Szene 1

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Sommer 2014


REHEARSALHALLS, NASHVILLE


Nur noch eine Stunde bis zum Feierabend, höchstens zwei bis sie alle in ihren Betten liegen werden. In ihren eigenen wohlgemerkt. In richtigen Betten, nicht in den Kojen eines schaukelnden Tourbusses. Zweieinhalb Tage Ruhepause liegen vor ihnen, bevor alles von vorne beginnt. Bevor all das, was sie jetzt aus den Trucks laden wieder in selbige eingeladen werden muss. Dann wieder aus. Dann wieder ein. Wieder aus, wieder ein, wieder aus, wieder ein und aus. Dann zweieinhalb Tage... Und immer so weiter. Bis Weihnachten. Fast. Noch ist der Rhythmus fremd und die Glieder schmerzen. Noch fällt es schwer nach nur vier Stunden Schlaf wieder aufzustehen. In zwei, spätestens drei Wochen sind sie alle es dann wieder gewohnt, dann ist es erneut Routine. Das und auch, dass Aaron Harper sie zu jeder Tag- und Nachtzeit antreibt. Wobei diesem vollkommen egal ist, ob sie sich gerade an einen Zeitplan zu halten haben oder nicht. Schnell, korrekt, präzise. Um halb sieben hat er seine Crew geweckt und sich mit ihr darauf abgestimmt bei einem Fast Food Restaurant einzukehren. Hunger hatten sie gehabt, Appetit auf Rührei, Speck und Fleisch; und Kaffeedurst. Nur einer ist im Bus geblieben. Der Jüngste. Nicht etwa, weil sie ihn nicht wach bekommen hätten oder weil er keinen Hunger gehabt hätte, sondern schlicht weil die übriggebliebenen Brote vom Vortag mehr nach seinem Geschmack gewesen sind. Sie kennen das schon von ihm. Das macht er immer so. Es sorgt dafür, dass sie noch ein bisschen mehr über ihn lästern, sich das Maul zerreißen. Damit aber kann er leben. Muss er ja. Es ist ja nicht so, dass er nicht mitgehen wollen würde. Furchtbar gerne würde er sich ihnen jedes Mal anschließen, nur leider sagt sein Geldbeutel nein. In ihm herrscht chronische Leere. Nicht etwa weil er die verdienten Bucks sinnlos verprasst, sondern schlicht, da er noch nicht viele verdient. Nicht mit seiner klaren weichen Stimme und seiner Gitarre und auch nicht damit, dass er Kabel verlegt, Lichter justiert und Rollcontainer über holprige Parkplätze schiebt. Klagen aber hört man den Jungen aus Alpharetta in Georgia nie. Er ist ja viel zu froh darüber, dass man ihm die Chance gibt, denen auf die Finger zu sehen, von deren Job er schon mit acht Jahren zu träumen begonnen hat. Nein, um Himmels Willen nicht den Job von Aaron Harper. Roady ist er ja nur, um sich über Wasser zu halten. Nachts ist er der Held an der Gitarre. Wenn die Sonne untergegangen ist, die Augenlider schwer gefallen, dann steht er im Rampenlicht, dann ist er Superstar Lance Davy. Eine deutlich kleinere Version, eine schmächtigere, aber das tut ja nichts zur Sache. Wenn er in fünffacher Ausfertigung auf der Videoleinwand erschiene, dann wäre er riesengroß. In jederlei Hinsicht. Sehr zum Leidwesen seines Chefs und seiner Kollegen träumt er nur leider oft auch mit offenen Augen davon.


„Du musst dir das so vorstellen: Ich geh da auf die Bühne, meine Gitarre in der rechten Hand, in der linken meine Setlist. Nein, warte, die hatte ich zwischen den Lippen, mein Handy in der linken. Es war stockdunkel und total eng, ich musste da zwischen so ner Kiste wie dieser hier und..." Wild gestikuliert er, während er spricht. Temperament hat er für zwei. Der rollbare Container, der eigentlich seine vollkommene Aufmerksamkeit bräuchte, wird da glatt zur Nebensache, rumpelt beinahe in einen Mauervorsprung. Nur mit aller Kraft und da er sich mit ganzem – nicht wirklich hohen – Körpergewicht dagegen wirft, bewahrt er ihn davor, Schrammen zu bekommen, die er nur schwerlich erklären könnte. Und Glück hat er, dass Charlie mehr auf die Waage bringt und ihn vorm Kippen bewahrt. Den Container. Und den jungen Mann. „Uuups!", grinst er schief und atmet dann durch. Blickt den Älteren von unten herauf an, hält sich noch einen Moment an dem kalten Metallkasten fest. „Danke, man!", sagt er, als er sich schließlich wieder gerade hinstellt und langsame Schritte rückwärts setzt. „Noch so'n Ding und die schmeißen mich hochkant raus. Da... ist nichts Zerbrechliches drin, oder?"

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