sie waren in Team Bravo, das aus dem Hinterhalt angriff. Doch sie waren entdeckt worden. Ein leises Surren, das Zero zu gut kannte: Wrecker-Geschütze. Banks hatte nicht mal Zeit gehabt zu schreien. Fast schon gespenstisch, wie leise sein Tod gewesen war. Vielleicht musste er an Banks' Stelle schreien, um die Stille zu füllen.
Jemand zog ihn auf die Füße. Ylena, Gewehr über die Schulter geschwungen. „Schnell, in Deckung!" Sie stolperten hinter einen massiven Stahlträger. Zero hielt noch immer Banks Hand, starrte auf die Stelle wo rohe, unförmige Masse durch das Gitter in den Kessel darunter tropfte, versuchte zu ignorieren, dass er durch sein blutbesprenkeltes Visier kaum etwas sehen konnte.
„Verdammt, wieso haben die Wrecker-Geschütze?!", keuchte Ylena neben ihm. Jemand antwortete, aber Zero verstand die Worte nicht. Seine Hand zitterte, aber niemand kam um ihn zu beruhigen.
Er stand auf. Ylena sagte: „Noch nicht, Zero!", aber er ignorierte sie. Sein Gewehr lag da, wo Banks gestanden hatte. Er zielte auf die Vorrins unten neben den Kesseln. Es waren keine Soldaten und ein paar von ihnen waren klein, aber einer hielt das Wrecker-Geschütz. Zero regierte schneller als sie, und seine Kameraden folgten ihm. Er schoss, Kugeln fraßen sich durch ihre geschuppte Haut, die sonst nichts anderes durchließ. Sie schrien und gingen auf die Knie.
Zero wollte wieder Banks' Hand in seiner halten.Am Ende war die Operation ein Erfolg. Seine Kameraden feierten. Zero machte nicht mit, hatte er nie.
Der Gegenangriff kam. Danach ging es weiter wie bisher. Er aß seine Tagesration früh am Morgen, trainierte, kämpfte. Nur saß Banks nicht mehr neben ihm.Und nach jedem Kampf fragte er sich: Welcher wird der letzte sein?
Und nach jedem letzten Kampf fragte er sich: Wo bleibt der Frieden?
***
Als Vaynes Tochter fünf war, hatte sie gefragt: „Wo bleibt der Frieden?", als warte sie auf ein verspätetes Shuttle. „Er kommt bald", hatte Vayne geantwortet. „Papa wird ihn persönlich in Empfang nehmen."
Vayne gedachte, sein Versprechen zu halten. Abwesend spielte er mit dem Ring an seinem ersten Finger, der leise über jede Hautschuppe schabte. Ein Tick, den er nicht loswurde und der seinen Vorgesetzten Zuwider war. Sobald er in sein Quartier zurückgekehrt war, konnte er sich in Sentimentalität stürzen, jetzt gerade musste er seine Arbeit machen.
Er streckte den Rücken durch, richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Die Empore dominierend hatte Vayne guten Überblick auf die Schiffsbrücke und den kargen Planeten der langsam unter ihnen herzog. Obwohl sich die Sonne des Systems gerade über den Horizont schob und einen unzweifelhaft majestätischen Auftritt bot, war Vayne froh, nicht dort unten sein zu müssen, wo barbarische Askanier es wagten, Widerstand zu leisten. Sie sollten sich fügen, so wie er es auch getan hatte. Schließlich musste er dem Frieden die Hand schütteln, sonst wäre seine Tochter sicher enttäuscht.„Sir", sagte eine erstickte Stimme. Ein junger Kadett kam gesittet, doch eilig die Stufen zur Empore hinauf. Er senkte den Blick wie man es ihm beigebracht hatte. Mit einer knappen Handbewegung gab Vayne ihm zu verstehen, dass er weitersprechen möge.
„Wir haben soeben eine Meldung von der Oberfläche erhalten. Wie es scheint, haben die Askanier die Skaulium-Raffinerie eingenommen."
Vayne musste sich beherrschen, nicht die Hände zu Fäusten zu ballen. Er schluckte, spürte Atem in seinem Nacken, obwohl niemand hinter ihm stand. Die Raffinerie zu verlieren wäre ein gewaltiger Rückschlag, dem man ihm nicht verzeihen würde. Instinktiv drehte er wieder den Ring an seinem Finger.
„Schickt die Piloten zu ihren Maschinen. Sie sollen auf alles schießen, was sich dort unten rumtreibt"
Der Kadett schien zu zögern.
„Gibt es ein Problem?", fragte Vayne. Bewusst ließ er den Ring los.
„Nun, Sir, im Umkreis der Raffinerie liegen Dörfer..."
Vayne sah auf ihn hinab. „Ich frage noch einmal: Gibt es ein Problem?"
Beinahe kleinlaut sagte der Kadett: „Nein, Sir" und schritt zurück zu seinem Posten.Merkwürdig, wie leise der Tod sein konnte, dachte Vayne, als der Gegenangriff im Gange war. Explosionen leuchteten auf, doch wenn er die Augen schloss, konnte er sich vorstellen, zuhause bei seiner Tochter zu sein. Er würde mit ihr Fangen spielen und sie absichtlich gewinnen lassen und dann ihre immerzu neugierigen Fragen beantworten.
Mit acht hatte sie einmal gefragt: „Papa, bist du ein böser Mann?" Er hatte gelacht. Schließlich war es doch so:Er kämpfte für den Frieden.
1140 Worte.
Aufgabe: Beginne und ende mit dem gleichen Satz.
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Tohuwabohu - Kurzgeschichtensammlung
Short StoryDiverse Kurzgeschichten für diverse Wettbewerbe. Sind hier wahrscheinlich besser aufgehoben als auf meiner Festplatte, wo sie früher oder später im Dokumentenwust verschwunden wären.