Die Vernunft ist eine Art des Denkens, die es dem menschlichen Geist erlaubt, seine Bezüge zur Realität zu organisieren. Für Descartes ist sie zudem die Fähigkeit, richtig zu urteilen und die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden und er hält sie für von Natur aus bei allen Menschen gleich, gleichzusetzen mit dem „gesunden Menschenverstand".
Dieser gesunde Menschenverstand, den Robert vor Monaten als Hauptargument gegen eine Beziehung mit ihr verwendete, machte ihr seit jenem Abend vor der Bar schwer zu schaffen. Wie konnte es sein, dass ein Gefühl, das sie so sehr einnahm, nichts Wert zu sein schien? Wie konnte es sein, dass sich etwas, was sich so richtig anfühlte, als falsch angesehen wurde?
Annalena hatte seit ihrer Frage an Robert, ob er seine Frau noch liebte, kein Wort mehr über ihre Gefühle für ihn verloren. Sie kam sich irgendwie lächerlich vor. Robert hatte sich bewusst für seine Frau entschieden und ihr unmissverständlich klar gemacht, dass da nie mehr zwischen ihnen sein konnte. Das hatte ihr Kopf akzeptiert, aber ihr Herz interessierte das nicht. Immer, wenn sie ihn freitags im Bundestag sah, schnellte ihr Puls in die Höhe und der Umstand, dass er dabei genau vor ihr saß, machte es nicht besser. Immer noch erwischte sie sich dabei, wie gern sie einfach noch einmal unbeschwert mit ihm reden würde, wie gerne sie ihn zu einem schnellen Kaffee vor dem Reichstagsgebäude überreden würde. Doch die Zeiten waren lange vorbei. Mittlerweile hatten andere Kolleg*innen ihren Platz an seiner Seite eingenommen und das war angesichts der Umstände auch die richtige Entwicklung.
Sie beide waren mittlerweile zu einem distanzierten, freundlichen Umgang übergegangen, gepaart mit einigen Momenten der peinlichen Stille. Dieser Moment, dachte Annalena, als sie gerade in der Einfahrt vor Schloss Meseberg angekommen war, war wieder so einer. Robert und sie waren die ersten Gäste des Tages. 'Typisch!', dachte sie, denn genau diese Eigenart teilten sie miteinander. Sie waren immer zu früh am Ort des Geschehens, um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Tja, die Situation hätte sie sich gerne erspart, denn als sie aus ihrem Dienstwagen stand und ihn auf der Treppe sitzend mit einem freundlichen "Hallo Robert!", begrüßte, ahnte sie schon, dass sich die Konversation nicht zu einem entspannten Plausch entwickeln würde.
"Hey, Annalena! Die Tür ist noch zu!", informierte er sie schnell, bevor er wieder auf seinen Laptop schielte und sich ein wenig hibbelig hin und her bewegte, vermutlich um die ungemütliche Position auf der harten Treppe ein wenig abzufedern. "Okay, dann warten wir halt!", antwortete sie kurz und sie ahnte schon, dass sich nun die peinliche Stille über sie legen würde.
Robert schien das allerdings nicht weiter zu stören - er tippte weiter auf seinem Laptop herum und beantwortete ein paar E-Mails, während sie sich neben ihn auf die Treppe setzte und ihr Gesicht in die Sonne hielt. Sie sah ihn ein paar Mal aus dem Augenwinkel heraus von der Seite an, ohne, dass er etwas davon mitbekam. Er sah konzentriert aus, fast ein wenig leidend, dachte sie sich. Doch dieses Schicksal teilten sie seit dem Ukraine-Krieg alle miteinander.
"Sorry, ich habe nur noch diese Mails beantwortet, bin gleich ganz für dich da!", sagte er in die Stille hinein und irritierte Annalena damit.
"Schon gut, arbeite ruhig weiter! Mir macht es nichts aus!", antworte sie ehrlich und dachte an die unbehagliche Konversation, die jetzt unweigerlich folgen würde.
"Nee, das ist unhöflich! Außerdem haben wir seit Wochen nicht miteinander geredet. Wie hast du die letzte Zeit erlebt?", fragte er und gab damit den Startschuss für den peinlichen Smalltalk.
"Was meinst du genau? Die außenpolitische Situation? Die Regierungsarbeit oder den Stress der letzten Wochen allgemein?", stellte sie die Gegenfragen, um ihm aufzuzeigen wie inhaltsleer seine Frage gewesen war. Sie wusste ehrlich nicht, was dieses Gespräch bringen sollte.
Robert verstand sofort. "Entschuldige, das war dumm! Ich wusste nur nicht, wie...", er räusperte sich, "Es ist einfach komisch seit...!" "Ja, ist klar!", unterbrach ihn Annalena bestimmt, "Aber ich kann dich beruhigen! Es ist jetzt wirklich alles gesagt und ich habe damit abgeschlossen! Es ist, was es ist!", fügte sie noch hinzu und ließ Robert, wohlwissend, dass er das Gedicht von Erich Fried kannte, zurück.
Sie hörten beide dem Gezwitscher der Vögel zu, wissend, dass damit alles gesagt war. Er legte ihr sanft seine linke Hand auf ihren rechten Oberschenkel und drückte kurz zu. Annalena zuckte diesmal nicht zurück, sondern ließ die Berührung geschehen. Es war ein Lernprozess dachte sie, irgendwann würde ihr Körper nicht mehr so empfindlich auf ihn reagieren. Es würde irgendwann vergehen.
In diesem Moment klingelte sein Telefon. "Andrea"stand dick und fett auf dem Display. Robert zog sofort seine Hand weg, als hätte er sich verbrannt und sagte nervös: "Sorry! Ich geh da mal dran!" Annalena lächelte ihn ehrlich an: "Sicher! Kein Problem!" Sie hörte wieder dem Zwitschern der Vögel zu.
Es ist, was es ist, wiederholte sie in ihrem Kopf als sie fühlte, dass ihr Herz ihr bis zum Hals schlug und sie es zum ersten Mal akzeptierte.
Trotzdem hoffte sie, dass ihre Gefühle für ihn bald nachlassen würden. Es raubte ihr so viel Kraft. Sie glaubte in diesem Moment noch nicht daran, aber die Zeit belehrte sie schlussendlich eines besseren.
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Unrequited Love (Annalena-Robert-Fanfic)
FanfictionAnnalena war sich sicher, dass er das Knistern in der Luft genau so spürte wie sie es in dem Moment tat. Bei allen Bedenken, die sie aufgrund ihrer politischen Positionen haben konnten - die Wärme, die von ihrer Verbindung ausging, war so elektrisie...