"Wie jeden Morgen füllten die bunten Lichter den Himmel über den Hausdächern – ich hätte nie gedacht, dass es das letzte Mal war, bevor die Apokalypse begann."
ℕoch nicht ganz wach schlürfte ich an meinem Kaffee und betrachtete die unzähligen Delivery-Drohnen, die surrend ihre perfekt einstudierte Choreographie vollführten. Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Zum einen wegen der geflügelten Apparaturen, die menschliche Zusteller im Laufe der letzten Jahre vollends ersetzt hatten, zum anderen wegen des Kaffees, der muffig alt schmeckte. Komisch, dachte ich, den habe ich gestern erst gekauft. Oder vorgestern? Schokoladig duftende Bohnen aus Peru, von Hand geröstet, frisch gemahlen und von der faszinierendsten Frau verpackt, die meine Augen je erblickt haben. Ja, vielleicht suche ich den kleinen Eckladen, dessen Einrichtung aussieht wie aus der Wollmütze eines Hipsters entflohen, nicht nur wegen des Kaffees auf. Und vielleicht vermag ich es nicht mir ein Grinsen zu unterdrücken, wenn die mokkaschwarzen Locken der Frau hinterm Tresen bezaubernd wippten, immer wenn sie sich bewegt. Es war gestern erst, oder? Ein Gestern, das sich so weit weg anfühlte, wie der Kaffee alt schmeckte.
Das verzerrte Spiegelbild meiner selbst starrte mich mit tiefen Augenringen aus meiner Tasse heraus an. Sie sah unausgeschlafen aus. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich darauf getippt, dass die Frau verkatert war. Doch ich hatte am Abend zuvor keinen Tropfen Alkohol zu mir genommen und war früh in mein Bett geschlüpft. An meinem Handgelenk leuchtete der eLife-Tracker auf und unterbrach mein Grübeln. Ein gemeinnütziges Geschenk des Gesundheitsministeriums, nachdem SARS-NEV-1 zur Schließung der Grenzen und zum Zerfall der EU geführt hatte. Die Tracker waren ein Pilotprojekt, welches zunächst auf viel Widerstand stieß, aber große Erfolge erzielte. Wir bekamen nicht nur dieses Virus vollständig in den Griff, sondern konnten durch Früherkennung auch weitere Erkrankungen minimieren. Mir widerstrebte der Gedanke zunächst, aber man gewöhnt sich an alles. Außerdem, was habe ich schon zu verbergen?
Ein lächelndes Emoji strahlte mir entgegen. Gesund und putzmunter – das behauptete zumindest das Armband. Das Gesicht in meinem Kaffee schien da anderer Meinung zu sein. Ich zwang den letzten Schluck hinunter und schwemmte das elendige Spiegelbild weg. Eine heiße Dusche wäre mehr als notwendig gewesen, doch der Strom war ausgefallen und aus den Leitungen ergoss sich nur nippelerhärtend kaltes Wasser. Zum Glück lief mein Herd auf Gas, so konnte ich mir wenigstens einen Kaffee kochen. Aber beschissener Kaffee und eine kalte Dusche an einem Morgen wären nicht zu verkraften. Stattdessen würde ich mir am Abend ein ausgedehntes Bad gönnen und vorerst auf Katzenwäsche zurückgreifen.Wäre ich doch duschen gegangen, vielleicht hätte ich es dann gesehen ...
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G E D A N K E N S P I E L
Short Story𝙀𝙞𝙣𝙚 𝙢𝙮𝙨𝙩𝙚𝙧𝙞ö̷𝙨𝙚 & 𝙙𝙮𝙨𝙩𝙤𝙥𝙞𝙨𝙘𝙝𝙚 𝙆𝙪𝙧𝙯𝙜𝙚𝙨𝙘𝙝𝙞𝙘𝙝𝙩𝙚𝙣𝙨𝙖𝙢𝙢𝙡𝙪𝙣𝙜 || Liebe Lesenden, in dieser kleinen aber feinen Sammlung findet ihr mysteriöse und dystopische Kurzgeschichten, die aus impulsiven Gedankengängen...