Parkgespräch

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Zu Hause angekommen pfefferte ich meinen Rucksack in eine beliebige Ecke meines Zimmers. Die Hausaufgaben - eine Beschreibung unserer Ferien - konnten warten. Erst wollte ich die Gegend erkunden. Es war schlimm genug, dass meine Eltern mich hierher verfrachtet hatten, jetzt wollte ich nicht auch noch unwissend sein, was meine Nachbarn und deren Häuser betraf.

,,Quinn?", drang die Stimme meiner Mutter aus dem Keller, wo sie gerade dabei war, alles zu inspizieren. ,,Hast du schon etwas gegessen?" Die übliche Frage. ,,Nein", gab ich zu. ,,Aber ich hole mir ein Sandwich aus dem Kühlschrank!" Der war das erste - abgesehen von dem Klavier - was wir in unser neues Haus gepackt hatten.

Eine Sekunde später - und ein Sandwich mehr im Magen - schlenderte ich aus der Einfahrt. Die Straße war schnurgerade und man konnte sehr weit blicken. Ich beschloss, in Richtung der Bushaltestelle zu gehen, deren Standort ich heute Morgen allein durch fragen ermitteln hatte können.

Nach einigem Umherirren hatte ich die Haltestelle gefunden, hinter der sich ein schöner Park befand. Das hatte ich heute Morgen noch nicht bemerkt. Der Eingang, ein schmiedeeisernes Tor, war in die niedrige Mauer eingelassen und glänzte im Licht der Sonne, die hoch am Himmel stand. Staunend ging ich hindurch - und sah direkt etwas, dass ich gar nicht hatte erblicken wollen. Auf einer Picknickdecke saß Cam, der Nachbarsjunge. Mit einem Mädchen. Sie hatte lange blonde Haare und neben ihr lag eine kleine, pinke Handtasche. Daraus ragte ein Handy hervor. Ein teures Modell. Ganz klar. Dieses Exemplar gehörte anscheinend zur Klasse Ich - bin - eine - reiche - Göre - und - wenn - ich - nicht - bekomme - was - ich - will - reiße - ich - dir - alle - Haare - einzeln - raus. Ich bemerkte, wie die Hand der Blondine zu Cams Finger wanderte. Er nahm ihren Daumen in seine Hand und beugte sich vor. Ich wollte nicht hinsehen, konnte die Augen aber gleichzeitig auch nicht abwenden.
Und dann...flüsterte sie ihm etwas ins Ohr. Ich merkte, wie ich erleichtert ausatmete. Anscheinend hatte ich während der letzten Sekunde den Atem angehalten.
Dann küssten sie sich doch. Es war ein tastender, suchender Kuss. Es war vielleicht erst das zweite Mal, dass sie sich küssten. Oder das dritte.

Darüber wollte ich doch nicht nachdenken! Verzweifelt schüttelte ich den Kopf, um diese verstörenden Gedanken abzuschütteln. Eigentlich wollte ich diejenige sein, die Cam küsste. Es musste toll sein, mit ihm zusammen in die Schule zu gehen, Hand in Hand. Sich von ihm füttern zu lassen und die ganze Zeit bei ihm zu sein...

Moment mal! Ich war doch noch nicht einmal sicher, ob ich in ihn verliebt war! Wie konnte ich es dann nicht ertragen, dass er mit einem anderen Mädchen rumhing und sie küsste? Ich war bestimmt nicht in ihn verliebt, es schien mir wahrscheinlich nur so, weil er so gut aussah. Und weil er mich überhaupt bemerkt hatte! Cam hatte mich bemerkt!

,,Hallo?" Ich schaute auf. Da stand Cam! Er wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum, wie um eine Fliege zu verscheuchen. ,,Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte er besorgt. ,,Natürlich", antwortete ich irritiert. ,,Gut." Er räusperte sich verlegen. ,,Ähm, möchtest du vielleicht mit uns... zusammen essen? Also, ein Picknick machen?" Das Gesagte trieb mir eine leichte Röte ins Gesicht. Meinte er das ernst? ,,Ehrlich? Gern", willigte ich ein und gesellte mich zu ihnen. Dann fiel mir das Mädchen wieder ein. Doch sie schien mich überhaupt nicht zu sehen, ihr Gesicht war fast gänzlich hinter einem kleinen Schminkspiegel verschwunden. Als Cam mich vorstellte, nickte sie nur und murmelte etwas unverständliches. Aha. Nette Zeitgenossin.

Wir unterhielten uns noch eine Weile über den Alltag. Dann klingelte mein Handy. Es war Mum. ,,Hi Mum! Was ist los?", fragte ich und kicherte gleichzeitig über einen Witz von Cam. Vielleicht hatte ich doch noch eine Chance bei ihm? ,,Es gibt bald Abendessen. Wo bist du?" Ich schaute vom Telefon auf. ,,Bei der Bushaltestelle ist ein schöner Park. Ich bin hier mit Freunden", beantwortete ich direkt auch noch ihre ungestellte Frage. ,,Wie schön, dass du dich hier schon eingelebt hast! Komm bitte in spätestens einer halben Stunde nach Hause, okay?" Ich antwortete nicht mehr auf ihre letzte Frage, sondern sagte nur: ,,Bis dann, tschüss!" Dann drückte ich auf den roten Button und beendete das Gespräch. Ich wägte kurz ab, wie lange es nach Hause dauern würde und kam auf ungefähr zehn Minuten. ,,Ich muss gleich los. Kann aber noch ein bisschen bleiben." Cam nickte verständnisvoll. Dann fragte er unvermittelt: ,,Wie findest du eigentlich deine neue Schule? Gut?" Auf diese Frage hin nickte ich einfach und sagte nichts weiter. Den Rest meiner Zeit versuchten wir beide wieder in ein fließendes Gespräch zu kommen und irgendwann - obwohl ich noch mindestens sechs Minuten Zeit hatte - ging ich einfach. Bevor ich den Park verließ, drehte ich mich noch einmal um und erkundigte mich bei Cam nach der Blondine. ,,Sie ist meine feste Freundin und heißt Tina", war die schleuderartige Antwort, die mir zu sagen schien: Gibt es daran etwas auszusetzen? Ich schüttelte den Kopf. Wieso war er plötzlich so gereizt? Es war bestimmt besser für mich zu gehen, deshalb verabschiedete ich mich endgültig und verließ den Park.

Auf dem gesamten Weg nach Hause war mir, als verfolgte mich jemand. Und obwohl ich mich immer umschaute und niemand zu sehen war, ging ich mit einem unguten Gefühl die Straßen entlang in Richtung Grünes Haus.

Allein auf HawaiiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt