Keuchend sank Liam an einen Baum gelehnt zu Boden. Stundenlang hatte er sich durch den Wald gekämpft, ohne dass dieser lichter geworden war. Hoffnungslosigkeit übermannte Liam, der das gefundene Messer zwischen den Fingern drehte. Seine verletzte Hand hatte sich tatsächlich entzündet, sie war geschwollen, rot und der Schmerz ging seltsam pulsierend von der Wunde aus.
Wie sollte er nur jemals aus diesem Wald gelangen? Immer öfter kam es ihm so vor, als wäre der Wald endlos, ebenso wie der Tag. Noch hatte sich das wenige Licht, das durch die Kronen der Bäume drang, nicht verändert. Als würde die Sonne sich nie bewegen. Mit einem Keuchen schloss er die Augen. Sein gesamter Körper zitterte vor Erschöpfung und Schmerz, als er sich schwerfällig wieder erhob. Hier würde er weder Ruhe noch Schlaf finden.
Müde schnitt er Ranken und Blätter, stapfte durch die niedrig wachsenden Sträucher, die seit einigen Metern den Boden bedeckten und dicke, schwarze Beeren trugen. Wahrscheinlich giftige. Die Sträuche hatten keine Dornen, doch die Beeren zermatschten und verklebten seine Hose. Ihr verlockend süßlicher Duft zerrte an Liams knurrendem Magen und führte ihn in Versuchung, doch er widerstand. Wenn er soweit war, vielleicht giftige Beeren zu essen, konnte er sich auch gleich das Messer über die Kehle ziehen.
Liam biss die Zähne zusammen und kämpfte sich weiter. Nach einer Weile, es könnten Stunden gewesen sein, spürte Liam Kälte über seine Haut kriechen. Die Hitze, die über dem Wald gelegen hatte, war hier nicht mehr zu spüren. Kälte, so durchdringend, dass Liams Atem gefror. Und er hörte etwas, etwas ganz anderes als sein eigenes Rascheln in den Büschen.
Ein Schnarren, das einer Stimme glich. Ein Knurren, das einem Lachen glich. EIn Scharren, das Schritten glich. Da war jemand. Nicht weit von ihm entfernt. Liam erstarrte und lauschte angespannt den sich entfernenden Geräuschen.
"Wird ihm gar nicht gefallen", grunzte einer. "Dass wir ihn verloren haben."
"Oh ja", krächzte eine zweite Stimme. "Ich kann es nicht glauben. Ausgerechnet hier."
Suchten die zwei etwas? Oder jemanden?
"Vielleicht findet er den Jäger selbst. Wie nennt er ihn nochmal?" Das war wieder die Grunzstimme.
"Li-äm. Oder so. Kralle meinte, der Junge würde echt köstlich riechen."
Liams Herz sank in die zerrissene Hose. Sie suchten ihn. Eine Erinnerung bahnte sich in ihm an- Krallen in seinem Fleisch, ein verrottendes Herz, das schwarzes Blut durch einen grauen Körper pumpte. Monster. Monster, die ihn hierher gebracht hatten und nach ihm suchten.
"Wie weit ist es noch?", fragte der Grunzer.
"In drei Stunden sind wir draußen, und du weißt, wie weit es dann noch ist."
Etwas, das wie ein gequältes Stöhnen klang, kommentierte Krächzers Antwort. Die Worte versetzten Liam in Aufregung. Wenn er sich die nächsten drei Stunden an die Monster hielt, würde er aus dem Wald gelangen können. Er musste nur leise sein, sehr leise.
Es stellte sich als einfach heraus, den Monstern zu folgen. Ihre Kälte ließ die Pflanzen sterben und sie kamen schnell voran. Liam ließ sie vorgehen und schlich ihnen auf dem von ihnen geschaffenen Weg hinterher. Die Stunden zogen sich durch seinen Hunger und seine Angst, entdeckt zu werden, in die Ewigkeit. Langsam trottete er den Weg entlang, da raschelte es hinter ihm. Er fuhr herum, die Hand am Messer, doch es waren nur die Ranken, die sich neu bildeten und so den Weg hinter Liam schlossen. Es war ein klaren Zeichen: Niemand, nicht einmal die Monster, konnte diesen Wald zerstören.
"Hier ist es gleich", sagte der Krächzer eine Weile später.
"Stimmt, ich spüre, wies wärmer wird", erwiderte der Grunzer. Es war das erste Mal, dass die zwei wieder sprachen. Offenbar waren Monster nicht sehr gesprächig.
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Das tote Land
FantasyGefangen in einem dunklen Wald und anscheinend in einer völlig fremden Welt, erwacht der siebzehn-jährige Liam eines Tages ohne Erinnerungen. Das einzige, was er weiß, ist, dass er Monster jagen will- oder muss. Während Liam sich nun erst einmal in...