Johanna rannte immer weiter und immer schneller. Nur weg von den Leuten. Sie blieb auf einer kleinen Lichtung stehen und schaute sich erstmals richtig um. Die Sonne schien durch die Blätter, die Vögel zwitscherten fröhlich vor sich hin und der Wind streifte leicht über ihre schwitzige Haut. Es schien alles gut zu sein, aber leider war es das nicht. In Johanna tobte es. Sie hasste ihre Eltern, die sie durch ihre kleine Schwester Jolanda ersetzten. Sie hasste die Schule und ihre neue Lehrerin, die ihr alles vorschreiben wollte. Aber jetzt in diesem Moment schien es, als würde Johannes alles vergessen können. Jetzt in diesem Moment war sie mehr als glücklich und zufrieden.
Johanna kletterte auf eine Buche am Rande der Lichtung und zog sich auf einen dicken Ast. Johanna wollte nur ganz kurz die Augen schließen und schon schlief sie ein. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie wenige Meter entfernt, ein hundeähnliches Tier stehen. Aber es war kein Hund.. Es war ein großer, grauer Wolf. Johanna hielt ganz still. Nicht, weil sie Angst hatte, sondern weil sie ihn nicht erschrecken wollte. Plötzlich hielt der Wolf inne und schaute sich prüfend um. Er erblickte Johanna! Einen kurzen Moment schauten sich beide in die Augen. Doch dann verschwand der Wolf im Unterholz. Noch ein paar Sekunden lang, saß Johanna unbeweglich da. Sie konnte kaum fassen, was sie da eben gesehen hatte. "Ein Wolf! Ein echter Wolf." Er hat sie angesehen mit seiner einschüchternten Art und trotzdem sah sie etwas besonderes in ihm.
Sie sah auf ihre Armbanduhr und erschrak, denn sie musste ihren Eltern versprechen um drei Uhr wieder zuhause zu sein. Und nun war es schon viertel nach fünf. Das würde Ärger geben! Johanna rutschte von dem Ast, auf dem sie saß, und rannte querfeldein nach Hause. Zehn Minuten später erreichte sie das alte Fachwerkhaus, in dem sie mit ihrer Familie lebte. Sie schloss die Tür auf und stutze verwundert: Das Licht war aus. "Hallo? Mama? Papa? Jolanda? Ist jemand zuhause?" fragte sie sich. Als keine Antwort kam, ging Johanna in die große Küche und sah einen Zettel auf dem Tisch: "Hallo Johanna, Papa und ich bringen Jolanda zum Ballett. Wir sind spätestes um sechs Uhr wieder da!" Johanna seufzte erleichetet. Ihre Eltern hatten nicht bemerkt, dass sie über eine Stunde zu spät war. Sie lief hoch in ihr Zimmer und schloss die Tür ab. "Der Wolf!" dachte Johanna. Sie musste ihn wiedersehen! Er hatte ihr in die Augen geschaut. Diesen Blick würde sie nie wieder vergessen. Ein Blick und so viele Bedeutungen: Mut und Wildnis, aber auch Scheue und Angst. Um noch etwas kalte und klare Waldluft in ihr Zimmer zu lassen, öffnete sie ihr Fenster. Da vernahm sie eine Melodie, ein Heulen! Ein Wolfsgeheule! In diesem Moment wusste Johanna, diesen Wolf hatte sie nicht zum letzten Mal gesehen. Mit einem Lächeln im Gesicht schloss sie das Fenster und legte sich in ihr Bett, denn anders als ihre kleine Schwester, hatte sie morgen Schule und wollte im Matheunterricht nicht einschlafen.
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The Woods of Freedom
Teen FictionStress in der Schule und mit den Eltern. Wut und Angst durchbohren die zwölfjährige Johanna. Als es ihr endgültig zuviel wird, haut sie von Zuhause in den Wald ab. Dort findet sie das Glück in der Einsamkeit und lernt sich besser kennen, als sie dac...