Zwischen Schwarz und Weiß

Prolog

„Darf ich Ihre Bordkarte sehen, Miss?" Auffordernd streckte der Matrose der jungen Frau mit den langen, glatten, dunkelbraunen Haaren die Hand entgegen.
„Natürlich, bitte sehr!" Lächelnd reichte sie ihm das gewünschte Papier und strich sich eine verirrte Strähne aus den ungewöhnlich karamellfarbenen Augen, die die frische Meeresbriese hineingeweht hatte. Er nahm sie entgegen, warf einen Blick darauf und hakte ihren Namen auf seiner Liste ab.
„Lilian Salvador, achtwöchige Reise von Tarrepol nach Loguetown, Ticket zweiter Klasse. Herzlich willkommen an Bord, Ihre Kajüte befindet sich im ersten Unterdeck, eine Treppe runter und denn Gang rechts bis zur Nummer 177! Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise!"

Lilian bedankte sich höflich, schnappte sich ihre große Tasche und betrat das stattliche Passagierschiff „Oceans Pearl", das sie endlich wieder heim bringen sollte.

Heim.

Nach so langer Zeit... gedankenversunken schlenderte sie über das stattliche Schiff.
Ob sich in Loguetown wohl viel verändert hatte? Was hatte sie in der Zwischenzeit wohl alles verpasst? Außer der Hochzeit ihrer älteren Schwester Lydia mit einem angesehenen Marinekapitän... was sie allerdings nicht besonders traurig stimmte. Sie und ihre Schwester hatten sich nie sonderlich gut verstanden, dazu waren sie viel zu unterschiedlich. Lydia die elegante, pflichtbewusste, tadellose Lady - Lilian der direkte, zupackende, gern mal unvernünftige Freigeist.
Egal. Aber deshalb war es wohl für alle besser gewesen, dass sie nicht auf der ultraschicken, megapompösen Hochzeitsfeier hatte sein können. Vielleicht hatte Lydia das auch so geplant? Zuzutrauen wäre es ihr. Ihr Vater hatte ihr alles haarklein in einem seiner Briefe geschrieben, das genügte ihr vollkommen um es unter dem Buchstaben „U" für „Uäch" abzuhaken.

Den Anweisungen des Matrosen folgend ging sie unter Deck in die klaustrophobisch engen Gänge und suchte ihre Kajüte.
Ah, Nummer 177!
Sie trat ein und betrachtete wenig begeistert die spartanische Ausstattung, bestehend aus einem schmalen, metallenem Bett, zwei noch schmäleren, spindähnlichen Schränken sowie einem kleinen Metalltisch mit zwei wenig bequem wirkenden Stühlen unter einem Bullauge. Eine Tür führte in eine verblüffend winzige Toilette sowie einer Beschreibung zu den Gemeinschaftsduschen, die auf dem NOCH winzigeren Waschbecken lag. Die Kompaktheit dieser Räume war beachtlich.

„Puh. Acht volle Wochen könnten in dieser Sardinenbüchse eventuell lang werden...", murmelte sie resigniert. Hoffentlich herrschte wenigstens oft gutes Wetter, damit sie sich die Zeit möglichst häufig an Deck vertreiben konnte! Seufzend verstaute sie ihre wenige Kleidung sowie ihre heißgeliebte Werkzeugtasche in den Spinden und schloss sie gewissenhaft ab, obwohl sie außer den Werkzeugen nichts wertvolles mit sich führte - die paar Berrys, die ihr nach dem Kauf dieses überteuerten Tickets geblieben waren, würden keinen Dieb sonderlich glücklich machen. Höchstens mitleidig... vielleicht legte der hypotetische Dieb ja sogar was dazu? Lilian grinste bei der Vorstellung.

Trotzdem war sie wirklich froh, endlich von der Handwerksinsel Tarrepol wegzukommen. Zwei Jahre hatte sie dort ihre Zimmerei- und Schiffsbaukenntnisse verfeinert - als einzige Frau weit und breit. Hätte sie für jeden saudummen Spruch und jeden herablassenden Satz einen Berry bekommen, würde sie jetzt garantiert nicht Holzklasse fahren.
Möglicherweise hätte sie sich ihr eigenes Schiff gekauft.
Plus Mannschaft.
Daheim würde sie jedoch endlich wieder in der vertrauten Werft ihres Vaters arbeiten, wo niemand ihr Können anzweifelte. Die meisten ihrer Kollegen kannten sie von kindesbeinen an und wussten, was sie drauf hatte.
„Idiotenfreies Arbeiten, ich komme!", rief sie ihrer optimistischen Natur getreu und pfefferte ihre leere Tasche unter den Tisch. Nur noch acht Wochen Seereise, dann war es überstanden.

Was sollte da schon passieren?