𐫱 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩 𝔢𝔦𝔫𝔰 𐫱

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Sie

Tiefe Finsternis umgibt mich. Ein Schauer läuft mir den Rücken runter. Wo bin ich? Oder besser: wer bin ich? Ich zittere am ganzen Körper und mir fällt das Atmen schwer. Ich versuche mich zu sammeln und meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Jetzt bloß keine Panikattacke kriegen.

Ich hänge kopfüber an einer ... Wand? Mauer? Mein Bein hängt in irgendwelchen Ranken fest, was heftig wehtut. Von irgendwoher höre ich unheimliche Geräusche. Schleimiges Knurren, Metall auf Stein, unmenschliches Kreischen. Hinter mehreren Mauern steigt sehr viel Rauch in den Himmel. Schreie. Hilfe. Ich atme noch mal tief durch und versuche mich aufzurichten, irgendwie hochzuklettern, sodass ich mich aufrecht in den Ranken festklammere. Nach mehreren Anläufen habe ich es dann auch geschafft.

Ich fürchte, es ist nicht sonderlich gesund, die ganze Zeit kopfüber rumzuhängen. Wenn mich meine müden Augen nicht täuschen, ist es Nacht und es scheint in der Nähe einen Krieg zu geben.

Ich wage einen Blick nach unten und kralle mich unvermittelt stärker an den glitschigen Pflanzen fest. Das ist wirklich hoch. Wie eine dunkle Schlucht liegt der Steinboden unter mir und scheint nur darauf zu warten, dass ich schmerzhaft zerschelle. Ich wende meinen Blick ab und verbanne die Höhe aus meinen Gedanken.

Schlafen werde ich diese Nacht definitiv nicht mehr. Ist ja nicht grade bequem hier. Mein Herz hämmert gegen meine Brust und ich habe das tiefe Bedürfnis loszuschreien. Was eine sehr dumme Idee ist. Das würde diese komischen Dinger, die die ekelhaften Geräusche machen, anlocken und ich habe keine Lust auf eine Bekanntschaft mit ihnen.

Meine Arme sind mittlerweile träge vom Festklammern und meine Hände wund. Der Schmerz in meinem Knöchel pulsiert und breitet sich wie Spinnennetze in meinem ganzen Körper aus. Vielleicht schaffe ich es, mein Bein und mich von diesem Leiden zu befreien. Mit leichtem Kraftaufwand zerre ich an den hartnäckigen Ranken, doch sie graben sich nur tiefer in mein Fleisch. Dabei vervielfacht sich der Schmerz und treibt mir Tränen in die Augen.

Leise fluche ich in die einsame Dunkelheit hinein. Jeder einzelne Muskel meines Körpers brennt und viel ausrichten kann ich nicht, da ich das Problem nicht sehen kann.

Ich presse mich an den kalten Stein und wickle ein paar Lianen um meine Arme, um sie etwas zu entlasten. Erschöpft lausche ich meinem nervösen Herzschlag und das Flattern meines Atems, bis sie zur Ruhe kommen. Sie vermengen sich mit dem pulsierenden Schmerz zu einem monotonen Rhythmus, bis auch dieser kaum wahrzunehmen ist.

Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als auf den Tag zu warten. Wenn es einen gibt. Ich kneife die Augen zu und wühle in meinem Gehirn nach schönen Erinnerungen, doch stoße auf trübe Leere. Resigniert blähe ich meine Wangen auf und lasse die Luft zischend entweichen. Das wird eine grandiose Nacht.

***

Endlich geht die Sonne auf. Das war die schlimmste Nacht, die ich je erlebt habe. Und die Einzige. Toll. Einfach toll. Aber worauf habe ich bitte gehofft? Wenn es hier Menschen gibt, suchen die hundertprozentig nicht nach mir, weil sie mich nicht kennen. Aber ich lebe noch, das ist schon mal ein gutes Zeichen.

Im heller werdenden Licht kann ich meine Umgebung nun besser betrachten. Von Efeu überwuchernde Mauern ragen wie steinerne Riesen in den grauen Himmel und man hat keine Möglichkeit über sie hinweg zu schauen. Sie werfen bedrohliche Schatten durch die noch tief stehende Sonne. Der Boden aus Stein, den schon einige Risse zeichnen, wirkt gar nicht so tief wie in der Nacht. In der Ferne ist noch eine schmale Rauchsäule zu sehen, die von den Geschehnissen dieser Nacht zeugen, mich jedoch nicht einweihen. Ein Geheimnis der steinernen Riesen. Rechts und links von mir gehen die Wände undurchdringlich weiter und werden bloß von Abzweigungen unterbrochen, die ich von meiner Perspektive nicht einsehen kann.

Alice im MazeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt