Eine Hochzeit, nur im Kreis der Familie.
Das klingt doch ganz nett.
Zumindest für die meisten. Denn bei dieser Hochzeit war die Familie groß und schloss noch dazu entfernte Verwandte und "Freunde, die im Prinzip Familie sind" mit ein.
Zumindest über Letzteres war Cassie froh. Denn ohne Jack hätte sie die Feier nicht überstanden.
Schließlich durfte sie sich als Trauzeugin und Hochzeitsplanerin nicht betrinken.
"Schokoriegel?"
Jack hielt ihr die Süßigkeit hin, die er aus seinem Rucksack gezogen hatte.
Das Jackett und dir Fliege hatte er ebenfalls darin verschwinden lassen und die Ärmel hochgekrempelt mit dem Versprechen, sich bis zur Trauung wieder herzurichten.
Seine Ausrede war: Als Feuerwehrmann bin ich keine Smokings gewöhnt.
"Eigentlich gerne, aber wenn ich jetzt etwas esse, übergeb ich mich hundertprozentig.", erwiderte Cassie schweren Herzens und wandte sich wieder ihrer Liste zu.
"Warum entspannst du dich nicht? Es ist doch alles organisiert."
Ein ironisches, an Wahnsinn grenzendes Lachen entfuhr ihr.
"Die Torte ist noch nicht da und der Fotograf hat ein Problem mit seiner Kamera. Daisy dreht durch, weil sie zum ersten Mal vom blauen Strumpfband gehört hat und jetzt auch unbedingt eins will und ich muss irgendwie Onkel Larry von Tante Wendy fernhalten."
"Bei dem letzten Problem kann ich behilflich sein. Larry verliert jedes Mal wieder gerne gegen mich im Poker."
Cassie starrte ihren besten Freund wütend an, was bei ihrem Größenunterschied wohl keinen sonderlichen Eindruck auf Jack machte. Er grinste auf sie hinunter, als wäre nichts auf der Welt ein Problem.
Aber im Moment war alles ein Problem.
"Du spielst sicher kein Poker auf einer Hochzeit! Sieh lieber zu, dass du ein Strumpfband besorgst."
"Und wo soll ich das bitte her bekommen? Wir sind außerhalb der Stadt."
"Keine Ahnung, ich muss zu Daisy."
Cassie schob sich an ihm vorbei und ging, so schnell es diese dämlichen Schuhe mit Absatz zuließen, wieder ins Hotel.
Es war ein kleines, liebevoll eingerichtetes Gebäude an der Küste, das Daisy und ihr Verlobter Brian für das Wochenende gebucht hatten.
Die beiden bewohnten die einzigen Suiten, was so viel Platz wegnahm, dass Cassie sich mit ihren schnarchenden Großnichten ein Zimmer teilen musste. Während Jack, nicht mal blutsverwandt, aber ein verdammter Glückspilz, ein Zimmer für sich allein hatte. Klein, aber frei von zwanzig Dosen verschiedenem Make-up, die das Waschbecken blockierten.
Cassie hatte sich zu ihm verkriechen wollen, aber ihre konservative Großmutter Ellen hatte sie erwischt und sie zurück geschleift.
Sie waren nicht liiert und - Gott bewahre - schon gar nicht verheiratet. Dass sie überhaupt auf die Idee kam, bei ihm im Zimmer zu schlafen!
Cassie holte tief Luft und klopfte an Daisys Tür.
"Herein!", erklang eine helle, fröhliche Stimme.
Cassie huschte in die Suite und fand Daisy noch vor dem Spiegel, wo sie sie zurückgelassen hatte.
Ihr Cousin Ron war Friseur und hatte ihre hellen Haare in einen glänzenden Fluss aus perfekt sitzendem Gold verwandelt. Sie musste nur noch ihren Bademantel gegen das atemberaubende Tüllkleid tauschen.
"Hast du das Strumpfband?", fragte Daisy hoffnungsvoll.
"Noch nicht. Jack kümmert sich darum."
Daisy verdrehte die Augen und griff nach den Perlohrringen, die auf dem Tisch lagen.
"Du verlässt dich viel zu sehr auf den Kerl."
"Was meinst du?", fragte Cassie, inzwischen genervt von ihrer Cousine, die schon den ganzen Tag Lösungen von ihr erwartete und dennoch Stunde um Stunde giftige Bemerkungen von sich gab.
Für gewöhnlich war Daisy der liebenswerteste Mensch auf der Welt, aber der Hochzeitsstress brachte ihre schlimmsten Seiten zum Vorschein.
"Kein Strumpfband? Jack wird schon eins besorgen. Das Auto kaputt? Jack wird mich schon mit zur Arbeit nehmen. Der Abfluss tröpfelt? Jack wird's schon reparieren."
"Willst du damit sagen, ich nutze ihn aus? Ich erledige doch auch viel für ihn. Freunde tun sich gegenseitig Gefallen."
"Schon klar, aber Jack ist anscheinend der einzige Mann in deinem Leben. Gerade nach Re-"
"Wag es nicht!", zischte Cassie. "Und sieh zu, dass du fertig wirst. Dein Vater holt dich in zwanzig Minuten ab, um dich zum Altar zu bringen."
"Aber mein Strumpfband!"
Wie aufs Stichwort klopfte es an der Tür.
Cassie lief hin und stellte erleichtert fest, dass Jack dahinter stand.
"Ich hab das Band.", meinte er und reichte es ihr.
"Wow, Wahnsinn, danke! Aber... wo hast du das so schnell her?"
Er verzog das Gesicht.
"Willst du nicht wissen. Falls deine Tante Wendy nach mir fragt... ich musste zu einem Einsatz."
Cassie wollte die Sache nicht hinterfragen und drückte ihm einen schnellen Kuss auf die Wange.
"Du bist der Beste!"
Sie rannte zu Daisy zurück, deren Miene sich beim Anblick des Strumpfbands aufhellte.
"Himmel sei Dank."
Zehn Minuten zog Cassie Daisys Reißverschluss hoch. Glücklich drehte Daisy sich vor dem Stehspiegel.
Cassies Ärger verflog und sie betrachtete ihre Cousine stolz.
"Du siehst wunderschön aus, Daisy. Ich freu mich so sehr für dich!"
Daisy umarmte sie fest.
"Danke. Du bist wirklich die Beste! Du hast das alles organisiert."
"Apropos..."
Cassie warf einen schnellen Blick auf ihr Handy und stellte erleichtert fest, dass die Torte inzwischen geliefert worden war. Sollte der Fotograf sein Technikproblem nicht in den Griff kriegen, würde sie eben alles mit dem Handy festhalten.
Sonst konnte nichts mehr schief gehen, die Probleme waren gelöst. Es würde ein perfekter Tag werden.
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Kurzgeschichten
Short StoryGroße Geschichten in wenigen Worten... Willkommen in der Bibliothek voller Geschichten unter 100.000 Worten. Ein paar Ausflüge in fremde Welten, Einblicke in zarte Gefühle und Zeilen, die von Dingen erzählen, die möglich sind oder für unmöglich geha...