Ich komme auch ohne dich zurecht

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»Gehst du heute Nachmittag zu deiner Schwester?«.

»Ja, wie jeden Freitag« hatte Magumi genickt und sich dabei etwas von dem kalten Omelett in den Mund geschoben. »Wieso?«.

»Wenn du möchtest, kann ich dich begleiten«.

»Das ist lieb von dir... aber ich gehe lieber alleine«.

Yuji hatte es sich nicht anmerken lassen, aber es traf ihn mehr als er zugeben wollte, dass Megumi ihn nicht dabei haben wollte. Doch statt etwas dazu zu sagen, hatte er ihn nur angelächelt und gemeint, dass er sich melden konnte, wenn er es sich anders überlegte. Auch wenn er wusste, dass Megumi sich nicht bei ihm melden würde. Nicht deswegen.

Ein resignierendes Seufzen entkam seinen Lippen. Seit zwei Monaten fühlte es sich so an als würde er auf der Stelle treten und keinen Schritt vorwärtskommen. Er wusste ja selbst, dass er Megumi mehr oder weniger dazu überredet hatte wieder mit ihm zusammen zu kommen. Ihm versprochen hatte, dass er keine Rücksicht auf ihn nehmen musste, dass er, egal wie lange es auch dauern mochte, auf ihn warten würde.

Und das hatte er auch weiterhin vor. Er liebte ihn und er wollte mit ihm zusammen sein und trotzdem war da plötzlich diese unsichtbare Mauer zwischen ihnen, die sich einfach nicht einreißen ließ. Im Gegenteil, je härter Yuji gegen diese Mauer schlug, desto stärker schien sie zu werden. Er schaffte es einfach nicht Megumi zu erreichen. Die einzig wirkliche Verbindung zwischen ihnen war momentan Sex. Wenn er mit Megumi schlief, hatte Yuji für einen kurzen Moment das Gefühl, dass dort doch noch etwas zwischen ihnen war, dass seine Gefühle vielleicht doch noch erwidert wurden und er noch einmal die Chance bekommen würde, Megumis Herz zu erreichen.

»Yuji?«.

Allerdings entglitt ihm dieser flüchtige Moment jedes Mal wieder, als würde er versuchen nach Luft zu greifen. Es schien so ausweglos und jeder Versuch von ihm Megumi auf eine andere Art und Weise zu erreichen, scheiterte schon bevor er ihn wirklich starten konnte.

Es ist zum wahnsinnig werden...

Wenn es doch nur irgendetwas geben würde, was er tun konnte. Irgendetwas wie er Megumi zeigen konnte, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Dass er der Richtige für ihn war!

»Hey Yuji!«.

Ein stechender Schmerz zog durch seinen linken Zeigefinger und wie aus einem Traum gerissen, beförderte er Yuji zurück in den Vorlesungssaal, als auch schon nach seiner Hand gegriffen wurde.

»Was machst du denn da?« hörte er Sasakis besorgte Stimme neben sich und sah verwirrt zu seiner Sitznachbarin, die seinen Finger begutachtete.

Aus einer kleinen Wunde quoll etwas Blut hervor und von dem einstigen Fingernagel war nicht mehr viel übrig.

»Seit wann kaust du denn so extrem an deinen Nägeln herum?« fragte seine Freundin alarmiert nach, warf dabei einen Blick auf seine anderen Finger. Doch bevor sie diese genauer unter die Lupe nehmen konnte, entzog Yuji ihr schon seine Hand und ballte sie zu einer Faust zu zusammen.

»Ahhaha, das ist eine dumme Angewohnheit von mir« versuchte er die Situation zu überspielen. »Liegt wahrscheinlich am Prüfungsstress. Du weißt doch, dass ich gerade versuche die Prüfungen nachzuholen, die ich im letzten Semester wegen meiner Verletzung verpasst habe«.

»Ja... aber wenn dich das so sehr stresst, geh es doch etwas langsamer an. Du musst doch nicht alle Prüfungen auf einmal nachholen... und selbst wenn du noch ein Semester dranhängst wäre da-«.

»Nein, das geht nicht« unterbrach Yuji sie nur und erntete dafür einen verwunderten Blick. »Ahhh... uhm... ich mein nur... so ein Studium ist ziemlich teuer und ich möchte einfach in der Regelzeit fertig werden« fügte er rasch hinzu, während glücklicherweise im selben Moment die Stunde beendet wurde. Yuji nutzte die Chance, um schnell seine Sachen zusammenzupacken und aufzustehen.

»Jo, Yuji!« hörte er kurz darauf die Stimme seines Kumpels Iguchi. »Kommst du heute Abend mit was trinken?«.

»Sorry, geht nicht« erwiderte dieser lächelnd. »Ich muss später noch zur Arbeit. Vielleicht ein anderes Mal«.

»Das hast du die letzten Male auch schon gesagt« schmollte sein Freund. »Komm schon, es ist Freitag. Kannst du nicht wenigstens nach deiner Arbeit dazu kommen?«.

»Lass ihn, Schatz« kam ihm Sasaki nun zur Hilfe. »Du weißt doch, dass Yuji das ganze Wochenende arbeitet«.

»Hm...ja...« brummte Iguchi. »Dann lass uns wenigstens mal wieder unter der Woche was unternehmen. Ein bisschen Zeit kannst du für deine Freunde doch frei machen, oder nicht?«.

»Sicher... ich melde mich bei euch« erwiderte Yuji lächelnd. »Sorry, noch mal. Aber ich muss jetzt echt los... bis dann Leute« winkte er ihnen zu und verließ dann den Vorlesungssaal.

Ein Blick auf sein Handy verriet ihn, dass er sich wirklich beeilen sollte, also schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr, so schnell es der Verkehr zuließ, nach Hause.

Bei seiner Wohnung angekommen, ließ er das Fahrrad gleich vor der Tür stehen. Er würde sich sowieso nur schnell umziehen und musste dann los zur Arbeit, länger als eine halbe Stunde konnte er sich nicht Zeit lassen. Also schloss er rasch die Haustür auf und streifte gleichzeitig seine Tasche von der Schulter, um sie neben der Tür auf den Boden zu werfen. Fast im selben Moment hielt er inne, als er etwas unter seinem Schuh spüren konnte und sah auf den Boden.

Die Hälfte eines Umschlags lugte unter seinem Sneaker hervor und sorgte dafür, dass sich Yujis Puls mit einem Schlag erhöhte. Seine Schläfen begannen zu pochen und er schluckte den bitteren Geschmack hinunter, der sich plötzlich in seiner Kehle angesammelt hatte, während er seinen Fuß zur Seite schob und den Brief vom Boden aufsammelte.

Kein Absender. Wie immer.

Obwohl Yuji genau wusste, was sich in dem Umschlag befand, warf er trotzdem einen Blick hinein. Ein Bündel an 10.000 Yen Scheinen rutschte in seine Hand, sonst befand sich nichts darin. Genauso wie die letzten fünf Monate...

Yuji kniff die Lippen zusammen, schob das Geld zurück in den Umschlag und drehte sich anschließend zu dem kleinen Schrank im Flur. Er öffnete die erste Schublade und warf den Brief achtlos zu den anderen.

»Ich brauche dein Geld nicht...« murmelte er und schob die Schublade mit einem harten Ruck wieder zu.

Sein Bruder konnte ihn mal am Arsch lecken. Wozu überhaupt diese geheuchelte Fürsorge? Als würde es ihn ernsthaft interessieren, wie er über die Runden kam. Als hätte es ihn jemals interessiert! Lieber würde er sich wochenlang nur von Reis ernähren, anstatt noch einen weiteren, dreckigen Yen von ihm anzunehmen.

Wütend schluckte er den dicken Kloß in seinem Hals hinunter und entspannte seine zusammengeballte Faust. Er schüttelte den Kopf, als würde das all die negativen Gedanken darin vertreiben können, dann ging er auf sein Zimmer, um sich für die Arbeit umzuziehen.

Ich komme auch ohne dich zurecht...

Schattenspiel II [Jujutsu Kaisen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt