Kapitel 2

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Erschöpft sinke ich mit dem Rücken zur Tür in die Knie. Dabei achte ich auf Geräusche von draußen. Erst als ich mir sicher bin, dass da niemand ist löst sich meine angespannte Haltung. Nun merke ich wie sehr meine Kehle vom Rennen brennt. Es fühlt sich an, als hätte ich dort eine offene Wunde. Ach propo, ich ziehe vorsichtig meine Jacke und mein Oberteil hoch. Autsch! Eine rote Schramme vom Zusammenstoß mit dem Zaunpfahl zieht sich über meine Hüfte. Langsam lasse ich den Stoff wieder darüber fallen und lehne meinen Kopf erneut zurück.
So verharre ich einige Minuten bis sich mein Atemrhythmus wieder normalisiert hat und beginne dann meine Schuhe aufzuknoten. Da das bei fehlendem Licht jedoch schlecht geht strecke ich mich angestrengt die Wand entlang zum Schalter und lege ihn um. Obwohl ich die plötzliche Helligkeit erwartet habe kneife ich reflexartig meine Augen zu.
Unter starkem Blinzeln gewöhne ich mich dann allmählich doch an die Umgebung, die mir immer noch nicht sehr vertraut ist. Eine kleine schlichte Kochecke, ein fensterloses Bad zu meiner Linken und ein altmodisches Schlafzimmer zu meiner Rechten stellen die gesamte Einrichtung dar. Seit ich vor nicht allzu vielen Monaten von meinen Eltern auf dem Land hierherzog hatte ich lange damit zu kämpfen mich hier einigermaßen einzuleben. Wirklich wohl werde ich mich hier jedoch wohl nie fühlen.
Mit einem Keucher stämme ich mich hoch und lasse dabei den Rucksack von meinen Armen gleiten. Nachdem ich sicherheitshalber die Vorhänge des Fensters zugezogen habe visiere ich die Dusche an. Im Handumdrehen habe ich mich der verschwitzen Klamotten entledigt und betrete die Kabine.
Die Kühle des Wasserschauers beruhigt mich. Erst nachdem ich in meine bequemsten Klamotten geschlüpft bin und aufs Bett kippe finden meine Gedanken zu dem unheimlichen Mann zurück. Am liebsten würde ich jemanden anrufen um mich nicht mehr so alleine und ausgeliefert zu fühlen. Aber da ist niemand. Klar, ich könnte meine Mama fragen, doch ihre überfürsorglichen Ratschläge kann ich gerade echt nicht ertragen.
Ich kuschel mich zu meinem bunten Plüschhund und versuche zu schlafen. Viel schneller als erwartet siegt die Erschöpfung über meine innere Unruhe - die wohlige Schwärze der Bewusstlosigkeit umhüllt mich.

Mit getrockneter Sabber im ganzen Gesicht verteilt und Muskelkater am ganzen Körper wache ich am nächsten Vormittag auf. Ich fühle mich wie einmal durchgekaut und wieder ausgespuckt. Welchen Tag haben wir überhaupt? Angestrengt versuche ich mich zu erinnern.
Schlagartig fällt mir der gestrige Vorfall wieder ein. Mein Herz beginnt aufgewühlter zu schlagen. Wie ich mich mühevoll aus dem Bett hochgekämpft habe gehe ich sofort zum Fenster und spähe vorsichtig zwischen den Vorhängen hervor - niemand zu sehen, also ziehe ich sie ganz zur Seite und schlurfe ich ins Bad um mir das Gesicht zu waschen. Mit noch zugekniffenen nassen Augen greife ich nach meinem Handtuch. Doch meine Finger langen ins Leere.
Hä?
Mein Handtuch hängt immer am gleichen Haken. Verdutzt wische ich mir mit dem nackten Arm über meine Augen und erkenne dann dass sich das gesuchte Objekt auf der Waschmaschine befindet.
Was?
Dort habe ich es ganz sicher nicht abgelegt! Hatte ich es gestern überhaupt in der Hand? Alarmiert laufe ich zur Tür und überprüfe, ob sie abgeschlossen ist. Zu.
Aufmerksam schaue ich mich in der Wohnung um. Sonst scheint alles an Ort und Stelle zu sein. Etwas nervöser bin ich trotzdem geworden. Ich blicke zu meinem Rucksack, der immer noch an der Tür lehnt. Eigentlich wollte ich heute an meinem Bericht arbeiten, doch den ganzen Tag hier drinnen zu verbringen erfüllt mich irgendwie mit Unbehagen. Aber die zweite Option – in die Uni zu fahren – ist nicht sehr viel besser. Wirklich konzentrieren kann ich mich dort selten. Naja, in der Wohnung kann ich das heute wahrscheinlich noch weniger. Ich seufze demotiviert.

Dann auf in die Uni.

Vor der Wohnungstür schaue ich mich erst einmal genau um, bevor ich mich ins Treppenhaus wage. Aber bis auf eine alte Dame, die sich zwei Zimmer zu meiner rechten niedergelassen hat ist niemand zu sehen.

Gott, ich bin viel zu ängstlich.

Ich reiße mich zusammen und verlasse mit nach bemüht selbstbewusster Haltung das Gebäude. Ein schneller Blick – niemand da. Also trete ich meinen Weg zur Bahn an. Heute ist die Straße, wie mir freudig auffällt voller als noch am Abend zuvor. Die Sonne bewirkt zudem, dass die Umgebung generell einen freundlicheren Eindruck macht. Selbst der verlassene Kiosk, auf dessen Schrägdach eine schwarze Katze die wohlige Wärme genießt kommt mir heute viel sympathischer vor. In der Bahn setze ich mich dieses mal nicht ans Fenster, sondern nehme angrenzend zum Gang platzt. Wahrscheinlich ist das übertrieben, aber so habe ich das Gefühl im Notfall bessere Fluchtchancen zu besitzen. Die Fahrzeit erscheint mir zu kurz, um schon hier meine Lernunterlagen auszupacken, also muss mein MP3 Player wieder herhalten.

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