Kapitel 1 | Berlin

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Ein heißer Sommertag  neigt sich seinem Ende zu. Die Straßen Berlins sind dennoch voller Menschen, die die leichte Abkühlung, welche der Abend bringt - tagsüber hatte es die letzten Tagen immer weit über dreißig Grad gehabt - ausnutzen. Auch rund um den Gendarmenmarkt, der in der direkten Umgebung des Auswärtigen Amts liegt, sind die Lokale und Cafés noch gut besucht. Es ist Sonntag, und die Menschen versuchen noch den letzten Rest Wochenende in sich aufzusaugen.

Auch im Auswärtigen Amt selbst rückt der Feierabend in greifbare Nähe. Die Außenministerin Annalena Baerbock und ihre Delegation liegen in den letzten Zügen für ihre Reise nach Nordamerika - würde sie doch am Montag nach New York zur Atomwaffenkonferenz der UN und am Mittwoch weiter nach Kanada reisen.

Sie lässt sich ein letztes Mal von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern briefen, um dann nach Hause nach Potsdam zu fahren, wo sie den Rest des Abends noch mit ihrem Mann und ihren Kindern verbringen  will bevor sie morgens in aller Frühe zum Berliner Flughafen gebracht würde.
Auch wenn sie weiß, dass diese kommende Woche es in sich haben wird, freut sie sich sehr auf die Reise. Das hat jedoch nur bedingt mit ihren beruflichen Hintergründen zu tun, als viel mehr mit der Tatsache, dass sie am Mittwoch in Montréal von der Frau empfangen werden würde, die ihr seit dem G7-Außeministerinnentreffen im Frühling nicht mehr so recht aus dem Kopf geht.

Mélanie Joly, ihre kanadische Kollegin.

"Also dann, ich wünsche euch allen noch einen schönen Abend, diejenigen die mich begleiten, sehe ich ja schon bald wieder, bis morgen früh!", ruft sie in die Runde und bei dem Gedanken daran, dass sie schon in knapp sieben Stunden um drei Uhr in der Frühe wieder aufstehen musste, verzieht sie das Gesicht.

'Aber was soll's, ist schließlich mein Job. Und die Strecke über den Atlantik kann ich schlecht in zwei Stunden und mit der Bahn überbrücken', denkt sich Annalena, als sie zügig ihre Unterlagen, ihre zwei Handys und den Schlüsselbund in ihre Handtasche wirft und schließlich das Büro verlässt.

Unten wartet schon der Fahrer, der sie nach Hause nach Potsdam bringen wird. Sie bedankt sich, als er ihr die Tür aufhält und lässt sich in den Sitz fallen. Innerlich spricht sie ein Dankgebet zum Erfinder der Klimaanlage - hat es doch im Wagen angenehme 22 und keine 34 Grad, wie draußen.

Nachdem sie den Großteil des Tages in ihrem klimatisierten Büro verbracht hatte, kommt ihr die Hitze draußen wie eine Wand vor, als sie das Gebäude verlässt. Denn auch wenn die Klimaanlagen im Auswärtigen Amt auf ihr Drängen hin lediglich auf 25 Grad kühlten, so war es doch immer noch ein himmelweiter Unterschied zur Temperatur draußen.

Die Fahrt nach Potsdam verläuft ruhig, bis auf die Tatsache, dass sie am Himmel dunkelgraue Rauchwolken sehen kann, als sie die Stadt verlassen. 'Grunewald...', denkt sie. 'Hoffentlich passiert nichts schlimmeres. Frau Giffey müsste sich dringend Gedanken darüber machen, ob ein Sprengplatz, der als Depot für Weltkriegsmunition in einem Wald mitten im Stadtgebiet liegt, noch zu argumentieren ist in einer Zeit, in der sich Waldbrände häufen werden.'

Doch irgendwann sind die Rauchwolken außer Sicht und sie versucht sich mental auf ihre Familie vorzubereiten und den ganzen Stress des Tages - und dem der kommenden Tage - noch einen Moment von sich zu schieben.

Zwischen ihr und Daniel war es in den letzten Wochen und Monaten immer mal wieder zu Streitereien gekommen und nach einer besonders hitzigen und lautstarken Diskussion hatte er ihr letzten Endes gestanden, dass er mit seiner Position als  'Hausmann und Kinderbetreuer', auf die sie sich geeinigt hatten als sie den Posten der Außenministerin angetreten hatte, doch nicht zurecht kam. Sie hatten beschlossen, vorerst trotzdem zusammen zu bleiben - schon alleine wegen ihrer beiden Töchter. Sie wohnten zwar noch zusammen, waren aber eher wie Bruder und Schwester geworden, die in ihren jeweils eigenen Zimmern schliefen und auch sonst in einer Art Zweck-WG lebten.

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