Einen wunderschönen guten Abend zusammen!
Na, alle fit und gesund? :)
Oh man, so schwer es mir fällt, aber... wir erreichen jetzt tatsächlich das Ende dieser Geschichte. Nach diesem Kapitel kommt nur noch der Epilog, der ein Jahr später spielt... *schnief*
Aber keine Sorge, der Epilog wird schön - diese FanFiction hat zwar kein klassisch fluffiges Happy End, aber traurig lass ich euch auch nicht zurück, versprochen!!
Ich hoffe, ihr seid jetzt ganz stark und bereit für Lilians Abschied - und verflucht mich nicht dafür. @_@
Habt noch einen schönen Sonntag!!
GlG
Ancarda
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„Zurück auf Anfang, was?", schmunzelte Lilian wehmütig und sah zu Rayleigh, der gerade ein letztes, ordentlich zusammengelegtes Hemd von ihr sorgfältig in ihrer Tasche verstaute. Er lächelte leicht.
„Natürlich. Glaubst du, ich hab meine guten Manieren in den letzten Monaten verloren?"
Sie schüttelte den Kopf, legte ihre Werkzeuge in die nun fertig gepackte Tasche und zog den Reißverschluss zu. Das Geräusch klang furchtbar endgültig in ihren Ohren.
„Nein, du bist derselbe höfliche, charmante, gutaussehende Pirat, der mich auf der Oceans Pearl schon so verwirrt hat!", antwortete sie leise und erntete ein tiefes Seufzen.
Das Schiff lag nun an der ausgewählten Insel in einer verborgenen Bucht vor Anker, die Zeit des Verabschiedens war gekommen.
Starke Arme umfassten ihre Taille und zogen sie sanft an seine Brust. Tief sog sie seinen Geruch ein und schmiegte sich an ihn. Er küsste sie aufs Haar.
„Und du bist noch immer die gleiche selbstbewusste, humorvolle, starke Frau, die mich von Anfang an fasziniert hat!", entgegnete er leise.
Einen langen Augenblick standen sie so da und genossen die Nähe des anderen. Stören würde sie keiner; beide wussten, dass Roger ihnen die Entscheidung überließ, wann sie das Schiff verlassen würde. Sie konnten sich die Zeit nehmen, die sie brauchten.
„Ich hab noch was für dich...", durchbrach Rayleigh nach einer Weile die friedliche Stille. Neugierig sah Lilian zu ihm hoch.
„Und was?"
Er löste sich etwas von ihr und zog einen schmalen Gegenstand aus seinem Umhang, den er ihr sanft in die Hand legte. Erstaunt erkannte sie den zweiten Zahn des Säbelzahntigers, den Rayleigh offenbar aufgehoben und akribisch gesäubert hatte. Am oberen Ende war jedoch ein silberner Verschluss mit Öse angebracht worden, sodass er nun an einem aus schwarzen und weißen Ledersträngen geflochtenem Band hing. Direkt unter dem silbernen Verschluss war etwas in das Elfenbein des Zahns eingraviert:
‚Zwischen Schwarz und Weiß beginnt das Leben'
„Ich bin nicht sonderlich begabt ihm Gravieren, aber für mein erstes Mal wars glaub ich gar nicht schlecht...", erklärte Rayleigh etwas nervös - er hatte einer Frau noch nie zuvor ein von Herzen kommendes Geschenk gemacht und war unschlüssig, ob das den gewünschten Zweck erfüllte: nämlich ihr etwas Greifbares zu hinterlassen; etwas, das sie in die Hand nehmen und sich damit an ihre gemeinsame Zeit erinnern konnte.
Lilian betrachtete den kostbaren Schatz in ihrer Hand und las wieder und wieder die etwas Ungleichmäßigen, unterschiedlich tiefen, aber eindeutig mit viel Geduld und Liebe eingravierten Worte. Diese Geste bedeutete ihr unermesslich viel - und er hatte keine Ahnung, dass dieser Satz nicht nur metaphorisch absolut passend war.
Nur mühsam unterdrückte sie die impulsive Handlung, ihre Hand auf ihren Bauch zu legen.
Nie zuvor hatte sie sich so lebendig und geliebt gefühlt wie bei ihm, dem berüchtigten dunklen König.
Er hatte ihr beigebracht, nicht mehr in Schubladen zu denken... die Menschen hinter ihrem Namen und ihrem Äußeren zu sehen... und dadurch hatten sie ein neues Leben erschaffen. Ein schlagendes Herz, das sie beide für immer miteinander verbinden würde. Ein Beweis für diese kurze, aber deshalb nicht weniger bedeutungsvolle Beziehung.
Lilian schluckte mühsam und atmete zittrig ein, ehe sie lächelnd zu ihm aufsah.
„Danke, Rayleigh. Vielen, vielen Dank für einfach alles!", hauchte sie glücklich und zog ihn zu einem langen, zärtlichen Kuss zu sich.
Erleichtert atmete er aus, nahm ihr Gesicht in seine Hände und erwiderte ihn andächtig; saugte das Gefühl ihrer herrlich weichen Lippen auf Seinen tief in sich auf.
„Es war mir ein Vergnügen, Lilian", brummte er schließlich seufzend. Doch dann schüttelte er energisch den Kopf und sah ihr ernst, fast schon gequält in die Augen. „Und das ist lächerlich untertrieben. Jede Minute, jede Sekunde mit dir hab ich genossen - und zwar mehr als ich je für möglich gehalten hätte. Ich dachte, nach über fünfzig Jahren kann mich nichts mehr überraschen... und dann kamst du und hast mich eines Besseren belehrt. Bitte glaub mir, wenn es irgendeine Möglichkeit gäbe...", stieß er hervor, brach jedoch abrupt ab, als Lilians Hand sich über seinen Mund legte.
Obwohl ihr Herz tonnenschwer war, lächelte sie traurig.
„Es gibt keine. Wir haben so lange darüber geredet... wie wir es auch drehen oder wenden, es gibt einfach keine Möglichkeit, wie das hier auf Dauer funktionieren und uns beide glücklich machen könnte. Ich tauge nichts zum Piraten und du würdest in einem bürgerlichen Leben eingehen. Und wenn das, was ihr vorhabt, klappen sollte... seid ihr bald wirklich die am meisten gesuchten Piraten aller Zeiten und es wäre Selbstmord, mit dir eine Fernbeziehung zu führen - sowas kommt ja leider doch irgendwie immer raus!", fasste sie den Inhalt zahlloser Gespräche noch einmal bemüht ruhig zusammen. Vor allem der letzte Teil war ausschlaggebend; Roger und Rayleigh hatten sie in ihre erstaunlichen, waghalsigen Pläne eingeweiht - und das waren wirklich verdammt Große.
Und Gefährliche.
Sonst hätten sie sich vielleicht doch um eine Art Fernbeziehung mit gelegentlichen Besuchen seinerseits bemüht... aber unter diesen Umständen wäre das purer Wahnsinn.
Der dunkle König seufzte schwer, nahm ihre Hand von seinem Mund und hauchte einen Kuss hinein.
„Ich weiß. Ich will nur nicht, dass du irgendwann denkst, ich hätte es nicht von ganzem Herzen gewollt. Oder dass ich es mir leicht gemacht hätte, dich gehen zu lassen..., oder dass ich dich schnell vergessen oder gar ersetzen könnte", antwortete er leise. Das war in der Tat die schlimmste Vorstellung für ihn: dass er sie nicht nur heute verlassen musste, sondern dass sie irgendwann schlecht von ihm denken könnte - und alles in Frage stellte, was sie hier miteinander gehabt hatten. Wenn er sicher wüsste, dass sie sich gern an diese Zeit zurückerinnern würde, wäre der Schmerz noch einigermaßen erträglich.
Doch Lilian sah ihn so warm an, dass seine Zweifel schwanden.
„Das wird nicht passieren, Rayleigh. Ich weiß, dass du dich mir zuliebe zerreißen würdest, wenn du es könntest. Ich weiß, dass du mich genauso liebst, wie ich dich liebe - das wusste ich schon, bevor du es mir gestern gesagt hast... und ich werde es niemals vergessen. Das verspreche ich dir! Wir beide haben gemeinsam entschieden, wie das hier endet. Wir haben alle Möglichkeiten durchgespielt und sind zu diesem Ergebnis gekommen. Tu mir bitte den Gefallen und vergiss DU das niemals, ja? Wir zusammen haben uns entschieden, es hier und heute zu beenden - nicht, weil irgendeinem von uns das leicht fallen würde oder einer den anderen zu wenig liebt, sondern weil es keine andere Möglichkeit für uns gibt. Versprichst du mir das?" Das war nämlich der Punkt, den SIE fürchtete: dass er sich eines Tages allein die Schuld für die Trennung geben würde. Rayleigh war ein Ehrenmann... er suchte Fehler immer zuerst bei sich selbst.
Tief atmete Rayleigh durch und sah dieser wundervollen Frau in die Augen. Er sah ihren Schmerz und ihren tiefen Kummer deutlich... aber auch diese unglaubliche Stärke. Ihr unabhängiges, stures, stolzes, selbstbewusstes Wesen, das er an ihr so bewunderte und das ihn so magisch anzog. Körperlich mochte sie eine zerbrechliche Zivilistin sein, aber die Kraft ihres Willens stand der von ihm oder Roger in nichts nach. Deshalb hatte er sie von Anfang an auf Augenhöhe gesehen... sie war eine Frau, die Respekt verdiente und ihn auch einforderte - deshalb wollte sie von ihm auch dieses Versprechen. Es würde sie verletzen und wütend machen, wenn er ihren Teil der gemeinsamen Entscheidung vergessen oder irgendwie anders abwerten würde.
„Ich verspreche es!", flüsterte er rau und legte seine Stirn an ihre. Sie lächelte und schloss kurz die Augen, um dieses Gefühl zu genießen. Doch sie spürte, dass sich in jede weitere liebevolle Geste mehr Schmerz schlich - und sie ertrug es jetzt schon kaum noch. So schwer es ihr auch fiel: es war Zeit zu gehen, sonst würde sie es nicht mehr schaffen.
Sie atmete schwer aus und löste sich von ihm. Er verstand sofort und seufzte schwermütig, griff jedoch kommentarlos zu ihrer Tasche und öffnete ihr widerstrebend die Tür. Nie hatte er sich mehr gewünscht, tatsächlich ein egoistischer, selbstsüchtiger Verbrecher zu sein, der einfach diese verdammte Tür wieder zuschlug und sie dazu zwang, hierzubleiben.
Aber allein die Vorstellung, ihre Liebe im Laufe der Zeit schwinden zu sehen, war zehn Mal schlimmer als der Schmerz jetzt. Und das würde unweigerlich passieren, weil sie eben nicht hierher gehörte...
Den Weg an Deck verbrachten sie schweigend, aber dicht beieinander. Erst als sie in das strahlende Sonnenlicht traten, ließen sie einen kleinen Abstand zwischen sich.
Der Rest der Rogerpiraten hatte auffällig ruhig an Deck herumgelümmelt, doch sie sprangen sofort auf, als Lilian auftauchte.
„Lys!" Buggy stürzte sich als erster regelrecht auf sie. Schmunzelnd fing sie ihn ab und erwiderte seine Umarmung. „Willst du nicht doch hierbleiben? Ich will nicht, dass du gehst!", jammerte er steinerweichend und handelte sich einen finsteren Blick von Rayleigh ein - er wollte nicht, dass es für sie schwerer als nötig wurde. Doch Lilian hatte mehr oder minder damit gerechnet und es erweichte ihr das Herz, wie sehr er sie mochte.
Tröstend strich sie ihm über die Mütze.
„Es geht leider nicht anders... aber es war eine wirklich schöne Zeit und es hat ganz mich außerordentlich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen! Du wirst mir fehlen, Buggy!", erwiderte sie und gab ihm ein letztes Küsschen - auf den Mund.
Völlig fassungslos riss er die Augen auf, lief tomatenrot an und erstarrte zu einer Art glückseligen Salzsäule, was bei den Umstehenden für erheitertes Gelächter sorgte.
Und Lilian aufatmen ließ.
Diese Atmosphäre gefiel ihr gleich besser und machte es ihr leichter.
„Das darf ich mir jetzt bestimmt ewig anhören...", grinste Shanks mit schiefem Blick auf seinen völlig entrückten Kameraden. Sie zwinkerte ihm spitzbübisch zu.
„Ich bin mir sicher, du holst ihn in absehbarer Zeit auf den Boden der Tatsachen zurück!", vermutete sie goldrichtig, was ihn glucksen ließ.
„Aye, Ma ám!", erwiderte er und salutierte, doch sein Lächeln wirkte verkrampft und seine Stimme zitterte ganz leicht – er bemühte sich ganz eindeutig, ihr zuliebe ein fröhliches Gesicht zu machen. Das war eine Tatsache, die sie schlucken ließ. Dieser liebe, gutherzige kleine Kerl! Unvermittelt packte sie ihn und zog ihn in eine feste Umarmung.
„Bleib bitte so wie du bist, Shanks. Du bist ein toller Mensch, und solche wie dich braucht die Welt! Danke für die schöne Zeit, ich werd dich nie vergessen!", flüsterte sie ihm liebevoll zu und spürte, wie er sich versteifte und den Atem anhielt. Einen kurzen Moment gelang es ihm, sich zusammenzureißen... doch dann schlang er plötzlich doch fest seine Arme um sie.
„Ich vergess dich auch nicht, Lys...", hauchte er erstickt und atmete abgehackt aus – offenbar hatte sie seine guten Vorsätze mit ihren Worten gründlich ruiniert, was auch ihre Augen brennen ließ. Nach Rayleigh hatte sie eindeutig den Rotschopf ganz besonders in ihr Herz geschlossen...
Er war einfach etwas Besonderes und sie hätte gern gesehen, wie er erwachsen wurde. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass Shanks ein Unbekannter bleiben würde - er hatte es faustdick hinter den Ohren und in mehrerlei Hinsicht ähnelte er Roger... und Rayleigh.
Nein, von Shanks würde sie eines Tages ganz sicher hören. Und seinen Steckbrief in den Händen halten.
Entschlossen blinzelte sie die unerwünschte Nässe in ihren Augen weg – sie würde jetzt nicht weinen, das hatte sie sich geschworen.
Nicht vor ihnen und auch nicht vor Rayleigh.
Aufmunternd klopfte sie Shanks auf den Rücken. Spürbar widerstrebend löste er sich von ihr und drückte sich sofort seinen Strohhut so tief ins Gesicht, dass er es fast vollständig verdeckte.
Auch die übrigen Piraten kamen nun nacheinander auf sie zu und verabschiedeten sich herzlich von ihr. Manche schlugen ihr kameradschaftlich auf Schulter oder Rücken, andere, wie Scopper, Taro, Pine und Spencer, schlossen sie noch einmal kräftig in den Arm. Auch diese Abschiede schmerzten, fielen ihr aber deutlich leichter, weil sie alle lächelten und ihr das Gefühl gaben, dass es so richtig war. Nicht, weil sie Lilian nicht gern genug gehabt hätten, sondern weil sie die Tatsache, dass es eben nicht anders ging, akzeptiert hatten.
Zuletzt landete sie in der bärigen Umarmung von Roger.
„Machs gut, Lys. War mir eine Ehre, dich kennenzulernen!", grollte er gutmütig und drückte ihr dabei unauffällig einen kleinen Zettel in die Hand. Unendlich dankbar ließ sie ihn in ihrer Hosentasche verschwinden und drückte ihn fest.
„Und mir erst! Das war wirklich die beste Entführung aller Zeiten!"
Er lachte leise und klopfte ihr auf den Rücken, ehe er sie losließ und ihr einen kleinen Beutel reichte.
„Kann ich nur zustimmen, wir haben eindeutig die richtige Geisel erwischt. Nimm das mit als Lohn für deine Arbeit an der Oro und... als kleine Aufwandsentschädigung für den ungeplanten Umweg. Komm gut nach Hause und pass auf dich auf, klar?"
Lilian nickte gerührt und nahm den prall gefüllten, ordentlich schweren Beutel entgegen. Sie sah bewusst nicht hinein, denn das würde ziemlich sicher zu Diskussionen darüber führen, weil es ganz bestimmt viel zu viel war. Ihr war auch so klar, dass er mehr als großzügig gewesen sein musste und höchstwahrscheinlich sogar noch für das Kind etwas extra draufgelegt hatte... aber sie wollte jetzt garantiert nicht mit ihm streiten.
„Danke Roger... für alles. Und viel Glück bei eurem Vorhaben, ich drück euch die Daumen, dass es gelingt!", erwiderte sie aufrichtig. Roger grinste breit und herausfordernd – ein Gesichtsausdruck, der ihr schon auf seinen Steckbriefen imponiert hatte, aber jetzt noch viel eindrucksvoller war. Er ließ keinen Zweifel daran zu, dass er es schaffen würde; sein Wille konnte buchstäblich Berge versetzen.
„Das wird es, Kleine! Wir schreiben Geschichte... du wirst schon sehen!", dröhnte er laut und erntete ein entschlossenes Jubeln von seiner Crew, das ihr eine Gänsehaut verursachte und sie lächeln ließ.
„Ihr seid alle verrückt... vermutlich kann ich euch deshalb so verdammt gut leiden", schmunzelte sie. Die Piraten grinsten geschlossen.
„Gleich und gleich gesellt sich gern, hab ich mal gehört...", neckte Spencer sie und stieß Lilian mit dem Ellbogen an. Sie schnaubte belustigt, widersprach aber nicht. Ganz normal war sie mit Sicherheit auch nicht... aber genau dieses Gefühl hatten die Piraten ihr hier gegeben: dass sie eben doch „normal" war. Sie hatten sie genauso akzeptiert wie sie war und sie wie eine von ihnen behandelt. Das war es, das ihr wohl am meisten fehlen würde... Schweren Herzens sah sie sich nach Rayleigh um, der neben der ausgelegten Planke stand und mit einem wehmütigen Lächeln alles beobachtet hatte. Sie wusste, dass es ihm gefiel, wie gut sie mit seinen Kameraden zurechtkam.
Sie straffte sich.
„Also dann machts gut, Leute! Passt auf euch auf, es hat echt Spaß gemacht", verabschiedete sie sich bemüht locker und trat zu Rayleigh, der ihr kurz aufmunternd über die Hand strich. Dankbar schenkte sie ihm ein kurzes Lächeln und verließ mit ihm gemeinsam das Schiff.
Nie zuvor war ihr etwas so schwer gefallen...
Am steinigen Strand der Insel angekommen, warf sie einen letzten Blick zurück auf die legendäre Oro Jackson, das mit Abstand schönste Schiff, das sie je gesehen oder betreten hatte. Es erfüllte sie noch immer mit großem Stolz, wenn sie an die gelungene Reparatur dachte – das war eine Leistung, auf die jeder Handwerker ihrer Zunft zurecht stolz sein konnte. Mittlerweile sah man die Stelle kaum noch, und sehr bald wäre sie ganz verschwunden. Die Beste Reparatur an einem Schiff war eine Unsichtbare, und das war ihr gelungen.
Die Rogerpiraten versammelten sich an der Reling.
„Machs gut, Lys!"
„Lass dich nicht wieder entführen, klar?"
„Ciao, Lys!"
„Lass dich bloß nie unterkriegen!"
„Trink einen auf uns in der nächsten Bar!"
„Vergiss uns ja nicht, Lys – wir tun's auch nicht!"
„Und wenn dich mal wieder einer nervt, zieh ihm nen Teller drüber!"
Die Worte blieben Lilian im Hals stecken, also beschränkte sie sich auf heftiges Winken, während ihr Blick noch ein letztes Mal über die Rogerpiraten glitt. Alle grinsten ihr zu, nur Buggy heulte. Sogar Shanks hatte sich wieder gefangen und winkte ihr lächelnd zu, auch wenn seine Augen ein bisschen rot waren. Sie warf ihm eine Kusshand zu – dann wandte sie sich endgültig ab und folgte Rayleigh einen schmalen Pfad in den lichten Wald hinein.
Kaum war die Bucht hinter ihnen im Grün verschwunden, legte Rayleigh beim Gehen einen Arm um ihre Schulter und zog sie dicht an sich. Diesen Halt hatte Lilian auch bitter nötig; sofort umschlang sie seine Hüfte und atmete bebend durch. Der erste Abschied war geschafft... bloß würde der Zweite noch viel schlimmer werden.
„Wie weit gehst du mit?", fragte sie leise.
„Bis kurz vor die Stadt. Das ist ein großer Wald, es sind fast drei Stunden Fußmarsch und ich will wenigstens sichergehen, dass du auch heil ankommst!", antwortet er entschlossen und zauberte ihr damit ein Lächeln auf die Lippen.
„Du bist also doch eine Glucke!", neckte sie ihn ablenkend, woraufhin er belustigt – und erleichtert -schnaubte.
„Das nennt man verantwortungsbewusst, junges Fräulein! Würde ich dich beglucken, würde ich dich unter mein Hemd stecken und den ganzen Weg tragen", gab er trocken zurück. Lilian sah ihn schmachtend an und fasste sich ergriffen ans Herz.
„Aaawww... Was für eine süße Vorstellung! Steckt da vielleicht am Ende doch ein Romantiker in dem berüchtigten dunklen König?"
Er lächelte raubtierhaft zu ihr hinab.
„Verwechsle bloß nicht Romantik mit dem habgierigen Besitzanspruch eines Piraten zu seinem Schatz!", raunte er bedrohlich und presste sie verdeutlichend enger an sich. Lilian entwich geräuschvoll die Luft, doch sie feixte.
„Uuuund das wars, mein Lieber! Du hast mich 'Schatz' genannt, ergo bist du eben doch ein Romantiker!"
Rayleigh lachte geschlagen und sie stimmte mit ein. Es war ein herrliches Gefühl; beide genossen es aus tiefster Seele und nutzten den langen Marsch noch einmal ausgiebig für ihre geliebten neckenden Flirts und kleinen Sticheleien. Vergaßen noch einmal alles andere um sich herum und lebten vollkommen in der unmittelbaren Gegenwart...
Aber anders hätte auch keiner von ihnen den Weg durchhalten können.
Erst, als Rayleigh viel zu schnell widerstrebend stehen blieb, verschwand die schöne Illusion und wich der bitteren Realität.
„Es... sind noch etwa fünfzehn Minuten Weg, dann erreichst du das Ende des Waldes. Nicht weit dahinter beginnt die Stadt... es wäre riskant, mit dir zusammen weiterzugehen."
Mit zusammengebissenen Zähnen nickte sie; alle Kraft schien aus ihren Gliedern zu entweichen, während parallel dazu ihr Herz plötzlich Tonnen zu wiegen schien.
Schweigend verharrten sie dort einen Augenblick, beide sammelten sich, um das Unausweichliche zu tun.
„Pass um Himmels Willen auf dich auf, ja?", murmelte Rayleigh heiser und presste sie gleich darauf unvermittelt so fest an sich, dass ihre Lungen und Rippen protestierten – aber genau das brauchte sie jetzt.
„Das gilt auch für dich – ich behalte die Zeitung im Auge und erfahr sofort wenn du dich nicht dran hältst!", drohte sie erstickt, ehe sie resolut in seinen Nacken griff und ihn herrisch zu sich zog. Sofort drängten sich seine Lippen hart an ihre, spalteten sie und eroberten gierig ihren ganzen Mund. Lilian schnaufte überwältigt, hielt jedoch dagegen und ließ sich auf dieses letzte feurige Duell ein... ein Duell, das sie beide gewannen und beide verloren, so wie sie einander gewonnen hatten und nun wieder verlieren würden. Aber egal wie schwer die kommende Zeit sein würde, keiner von beiden bereute das Geschehene – im Gegenteil. Dieser letzte Kuss zeigte ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit, warum all das den kommenden Schmerz mehr als wert gewesen war.
Es dauerte viele Minuten, bis die verzweifelte Leidenschaft zwischen ihnen langsam verklang und ihre Küsse ruhiger und zärtlicher wurden, bis sie nur mehr zu hauchzarten, aber unendlich liebevollen Liebkosungen wurden. Jeder Herzschlag schien eine Ewigkeit zu dauern und doch schneller zu vergehen als jemals zuvor. Keiner von beiden wollte auch nur einen einzigen Augenblick hiervon je vergessen...
Als sie einander schließlich wieder in die Augen sahen, wussten sie, dass der Zeitpunkt gekommen war. Es war alles gesagt, alles getan. Jeder weitere Moment würde den Schmerz nur verschlimmern.
„Leb wohl, Rayleigh...", flüsterte Lilian erstickt.
„Machs gut, Lilian", entgegnete der dunkle König gepresst und trat langsam von ihr zurück. Der Augenblick, als ihre Hände sich endgültig voneinander trennten, ließ Lilians Herz brechen. Dennoch brachte sie ein letztes Lächeln für ihn zustande, ehe sie sich abrupt abwandte und ging.
Es waren die mit weitem Abstand schwersten, schmerzhaftesten Schritte ihres Lebens – und nur das Geräusch seiner eigenen leisen Schritte, die ihn zeitgleich in die entgegengesetzte Richtung führten, gaben ihr die Kraft dazu.
Das hier war ihre gemeinsame Entscheidung gewesen und sie führten sie gemeinsam aus – keiner ließ den anderen stehen. Diese Tatsache war so entscheidend... und so schrecklich es klang, es war das einzig Tröstliche in diesem Moment. Das Einzige, das den brüllenden Schmerz in ihrem Inneren noch eine Weile in Schach hielt, damit er ihn nicht mehr zu Gesicht bekam.
Die letzten fünfzehn Minuten Weg waren eine Tortur und eine Zerreißprobe für ihre Nerven; der Drang, sich umzudrehen war übermächtig. Doch sie tat es nicht.
Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, die Lippen eisern zusammengepresst, die Hände verkrampft um ihre Tasche und um den Tigerzahn geklammert, der um ihren Hals hing. Mit dem verzweifelten Versuch, an nichts anderes zu denken als an den nächsten Schritt. Und den nächsten... und den nächsten... und den nächsten...
Erst, als sie statt Waldboden plötzlich Gras unter ihren Schuhen sah, blickte Lilian auf. Vor ihr erstreckte sich noch etwa fünfhundert Meter sonnenbeschienene Wiese, doch dahinter konnte sie die ersten Häuser sehen. Ihr Weg war zu ende.
Schwindel erfasste sie und ihre Beine drohten zu versagen. Ein Stück zu ihrer Rechten entdeckte sie einen einsamen Weidenbaum, auf den sie schwer atmend zutaumelte, um sich abzustützen - ehe sie endlich zurücksah.
Und nichts sah als Wald.
Er war endgültig weg.
Der Schmerz, der sie jetzt traf, riss sie beinahe auseinander. Mit einem unterdrückten Stöhnen brach Lilian zusammen und der lang unterdrückte Kummer bahnte sich gewaltvoll seinen Weg nach draußen.
Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie es nicht verhindern können.
Heiß und unaufhaltsam liefen ihr die Tränen in einer wahren Sturzflut über das Gesicht, ein markerschütterndes Schluchzen nach dem anderen schüttelte ihren ganzen Körper durch und ließen sie lauter weinen, als sie es je zuvor getan hatte.
Aber es tat einfach so weh! So fürchterlich weh...
Sie würde Rayleigh nie wieder sehen.
Nie wieder in seine sturmgrauen Augen blicken, nie wieder dieses schelmische Funkeln darin sehen, nie mehr von seinem lausbubenhaften Lächeln getroffen werden. Ihn nie mehr berühren, nie mehr in seinen starken Armen liegen und nie wieder seine Lippen auf ihren spüren.
Nie mehr seine raue, tiefe, beruhigende Stimme hören.
Als bloßes Weinen nicht mehr genügte, um dem bohrenden Schmerz zu entkommen, presste sie ihre Stirn in das verdammte Gras und schrie sich das Elend aus dem Leib.
Sie schrie, bis ihr die Stimme versagte und sie einfach weiter die Tränen ins Gras laufen ließ.
Es war so unfair... so verdammt unfair... Warum?!?! Warum hatte sie ihn nicht behalten können?! Jede Faser ihres gebrochenen Herzens wünschte sich auf die Oro Jackson zurück, egal wie unvernünftig es war. Lilian wollte grade auch nicht mehr vernünftig sein, sie wollte einfach nur zurück zu ihm und dem brennenden Schmerz entkommen.
Es war so viel schlimmer als sie befürchtet hatte... Liebe und Leid lagen wirklich so dicht beieinander, wie es in Büchern und Gedichten immer hieß. So viel Liebe, so viel Leid...
Wie lang sie dort auf den Knien mit dem Gesicht im Gras lag, wusste sie nicht.
Minuten?
Stunden?
Sie hatte keine Kraft, um aufzustehen oder auch nur die dummen Tränen wegzuwischen, die ihr immer noch über das vermutlich fürchterlich gerötete und verquollene Gesicht liefen.
Wozu auch? Es kamen ja immer wieder neue, als ob sie den ganzen verdammten Eastblue mit sich herumschleifen würde!
Erst ein leises, raschelndes Geräusch holte sie auf ihrem Elend und ließ sie erschrocken zusammenzucken.
Hektisch setzte sie sich auf, sofort mit der absurden Hoffnung, Rayleigh zu sehen - doch sie wurde enttäuscht. Etwa drei Meter von ihr entferne saß eine ältere Frau mit zwei kleinen Taschen im Gras und zupfte rote Blütenblätter von einer kleinen Blume, die sie in einem Röhrchen sammelte. Die eine Tasche war vollgestopft mit ähnlichen Blumen und komisch verdrehten Wurzeln, in der anderen befanden sich haufenweise unterschiedlich großer Gefäße. Die Frau selbst schien etwa in den Sechzigern zu sein, hatte überwiegend graues, etwas zerzaustes Haar mit ein paar letzten braunen Strähnen und eine markante, schnabelähnliche Nase.
Wie lang war sie schon da?
WARUM war sie da?
Krampfhaft versuchte Lilian sich zusammenzureißen, um kein ganz so jämmerliches Bild abzugeben, was die Fremde zu bemerken schien. Sie hob den Kopf und warf ihr einen kritischen Blick aus klugen, stechend blauen Augen zu.
„Heul weiter!", befahl sie trocken und widmete sich wieder der Blume. Verdattert starrte Lilian sie an.
„W-was?", krächzte sie heiser und erschrak selbst beim Klang ihrer Stimme. Die Alte seufzte.
„Nicht fragen, heulen! Das war noch nicht alles, da ist noch mehr drin, was raus will. Also mach weiter. Und wenn du fertig bist, reden wir", erwiderte sie schlicht und schnippte den abgezupften Stängel weg. Erneut wischte Lilian sich über die Augen - als ob sie jetzt weiterweinen würde!
„Ich bin f-fertig!", stieß sie stur hervor, doch die Fremde schnaubte nur, ohne aufzusehen.
„Denk einfach an seine Augen!"
Woher...?!
Aber natürlich sah sie im selben Moment automatisch wieder Rayleighs Augen vor sich... und ein neuerlicher Weinkrampf zwang sie unerbittlich zurück auf den Boden.
„Sag ich doch...", murmelte die Alte und Lilian blieb nichts anderes übrig, als ihre stumme Anwesenheit hinzunehmen. Sie musste selbst einsehen, dass sie noch lange nicht bereit war, mit dem Heulen aufzuhören.
So ungern sie das zugab. Sie hasste es sogar! Aber der Schmerz saß einfach zu tief, sie konnte es nicht verhindern und nicht zurückhalten, und die elende Heulerei war gerade die einzige Möglichkeit, ihn irgendwie zu ertragen.
Es dauerte lang.
Die Sonne war ein gutes Stück nach Westen gewandert, ehe Lilian irgendwann einfach keine Tränen mehr hatte. Völlig erschöpft rappelte sie sich auf und fuhr sich durchs Gesicht.
Die Fremde war tatsächlich noch immer da... was seltsam tröstlich war. Mit den Blumen war sie offenbar fertig geworden, jetzt zog sie geschickt eine der sehr faserigen Wurzeln in kleinen Fäden auseinander und sammelte sie in einem anderen Gefäß.
„Na? Kommt nix mehr?", fragte sie unvermittelt und sah erneut auf, diesmal war ihr Blick jedoch etwas sanfter.
Lilian schüttelte matt den Kopf.
„Nein...", murmelte sie heiser. Die Frau nickte zufrieden und packte ihre Sachen weg, ehe sie sich erhob und zu ihr kam. Sie trug abgewetzte Wildlederhosen mit dazu passender Jacke, außerdem schien sie sogar noch kleiner zu sein als Lilian. Sie setzte sich neben sie und musterte sie prüfend.
„Du bist diese entführte Frau aus der Zeitung, stimmts?", begann sie ohne Umschweife und ließ Lilian zusammenzucken. Es hatte also zumindest einen Bericht gegeben... sie antwortete nicht, aber das war wohl auch nicht nötig, denn die Alte schmunzelte verhalten. „Scheint so, als wären die Rogerpiraten aber ganz anständig mit dir umgegangen - für welchen von ihnen hast du dir die Augen denn grade ausgeheult?"
Jetzt erschrak Lilian wirklich.
Um Himmels Willen, das durfte doch keiner wissen!! Sofort setzte sie zum Widerspruch an, doch die Fremde unterbrach sie direkt, indem sie mahnend den Finger hob.
„Ah, versuch gar nicht erst zu lügen, Kind! Ich beherrsche Observationshaki und bin außerdem eine verdammt gute Menschenkennerin. Aber mach dir keine Gedanken, ich hab mit den geschleckten Weißhemden da oben nichts am Hut. Im Gegenteil, ich war selber eine Zeit lang mit Piraten unterwegs und hatte da auch die ein oder andere wilde Romanze...", erzählte sie und zwinkerte ihr zu. „Jetzt sag erst mal, wie du heißt, dein Name stand zwar in der Zeitung, aber ich hab ihn schon wieder vergessen!"
Es dauerte einen Augenblick, ehe Lilian diese Informationen in ihrem erschöpften Hirn verarbeiten konnte. Ob das wirklich stimmte, was die Frau erzählte? Vernünftiger wäre es wohl, vorsichtig zu sein und misstrauisch zu bleiben – aber ihr Instinkt sagte ihr, dass hier ein Mensch war, mit dem sie offen reden konnte. Und bisher hatte ihr Instinkt sie noch nie betrogen... aber vielleicht fühlte sie sich gerade auch einfach nur so unfassbar allein und verloren, dass sie gar keine Kraft mehr hatte, um misstrauisch zu sein.
„Ich bin Lilian... und ja... sie haben mich zwar entführt, aber... schlecht ist es mir nicht gegangen...", flüsterte sie zittrig und versuchte tief durchzuatmen, aber ihr Brustkorb fühlte sich an wie zugeschnürt. Die Unbekannte lächelte schief.
„Na schön Lilian, wie wärs, wenn du mich in meine Apotheke begleitest und erst mal eine Tasse Tee mit mir trinkst? Ich bin übrigens Baska, und willkommen auf Curious!"

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Zwischen Schwarz und Weiß
Fanfiction(Rayleigh x OC) Eigentlich sollte es für Lilian eine normale, stinklangweilige Fahrt von der Grandline nach Hause werden - doch es kommt ganz anders. Das Passagierschiff wird überfallen und plötzlich steht ihre ganze Welt Kopf. Nicht nur, dass sie m...