Flucht nach Vorn

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Plötzlich spürte Jacky wie ihr eine Hand auf die Schulter gelegt wurde.
"Alles okay bei dir Jacky?", vernahm sie eine Stimme, die allerdings nur dumpf zu ihr vordrang, "Wir sind soweit durch hier, es sind alle versorgt. Sollen wir dich mit zurück zur Wache nehmen?"
Mit zur Wache nehmen, zur Wache nehmen, schalte es in Jackys Kopf wieder.
"Ich...ich konnte nichts dafür, ich habe alles...ich ihr könnt mich nicht", stammelte sie.
Dann schien in ihrem Kopf eine Sicherung durchzubrennen. Sie hatte keine Kontrolle mehr über ihren Körper. Wie von der Tarantel gestochen fing sie an zu rennen, sprang über die Leitplanke und flüchtete in den dahinter liegenden Wald. Inzwischen hatte es zu dämmern begonnen und die Baumkronen schirmten das restliche Tageslicht ab, sodass sie nicht sehen konnte wohin sie lief. Aber es tat nichts zur Sache, sie wusste weder wo sie war noch wo sie hinwollte. Jacky spürte wie Äste ihr ins Gesicht schlugen. Immer wieder blieb sie an Dornen hängen, stolperte über am Boden liegende Äste bis sie schließlich stürzte und hinfiel. Unsanft schlug sie auf dem Boden auf, doch die dicke Schicht aus Blätter, die den alles bedeckte, federte ihren Sturz etwas ab. Tränen liefen ihr Gesicht herunter und sie schluchzte leise. Es wurde immer dunkler und kälter. Zum Glück war es fast Sommer sonst wäre sie bestimmt erfroren, doch auch wenn es nicht eiskalt war, zitterte Jacky am ganzen Körper. Am liebsten hätte sie sich zu einer Kugel zusammengerollt und ganz klein gemacht, aber sie fühlte sich nicht in der Lage sich zu bewegen. Also blieb sie einfach liegen und schluchzte leise vor sich hin. Der Tag war einfach nur grausam. Wann war das alles so aus dem Ruder gelaufen?
"Nicht erst heute", flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf und sie hatte recht.
Es war schon vor Jahren außer Kontrolle geraten und das wusste sie ganz genau. Sie hatte nur nie darüber reden wollen, hatte den Schmerz lieber in sich herein gefressen. Das wurde ihr nun erneut zum Verhängnis. In einem seltsamen Dämmerzustand zwischen wach und bewusstlos flogen die Bilder vor ihrem inneren Auge vorbei, die sie am liebsten vergessen würde.

Thomas Sicht

Thomas sah Jacky auf dem Standstreifen stehen. Tränen liefen ihre Wangen hinunter. Philipp und er waren die letzten. Die Polizei hatte die Straßensperre gerade aufgelöst und die Autos setzten sich langsam wieder in Gang.
"Du Philipp lass uns mal zu Jacky rübergehen. Die sieht gar nicht gut aus, außerdem sind alle anderen schon weg, also wäre es sinnvoll, wenn wir sie mit zurück nehmen würden", sagte er zu seinem besten Freund.
"Klar, so machen wir es", stimmte Philipp ihm zu.
Ihr RTW stand ein paar Meter hinter Jacky auf dem Standstreifen. Die zwei gingen auf sie zu.
"Alles okay bei dir Jacky?", fragte Thomas sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter, "Wir sind soweit durch hier, es sind alle versorgt. Sollen wir dich mit zurück zur Wache nehmen?"
Jackys Kopf schnellte nach oben und sie starrte ihn an. Ihr Blick war verschreckt und es wirkte so, als ob sie nicht ganz bei Sinnen wäre.
"Ich...ich konnte nichts dafür, ich habe alles...ihr könnt mich nicht", stammelte sie.
Noch bevor Thomas irgendwas erwidern konnte, rannte sie plötzlich los und verschwand im Wald. Er warf Philipp einen Blick zu.
"Was war das denn?", fragte dieser verwundert.
"Ich habe keine Ahnung", erwiderte Thomas, "Aber wir sollten sie wiederfinden. Es wird langsam dunkel und ich würde sie ungern über Nacht durch den Wald irren lassen."
"Da stimme ich dir zu. Außerdem wird es kalt und sie hatte ihre Jacke nicht an, wenn ich das richtig mitbekommen habe."
"Noch ein Grund mehr sie zu finden."
"Wollen wir noch Hilfe anfordern? Die Polizei mit Hundeführer vielleicht?"
"Lass uns erstmal schauen, ob sie nicht da vorne gleich hinter einem Baum steht bevor wir hier das ganz große Geschütz auffahren."
"Gute Idee, aber unseren Rucksack nehme ich trotzdem mit. Man weiß ja nie."
Die Zwei nickten sich zu, schlossen den Rettungswagen ab und folgten Jacky dann in den Wald.
"Hast du zufällig eine Taschenlampe dabei?", wollte Thomas wissen.
"Nein, aber im Rucksack müsste eigentlich eine sein", antwortete Philipp und begann sofort zu suchen.
Tatsächlich fanden sie eine, was ihnen das Laufen im Dunkeln um einiges erleichterte. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Unter ihren schweren Stiefeln brachen kleine Äste und Blätter raschelten. Abgesehen davon war es still. Zwar hörten sie hin und wieder ein leises Rascheln im Gestrüpp oder einen Vogel, doch nichts anderes.
"Jacky?", rief Thomas nun laut, "Jacky, wo bist du?"
"Gute Idee", erwiderte Philipp und stimmte in sein Rufen ein, "Jacky, Jacky!"
"Vielleicht sollten wir doch Verstärkung anfordern", überlegte Thomas, "Wir haben ja üerhaupt keine Ahnung wo genau sie hin ist."
"So wie sie aussah immer geradeaus, Hauptsache weg", meinte Philipp, "Aber ich gebe dir..."
In dem Moment streifte der Schein ihrer Taschenlampe etwas, das den Lichtstrahl reflektierte, und sie konnten eine Gestalt ausmachen, die am Boden lag.
"Guck mal Thomas, da liegt doch jemand", sagte Philipp unnötigerweise, denn Thomas hatte die Person ebenfalls entdeckt.
Er legte etwas an Tempo zu. Seine Hoffnung oder auch Befürchtung bestätigte sich, es handelte sich um Jacky, die leider nicht im Wald umher irrte, sondern scheinbar leblos vor ihnen lag. Ihre lange Haare verdeckten ihr Gesicht. Schon auf den ersten Blick konnte Thomas die Kratzer an ihren Armen ausmachen, die tweilweise sogar etwas tiefer zu sein schienen. Schnell stellte er die Ausrüstung ab und kniete sich neben seine Kollegin.
"Jacky? Jacky kannst du mich hören?", fragte er und schüttelte sie vorsichtig, bevor er ihr die Haare aus dem Gesicht strich.
Philipp hatte unterdessen nach ihrem Handgelenk gegriffen.
"Ihr Puls ist ganz schwach", sagte er besorgt, "Komm wir drehen sie mal auf den Rücken."
Gemeinsam drehten sie Jacky um und versuchten möglichst vorsichtig zu sein. Die junge Frau hatte die Augen geschlossen. Auch in ihrem Gesicht waren mehrere Kratzer zu erkennen und an der Stirn hatte sie eine kleine Wunde, die allerdings bereits nicht mehr blutete.
"Ihre Atmung ist auch nicht die Beste", murmelte Thomas und tätschelte dann Jackys Wange, "Hallo Jacky, kannst du mich hören? Mach mal bitte die Augen auf."
"Blutdruck ist komplett im Keller. Lass uns mal ein EKG kleben", schlug Philipp vor.
Thomas nickte und schob vorsichtig Jackys T-Shirt bei Seite.

Jackys Sicht

Jacky spürte etwas angenehm Warmes auf ihrer Haut kurz gefolgt von etwas ziemlich Kaltem. Stimmen drangen wie durch einen Schleier zu ihr vor. Benommen blinzelte.
"Guck mal, ich glaub sie kommt wieder zu sich."
Nur verschwommen konnte sie zwei Gestalten ausmachen, die neben ihr knieten und sich über sie gebeugt hatten. Erst jetzt realisierte sie, dass es sich bei dem warmen Etwas, um eine Hand unter ihrer Kleidung handeln musste. Sofort schreckte sie auf und versuchte zurück zu rutschen, was auf dem Laub allerdings nicht ganz so einfach war. Außerdem hing sie an irgendwas fest. Hände packten sie an den Schultern und drückten sie sanft wieder auf den Boden.
"Nein, lasst mich gehen!", rief sie panisch.
Es klang kratzig und nach den paar Worten versagte ihre Stimme sofort.
"Ganz ruhig Jacky", vernahm sie wieder jemanden sagen, "Alles ist gut. Du weißt doch, dass wir dir nichts Böses wollen. Wir sind hier um dir zu helfen. Ich habe dir ein EKG geklebt, das kennst du und weißt, dass es ganz harmlos ist."
Jacky wusste nicht wer da mit ihr redete und die Hände, die sich nun wieder ihren Körper berührten, trugen nicht im Geringsten dazu bei, dass sie sich beruhigte. Bilder blitzten vor ihrem inneren Auge auf und sie begann sich wieder zu erinnern.
"Ich kann nichts dafür, ich habe alles versucht, ich bin kein Monster", schluchzte sie.
"Die ist total gefangen in ihrer Panikattacke Thomas", sagte nun eine zweite Stimme, "Haben wir was zur Beruhigung dabei?"
"Nein, ist leider alles im RTW. Ich hätte jetzt auch gerne eine warme Infusion für sie", antwortete besagter Thomas.
Kannte sie einen Thomas?
"Von kaum Puls zu tachykard innerhalb von ein paar Sekunden, aber immernoch somnolent."
"Meinst du wir schaffen es sie in den RTW zu bringen?"
"Müssten wir hinbekommen."
"Gut, nimmst du die Ausrüstung und die Taschenlampe? Dann trage ich Jacky."
"Ja klar."
"Aber ein bisschen Wärme kann sie vorher vertragen."
Jacky hörte ein Rascheln und spürte wie ihr etwas Warmes umgelegt wurde. Kurz darauf legten sich zwei Arme um sie. Mit einem Ruck wurde sie angehoben. Panisch versuchte sie sich zu befreien.
"Ganz ruhig, ich bin da", hörte sie die leise Stimme von Thomas, "Dir kann jetzt nichts mehr passieren, ich passe auf dich auf."
Sie schaffte es die Augen etwas zu öffnen und konnte im Schein der Taschenlampe einen jungen Mann erkennen, den sie als ihren Kollegen erkannte, der sie vor ein paar Tagen aus dem Baumhaus gerettet hatte.
"Thomas", murmelte sie.
"Ja genau", antwortete dieser, "Kannst du mir sagen wie es dir geht?"
"So müde", brachte sie nur heraus und ließ ihren Kopf an seine Brust senken.
"Nicht die Augen zumachen, bleib schön bei mir."
Aber ihre Augenlider fühlten sich so unendlich schwer an, dass es ihr einfach nicht gelang die Augen offen zu halten.

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Hey ihr Lieben,

jetzt geht's weiter mit Jacky und einem weiteren kleinen Cliffhanger für euch, tut mir leid.

Eine schöne Woche euch noch <3

ASDS/AS - Nur noch diese eine NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt