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Ich rannte. Es regnete stark. Ich rannte durch die Straßen. Die Häuser verschwammen durch den Regen in meinen Augen zu quadratischen Punkten in weiter ferne.
Heute würde es geschehen, seine Worte würden sich das erste mal gegen mich richten, ganz alleine gegen mich!
Nicht als Klasse, als Gruppe, sondern speziell und einzig gegen mich.
Jeder hatte seine Worte bereits am eigenen Körper zu spüren bekommen nur ich nicht, noch nicht.
Das schlimmste daran war, er würde nicht wahllose Worte wählen. Er würde sie präzise und ausdrucksstark gegen mich wenden. Er würde seine Stimme nicht erheben, nicht schreien oder lauter werden, keine obszönen Worte benutzen, es war auch so ausdrucksstark genug.
Er war ein Meister der Worte, wie ich es von keinem anderem Deutschlehrer kannte.

Weiter rannte ich durch die Kälte und erreichte die nächste Gasse. Schnell wischte ich meine Augen trocken. Ein flüchtiger Blick auf die Turmuhr und mein Herz sank hinab, schon 10 Minuten im Verzug, doch vor mir erstreckte sie sich endlich.
Meine Schule, ein Klassischer Altbau aus roten Ziegelsteinen die links und rechts vom Eingangstor ihren Weg fanden. Aufgeteilt in zwei Flügel, den linken davon würde ich gleich betreten.
Mit letzter Kraft und letztem Atem schleppte ich mich die drei Treppen hoch 78 Stufen waren es, die mir auch die letzte Luft aus meiner Lunge raubten und mich keuchend ließen.
Seufzend und schon auf das Donnerwetter gefasst durchquerte ich den Flur, um vor dem Klassenzimmer anzuhalten. 

Nochmal tief durchatmen! Doch was war das? Ich war ganz still, nahm keinen Atemzug doch dann hörte ich es. Die Stimmen meiner Klassenkameraden waberte durch das Holz zu mir.
Fragend und verwirrt blieb ich vor der geschlossenen Tür stehen. War er nicht da? Hatten wir eine Freistunde? Eduard Leinen würde niemals so eine Lautstärke in seinem Unterricht tolerieren.
Schlagartig viel die Anspannung von mir ab und ich fasste neuen Mut. Beherzt klopfte ich an der schon sehr alten Tür, die Jahresringe des Holzes waren kaum zu übersehen, doch auch gebrauchsspuren waren in dem Holz verewigt.
Erst geschah nichts und ich klopfte erneut, dieses mal noch ein Stück härter und endlich regte sich etwas. Die Tür wurde schwungvoll aufgerissen und meine beste Freundin stand vor mir. 

"Ich wusste das du kommst!" ,grinste sie mich an und zog mich zu unserem gemeinsamen Tisch.
Dort angekommen sah ich nach vorne und erkannte die Tasche meines Deutschlehrers, er war doch da! Marly folgte meinem Blick und beantwortete meine unausgesprochene Frage: "Er ist kopieren gegangen für das neue Thema, hat sich schon nach dir erkundigt" Zuversichtlich lächelte sie mir zu bis ihr Blick auf meinen Hals fiel. "dein Vater?" ,fragte sie mich verächtlich, doch in dem Moment fiel die Tür des Zimmers mit einem lauten Knal zu und in der Hektik nickte ich kaum merklich.
"Klären wir später" ,wisperte ich noch und folgte mit meinen Augen dem Mann, der gerade eingetreten war.

Eduard Leinen ein Lehrer durch und durch, nun stand er da, lässig am Pult lehnend und würde ich ihn nicht anders kennen würde ich sagen er wäre die Ruhe in Person, doch der Schein trügt.
Nicht selten wendet er seine Worte gegen seine Schüler, aber nicht durch erheben seiner Stimme sondern durch seine Wortwahl.

Präzise und wirksam.

Lässige schweifte sein Blick über die Klasse hinweg suchte jedes Augenpaar einmal flüchtig ab und auch bei meinen bleibt er kurz Hängen ehe er weiterläuft. Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken, jetzt würde es geschehen, nur noch wenige Sekunden und ich würde im Boden verkriechen wollen. 

Fertig mit seinem stillen Rundgang fandrn seine Augen wieder die meinen, doch anstatt das Wort zu erheben blickte er flüchtig auf meinen Hals und schien kurz seine Fassade zu verlassen, fängt sich jedoch rechtzeitig wieder.
"Die verlorene Schülerin ist aufgetaucht wie schön" ,sagte er fast beiläufig ehe der den Stapel Zettel rumreichen ließ, den er mit sich getragen hatte.
Verdattert nahm ich es gar nicht war. Er hatte nichts gesagt, mich nicht mit seinen Worten in Grund und Boden gestampft. Perplex starrte ich zu Marly die ebenfalls kaum merklich den Kopfschüttelte, kaum zu glauben...
Ich war nie ein guter Menschen Leser, jedoch hatte ich mich noch nie so sehr vor einer Wand gesehen wie bei Herr Leinen und genau das Ereignis gerade hatte es mir erneut schmerzhaft unter die Nase gerieben.
Verdattert blickte ich auf das Blatt und lauschte den Worten Herrn Leinens.

Helping Hands?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt