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Meine nächste Aufgabe wartet auf mich auf dem leeren Marktplatz direkt vor dem Gemeindehaus, wo ein Tisch, wie man ihn aus der Schule kennt, mit einem Plakat dekoriert wurde, das jedem, der mir fünf Euro gibt, einen Wangenkuss von mir verspricht. Das hier ist mir so peinlich, dass ich es am liebsten überspringen würde, was die Spielregeln selbstverständlich verbieten. Also setze ich mich seufzend auf den Tisch und harre tapfer der Dinge, oder vielmehr der Menschen, die da kommen werden.

Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, sehe ich schon eine Gruppe von fünf Mädchen, die zielstrebig auf mich zukommen - alle aus meinem Jahrgang. Die erste ist eine blonde Zicke, die, glaubt man den Gerüchten, die hinter ihrem Rücken verbreitet werden, der brünetten Anführerin der Wir sind Gottes Geschenk an die Männer-Clique nur deshalb folgt, weil sie total in sie verschossen ist - und das seit der siebten Klasse! -, sonst hätte sie längst ihre eigene Mobbing-Gang gegründet, mit der sie das gewöhnliche Fußvolk terrorisiert hätte.

Sobald sie ihren Kuss bekommen hat und ich mein Geld und meine Karte, nickt sie ihrer Nachfolgerin zu, die mich bis eben noch skeptisch beäugt hat und sie nun fragend anblickt, der Göttin höchstpersönlich. Was an ihr so schön sein soll, habe ich noch nie verstanden. Ihre lockigen Haare sind viel zu wild für meinen Geschmack, ihre Augen sind winzig im Vergleich zu ihrer Nase, ihr ...

Oh je, da kommt sie ...

„Wir tun das nur, weil dein dämlicher Freund uns dafür bezahlt hat, ist das klar?", deklariert sie und erntet Ja!s und Genau!s von ihren Rudelfreundinnen.

„Selbstverständlich", antworte ich.

„Schweig, du wertloses Stück ..."

„Denk an deinen Blutdruck, Cleo", ermahnt die Blonde sie, woraufhin Cleo ihre Augen schließt, ihre Hände meditationsmäßig gerade von sich streckt und langsam, wirklich ganz langsam, tief einatmet. Beim Ausatmen senkt sie ihre Hände wieder, um sie im nächsten Moment beim Einatmen wieder zu heben. Diese Übung macht sie ungefähr zwei Minuten lang, dann kommt sie die letzten Schritte auf mich zu, haucht mir einen Luftkuss auf jede Wange, legt den Schein und die Karte auf den Tisch und gesellt sich zu ihrer wartenden Komplizin.


Die nächsten beiden sind schnell abgehakt, das letzte Mädchen jedoch kommt nur zögerlich auf mich zu, mit errötenden Wangen, leicht gesenktem Blick und einem ganz feinen, schüchternen Lächeln auf ihren Lippen. Sie ist Cleos Schwester, der unerwünschte Zwilling, das Übriggebliebene, nachdem die selbsternannte Königin ihr neun Monate lang geteiltes Zuhause verlassen und die Welt um sich herum zu ihrem neuen Spielplatz auserkoren hat. Sie ist die Güte in Person, die Schönheit auf Erden, alles, was ihre wenige Minuten ältere Schwester nicht ist. Und sie ist verflucht, denn niemand traut sich an sie heran - und sie traut sich nicht, dem Teufel auch nur eine Sekunde lang von der Seite zu weichen. Zu schade ...

„Nun mach schon, Clara!", befiehlt ihre Schwester ihr. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."

„Mach schon", ruft Blondie, „es ist doch nur ein blöder Kuss!"

Doch in Claras Augen sehe ich, dass es nicht nur irgendein Kuss ist, es ist ein besonderer, wahrscheinlich ihr erster. Also tue ich das, was ich sonst nie tun würde: Ich breche die Regeln - und küsse sie nicht auf die Wange, sondern auf die Lippen. Ganz leicht und sachte, so wie ein erster Kuss sein sollte - magisch ... Ein Schmetterling kommt angeflogen und setzt sich auf ihre Nase und ihr Lächeln wird größer, zauberhafter, unendlich schön. Sie schaut mir in die Augen, dann schiebt sie mir das Geld sowie eine Karte in die Hand und ist weg, den anderen hinterher.

Eine ganze Weile sehe ich ihr nach und bedanke mich bei Florian für die kurze Zeit mit ihr, auch wenn es nur ein paar Sekunden waren und ich ihr nie wieder so nah kommen werde. Erst dann werfe ich einen Blick auf die Karte in meiner Hand. Wieder ein neuer Buchstabe, wieder kein neues Ziel - meine Gästeliste wird also länger werden.

Maxis Flo(h)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt