Wir müssen reden!

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Perplex starrte er mich an. ,,Quinn? Du... musst zum Direktor?" Ich rang nach Luft. ,,Also, du wirst es nicht glauben, aber es war nicht meine Schuld!", versuchte ich die Wogen zu glätten. Doch er wollte nicht hören. ,,Ich dachte... Warum ? Du - Ich wusste nicht, dass du dir schon nach einer Woche eine Strafe abholen willst." Sein Blick huschte über die Wände, er sah überall hin - nur nicht in meine Augen. Er verhielt sich so, als würde er sich schämen. Schämte er sich für mich ? Nein. Ich schüttelte den Kopf, er kannte mich doch kaum. Wir hatten uns nur ein paar Mal gesehen!

In diesem Moment bog Mum um die Ecke, wie immer war es das perfekte Timing. Sie wischte sich die Hände an ihrer Hose ab. ,,Meine Güte, diese Schule ist wirklich nicht gut ausgestattet, hier gibt es nicht einmal Handtrockner oder Papiertücher. Meine Hände sind noch ganz nass. Ich weiß nicht, warum dein Vater hierherziehen wollte", klagte sie und schaute sich ihre perfekten Nägel an. ,,Kann es sein, dass die Seife meinen Nagellack abgewaschen hat? Jetzt muss ich alles noch einmal neu auftragen!" Damit verschwand sie wieder in Richtung Damentoilette.

,,Ähm", brachte ich heraus und knetete meine Finger, in der Hoffnung heute noch eine Antwort von Cam zu bekommen, was meine Verteidigung betraf. Hatte er sie einfach überhört?

Endlich regte sich etwas in ihm. Er straffte die Schulter und hob den Kopf. ,,Wie auch immer, da musst du ja echt in Schwierigkeiten stecken, wenn du sofort zum Direktor beordert worden bist. Herzlichen Glückwunsch zum Kloputzen oder Nachsitzen. Wenn es ganz schlecht läuft, musst du beides über dich ergehen lassen." Er schien sich die perfekte Strafe überlegen zu wollen. Ich wollte ihn am liebsten im Nacken packen und einmal quer durch die Schule zerren, damit er wieder mit mir redete und nicht mit sich. Er verschränkte die Arme und in diesem Moment sah er genauso aus, wie ich mir diese kleinen Schwestern von den Hauptfiguren aus Büchern vorstellte, wenn sie nicht die neueste Barbiepuppe aus dem letzten der 30 Geschenke zogen, die sie zum Geburtstag bekommen hatten. Außerdem hatte er den perfekten Ich-will-aber-Ausdruck im Gesicht. Ähm, hallo, wollte er echt wie ein kleines Kind wirken? Wenn das seine beste Taktik war, wollte ich nicht wissen, wie seine anderen aussahen.

Unmittelbar vor mir öffnete sich die Tür und ein jugendlich wirkendes Gesicht schaute durch den Spalt. Der - Direktor? Wie alt war er? 20?

Cam hatte nicht mitbekommen, dass direkt hinter ihm ein... Jugenddirektor zuhörte, als er sich lauthals darüber ausließ, dass es ja noch viele andere perfekte Strafen für mich gab. Okay...

,,Würdest du bitte reinkommen? Quinn, richtig?", meldete der Jugenddirektor sich endlich zu Wort und ließ den nun verstört wirkenden Cam verstummen. Na endlich. Beinahe verdrehte ich die Augen. Beinahe, doch ich konnte mich rechtzeitig davon abhalten dem Jugenddirektor noch eine Gelegenheit zu geben, mir eine Strafe aufzubrummen. Teufel noch mal, bitte, bitte lass mich nicht das Klo putzen!

Ich drehte mich noch einmal um, um Cam zuckersüß lächelnd zuzuwinken. In diesem Moment rannte Mum auf die Tür zu. ,,Hey, warten Sie! Ich bin ihre Mutter, darf ich denn nicht dabei sein?", rief sie so laut über den Flur, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Sie hörte sich an wie ein quengelnder Teenager, der unbedingt auf diese Party wollte.

,,Tut mir leid, ich möchte mit Quinn alleine reden", erklärte der Jugenddirektor ihr die Lage. Aha. Das war mal was neues, normalerweise wollten Direktoren immer wissen, wie die Erwachsenen über das dachten, was das Kind angestellt hatte. Es war toll zu wissen, dass mir auch einmal jemand zuhören würde, anstatt sich immer nur das Gebrabbel meiner Mum anzuhören. Interessant.

Der Jugenddirektor schloss die Tür hinter mir und bot mir an, mich auf den Sessel vor seinem imposanten Schreibtisch zu setzen. Was ich natürlich gerne tat. ,,Also Quinn, es ist so, dass das, was alle geglaubt haben zu tun war, das Richtige zu entscheiden. Ich bin aber derjenige, der das letzte Wort hat und ich höre mir die Versionen der Schüler immer an. Immer. Also werde ich das auch bei dir tun." Er sagte Versionen, nicht Geschichten. Ich hatte es immer gehasst, dass Direktoren und Lehrer meine Versionen immer als Geschichten betrachtet hatten, nicht als reale Begebenheiten. Es freute mich, dass mich mal jemand ernst nahm. Er war gut. Es war sogar genial. Denn es bedeutete, dass ich vielleicht eine Chance hatte zu bleiben.

Der Jugenddirektor hatte sich nach vorne gelehnt und die Fingerspitzen aneinander gelegt. Ich holte tief Luft.

Dann berichtete ich ihm von Tina, der Prügelei, wie ein Lehrer mich über Amber stehend erwischt hatte und ich hier gelandet war. Ich betonte kein einziges Mal, dass ich nicht die Prügelei angefangen hatte, sondern Amber. Ich erwähnte nie, dass es nicht meine Schuld gewesen war, sondern Tinas. Ich erzählte nur, was sie zu mir gesagt hatte, überlegte kein einziges Mal, wie ich es formulieren sollte, sondern haute einfach nur raus. Er sollte mir Glauben schenken können, mir eine zweite Chance geben, obwohl ich nicht so viel falsch gemacht hatte, wie die anderen. Es war mir egal, ob er mich für die Böse hielt, oder nicht. Ich wollte nur nicht schon wieder umziehen. Nicht schon wieder alles packen müssen und wieder neu anfangen. Ich hatte es satt. Ich wollte meine Ruhe, meinen Abschluss (Ja, ich dachte schon darüber nach) und ein echtes, richtiges Zuhause. Zu dem man immer hin konnte. Immer.

Der Jugenddirektor hörte mir zu, er schaute verständnisvoll und irgendwie sah er aus wie Dumbledore aus Harry Potter. Nur jünger.

Als ich meine Version beendet hatte, merkte ich erst, dass ich angefangen hatte zu weinen. Ich wusste nicht, wann ich damit begonnen hatte, ich wusste nur, dass es richtig war. In diesem Fall war es einmal richtig, alles rauszulassen. Die Tränen liefen über meine Wangen und tropften auf meine Hose. Und es fühlte sich gut an. Richtig eben.

Besorgt fragte mich der Jugenddirektor nach meinem Befinden. Ich lächelte nur und nickte. Es war völlig unangebracht, aber auch das war richtig. Richtig pur.

Er erklärte mir nicht seine Entscheidung, sondern bugsierte mich nur zur Tür seines Büros. Er hielt sie für mich auf, während ich hindurchtrat. Draußen wartete Mum, sie lächelte, als sie sich umdrehte, aber ihr Grinsen verschwand sofort, als sie mich in diesem Zustand sah. Sie wechselte noch einige Worte mit dem Jugenddirektor und vereinbarte einen weiteren Termin soweit ich es verstehen konnte, während meine eigenen Tränen in meinen Ohren rauschten. Ich schaute mich um und bemerkte, dass Cam verschwunden war. Gut für mich, dann hatte er keine Gelegenheit, seiner tollen Tina zu verklickern, dass Quinn, das neue Mädchen, auch heulen konnte. Ein wenig erleichtert war ich schon, aber die Erleichterung verschwand sofort wieder als Mum diesen Satz sagte: ,,Quinn, wir müssen reden!"

Allein auf HawaiiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt