EIn Tropfen ertönte und Liam drehte sich um. Die Badewanne begann gerade, überzulaufen, also sprang er hektisch zu ihr und drehte den Hahn zu. Er ließ noch etwas Wasser ab, um das Bad vor einer Überschwemmung zu schützen, wenn er in die Wanne stieg. Das Handtuch war wie durch ein Wunder trocken geblieben und Liam legte es zur Sicherheit etwas weiter weg. Wie er sich kannte, würde er es sonst wahrscheinlich versehentlich in die Wanne schmeißen. Er zog sich aus und stieg in die Badewanne, wo er, sobald er lag, auch schon wieder müde wurde.
Das warme Wasser tat ihm nur zu gut. Er nahm die Seife und rieb sich damit ein, bis er allen Schmutz abgewaschen hatte und das Wasser braun und schwarz war, dann erhob er sich schwerfällig und sah sich nach dem Handtuch um, das er in seiner Hast zu weit weg gelegt hatte. Er stieg aus der Wanne, schnappte es sich und wickelte sich in genau dem Moment darin ein, als die Tür aufging und Kaia das Bad betrat. Liam zog das Handtuch fester um sich, doch Kaia verzog keine Miene.
"Ich habe dir frische Klamotten von unserem Nachbarn gebracht." Sie hielt sie Liam hin. Der hielt mit der einen Hand das Tuch an seiner Hüfte, mit der anderen nahm er die Klamotten entgegen. Kaias Blick wanderte seinen Körper auf und ab und Liam wandte sich unbehaglich ab.
"Diese Narben sehen schlimm aus", sagte sie leise. Liam drehte sich überrascht wieder um.
"Welche Narben?", fragte er.
"Na die hier", meinte Kaia und berührte seine Schulter. "Und die hier.. die hier.." Sie fuhr fast seinen ganzen Rücken und seine Arme ab, an denen tatsächlich überall Narben waren.
"Ich wusste das nicht", murmelte Liam.
Kaia verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. "Ich lass dich mal alleine."
Liam versicherte sich, dass die Tür auch wirklich geschlossen war, bevor er sich abtrocknete und anzog. Warum waren die zwei so nett zu ihm? Sie kannten ihn doch gar nicht. Doch vielleicht war es ja üblich hier, so gastfreundlich zu sein. Er verließ das Bad und ging den Flur entlang zurück in das, was er als Wohnzimmer vermutete. Leise Stimmen drangen daraus hervor.
"Er ist es", murmelte Kaia.
"Bist du sicher?", fragte Maria.
"Ja. Als ich ihn gefunden habe, waren überall an seinem Körper tiefe Wunden. Er hätte unmöglich überleben können- doch das hat er. Die Wunden sind jetzt nur noch Narben, die aussehen, als wären sie Jahre alt."
Stille trat ein und Liam beschloss, nicht weiter zu lauschen. Er klopfte an die angelehnte Tür und trat ein. Sofort richteten sich zwei Augenpaare auf ihn.
"Hi", sagte Maria fröhlich, während Kaia ihn nur misstrauisch aus zu Schlitzen verengten Augen ansah. "Siehst gut aus in den Klamotten vom Schankwart." Liam fühlte sich verspottet, denn Hose und Oberteil waren ihm drei Nummern zu groß und schlabberten an ihm herum.
"Wie heißt du?", fragte Kaia unvermittelt und harsch. Noch immer waren ihre fast gelben Augen verengt.
"Liam", antwortete er zögernd. Ihre schroffe Art verunsicherte ihn. Andererseits hatte sie sein Leben gerettet und wenn sie ihm etwas Böses wollte, hätte sie ihn in der Wüste sterben lassen. Kaia und Maria wechselten einen raschen Blick, den Liam nicht deuten konnte. "Was ist?", fragte er.
Kaias Blick war steinern geworden. "Ich glaube, du solltest jetzt gehen", sagte sie kalt, erhob sich und wandte sich ab. Maria drehte sich ungläubig zu ihr um.
"Wir können ihn nicht einfach wegschicken! Wir müssen ihm helfen!"
"Ich werde nicht zulassen, dass du dein Leben für einen Fremden aufs Spiel setzt! Du kannst dieses Haus nicht verlassen, schon vergessen? Wenn dich auch nur einer von Alkhas Leuten sieht, bist du eine tote Frau! Ich kann nicht noch einen Gesuchten aufnehmen!"
DU LIEST GERADE
Das tote Land
FantasyGefangen in einem dunklen Wald und anscheinend in einer völlig fremden Welt, erwacht der siebzehn-jährige Liam eines Tages ohne Erinnerungen. Das einzige, was er weiß, ist, dass er Monster jagen will- oder muss. Während Liam sich nun erst einmal in...