Raelyn studierte aufmerksam die unzähligen Symbole in den bunten Rauchschwaden an ihrer Zimmerdecke. Mit ein paar fließenden Handbewegungen veränderten sie sich wieder und wieder, bis sie stirnrunzelnd innehielt. Was sollte das denn jetzt bedeuten?
Das warme Orange wurde plötzlich durch rote Farbsprenkel unterbrochen und die normalen Beschreibungen der Planetenstellung für den heutigen Tag verschwanden. Schwarze Speere und die Zeichen für Veränderung und Gefahr blitzten zwischen dem mittlerweile überhand nehmenden tiefroten Hintergrund auf. Etwas dermaßen Beunruhigendes hatte die junge Halbfee noch nie vorhergesagt.
"Raelyn!", unterbrach ihre Mutter ihre Tageswahrsagung.
"Ja, Mom, eine Sekunde!", schrie sie zurück und ließ das unübersichtliche Farbenspiel verschwinden.
In Gedanken vertieft flog sie in den behaglich eingerichteten Wohnbereich, ein paar Meter unterhalb ihres kugelartig angebauten Zimmers. Raelyn hatte die Wahl ihrer Eltern, in ein Kugelnest aus Lehm und pflanzlichen Materialien einzuziehen, schon immer gut nachvollziehen können. Ihr Haus mochte zwar ziemlich schlicht von außen aussehen, wie es zwischen einigen dünneren Ästen der über einhundert Metern hohen Bäumen hing und bei besonders starkem Wind leicht hin und her schwang. Von Innen jedoch wirkten die runden Wände behutsam und die einfache Beschaffenheit hatte es erst ermöglicht, so viele lichtspendenden Fenster und Nebenräume einzubauen.
"Guten Morgen erst einmal.", begrüßte sie ihre Mutter mit einem zufriedenen Lächeln, nachdem sie sich zu Raelyn umgedreht hatte.
Der Tee in dem Becher, den sie an die Lippen hob, roch erfrischend nach Minze und Salbei.
"Würdest du mir den Gefallen tun und das hier bitte vom Markt mitbringen? Ich gehe davon aus, du willst dich wieder mit Nia und den anderen treffen?" Sie reichte ihr einen vollgeschriebenen Einkaufszettel, der zuvor auf dem Küchentresen neben ihr gelegen hatte.
"Ja klar, kein Problem."
"Danke, du bist ein Schatz." Inara Elaine strich ihrer Tochter eine blonde Haarsträhne aus den Augen, bevor sie mit ihrem Tee an ihr vorbeiging, um sich umzuziehen. Raelyn war bewusst, dass Menschen einige Stunden mehr Schlaf brauchten als Feen, aber es verwunderte sie trotzdem immer wieder, wie ihre Mutter es schaffte, jeden Morgen so lange auszuschlafen.
>>>>>✦<<<<<
Als sie sich auf den Weg zu den Marktständen, die an den Baumstämmen keine zehn Minuten Flug entfernt befestigt waren, aufmachte, schien ihr die Sonne bereits angenehm warm durch das dichte Blätterdach ins Gesicht. Um sie herum herrschte ein angeregtes Treiben von Feen mit den verschiedensten Flügelarten. Jede von ihnen strahlte heute eine besondere Lebensfreude aus, da dieser Tag versprach, der sommerlichste der Woche zu werden. In ein paar Tagen würde wieder das große Fest zur Sommersonnenwende stattfinden, erinnerte sie sich, während sie mit geschlossenen Augen den Duft von Lavendel und süßlich riechenden Hanrahblüten einatmete.
"Hey Raelyn!"
Sie zuckte zusammen und riss die Augen wieder auf. Quill, eine aufgedrehte Halbkoboldfee flog übermütig um sie herum. Durch ihre langen Zikadenflügel musste sie immer in Bewegung bleiben, um niemandem im Weg zu fliegen oder vor Anstrengung abzustürzen.
"Wie geht es deiner Mom?", fragte dey mit einem Grinsen, das deren charakteristische Zahnlücke offenbarte.
"Ganz gut, denke ich." Raelyn hatte sich wieder von dem anfänglichen Schock erholt und landete auf dem Holzsteg neben dem Stand mit frischen Blumen. Keine Sekunde später tauchte eine weitere Freundin neben ihr auf.
"Lässt sie dich wieder Liefermädchen spielen?" Marcela grinste schief.
"Hey, ich helfe ihr gerne!", verteidigte sich Raelyn und fügte hinzu, "Sie meint nur es geht schneller, als zu Fuß - Ihr habt ja keine Ahnung, wie das als Mensch ist!"
"Da hast du recht, die beiden würden keinen Tag ohne ihre Flügel überstehen." Eine dritte Fee fand auf dem Holzsteg, der in über 40 Metern Höhe an die Marktstände angebaut war, Platz.
"Nia!" Raelyn lachte und umarmte die zierliche Schmetterlingsfee, sobald sie ihre pastelltürkisen Flügel eingefaltet hatte. Danach fischte sie ihren Einkaufszettel aus der Umhängetasche und sah in die Runde.
"Okay, also ich brauche drei Kaktusstacheln, fünf Flaschen Tautropfen, ungefähr zehn Spindeln Spinnenseide, einen Beutel Salz und frische Paupaublätter..."
"Lynni! Versuchst du etwa, deinen Job an uns abzutreten?!", fiel Quill ihr gespielt empört ins Wort.
"Pppfff, sei leise du Sommersprossengesicht!", neckte Marcela Quill lachend und ergänzte lächelnd, "Ich übernehme gerne die Gewürze und Getränke, Lynn. Soll ich alles sofort zu dir nach Hause fliegen oder treffen wir uns nochmal?"
Marcela war die stärkste und muskulöseste der Vier und bot sich immer gern als Packesel an. Raelyn konnte ihr nie genug für ihre Hilfe danken, da sie keine Art von Bezahlung oder Schuldbegleichungen akzeptieren wollte. Um nicht allzu lang über ihr schlechtes Gewissen nachdenken zu müssen, versuchte sie das Thema zu wechseln.
"Danke, ja nach Hause wäre super. Ich denke wir treffen uns lieber morgen wieder, meine Vorhersagung heute war ziemlich chaotisch..."
"Was, wirklich? Dann musst du uns später aber auch erzählen, ob was Wahres dran war!", forderte Nia besorgt. Raelyn nickte, während sie sich innerlich ärgerte, die gute Stimmung verdorben zu haben, wodurch ihr Gewissen nur noch schlechter wurde.
"Ja, auf jeden Fall! Ich muss dann aber schonmal los, okay?"
Während Marcelas rot schimmernden Drachenlibellenflügel aus ihrem Blickfeld verschwanden, lief Raelyn ein eiskalter Schauer über den Rücken, der jeden anderen Gedankengang beiseite fegte.
"Bei den Waldgeistern, was ist das?", schrie Quill neben ihr, weswegen Raelyn in Richtung Dorfgrenze herumwirbelte. Als sie erkannte, wovor einige Feen panisch wegflogen, wurde ihr klar, was die schwarzen Speere zu bedeuten hatten.
________________________
Hey! :D
Wie cool, dass du mich und diese Story gefunden hast! ^^
Ich wollte nur noch einmal sagen, dass mich jede Art von Feedback mega motivieren und freuen würde, egal ob ein Like oder sogar ein Kommentar! Verbesserungsvorschläge sind ebenso herzlich willkommen! XD
Oki, dann noch viel Spaß beim Lesen und bis hoffentlich bald! Bye! <3
DU LIEST GERADE
Leuchtende Finsternis
FantasyEigentlich dachte Raelyn, den Tod ihres Vaters akzeptiert zu haben, doch ein weiterer Anschlag kurz vor dem zehnjährigen Gedenktag der Verstorbenen wirbelt alles wieder auf. Wer war die Frau, die damals 42 Feen ermordet hatte? Und was hatte der zwe...