Kapitel 9

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Die Kaffeemaschine, welche das Wasser im inneren mit einem leisen Rattern erhitzt ist das einzige Geräusch in der WG.
Franka liegt auf der Couch, die Augen geschlossen, den Mund ein wenig geöffnet. Egal wie lange ich eben bei Caro war, wie lange ich gebraucht habe die Stufen wieder hinauf zu gehen, die Zeit hat gereicht um sie ins Wunderland zu bringen. Früher, als ich fünf war, habe ich mir eingebildet, ich könnte mit meinen Gedanken meine Träume steuern und somit nie wieder einen Alptraum haben müssen. Jetzt weiß ich, dass jeder Traum ein Zugang zum Wunderland ist. Kurz betrachte ich das schlafende Mädchen und während die Kaffeemaschine meinen Kaffee macht hebe ich die Schwester hoch und schleppe sie in ihr Bett. Wie wir beide nebeneinander aussehen müssen will ich ehrlich nie gesagt bekommen. Wir müssen aussehen wie die größten Freaks.
Wieder zurück in der Küche hole ich mir meine dampfende Tasse Kaffee und hocke mich im Schneidersitz auf das Sofa.
Sollte ich auf Leni warten, sie fragen wo sie war? Nein, ich denke nicht. Während ich den heißen, schwarzen Kaffee in kleinen Schlucken trinke muss viel Zeit vergehen, denn der nächste Blick auf die Uhr sagt mir, dass bereits nach drei ist. Meine Augen starren auf die Zeiger. Tick Tack. Tick Tack. Eine/Zwei/Drei/Vier/Fünf Sekunden vergehen, ohne dass ich es realisiere. Tick Tack. Tick Tack. Eine/Zwei/Drei/Vier/Fünf weitere verschwendete Sekunden meines Lebens. Langsam fallen meine Augen zu. Diese Nacht schlafe ich in einem unruhigen Wunderland.

"Joey? Joey wach auf", flüstert jemand und ich schrecke auf.
"Was soll das? Soll ich während dem Schlaf nen Herzinfakt bekommen? Was willst du?", frage ich, blinzele gegen den hellen Schein der Taschenlampe an, die direkt auf mein Gesicht gerichtet ist.
"Sorry... ich wollte dir was zeigen... Komm mit!", erwiedert die Person und jetzt erst merke ich, dass es Leni ist.
"Spast", murre ich und schwinge meine Beine vom Sofa. In dem schwachen Licht der Lampe, die jetzt auf den Boden gerichtet ist, erkenne ich ihr Gesicht nur schlecht, doch sie sieht glücklich aus.
"Wohin willst du?", frage ich während ich dem Schein ihrer Taschenlampe in ihr Zimmer folge.
"Egal was du gerade an hast, schnapp dir dein Board, ne Taschenlampe und komm mit", flüstert sie.
Ich taste mich im dunkeln durch den Gang in mein Zimmer, bereits als ich die Tür öffne stolpere ich über mein Board. Eine Sache weniger zu suchen. Besitze ich sowas wie ne Taschenlampe überhaupt?
Aus keinem bestimmten Grund traue ich mich nicht, Licht zu machen. Stattdessen nehme ich das schwache Licht meines Handys um meine Koffer kurz zu durchwühlen. Dabei bekomme ich auch eine Zeitangabe. Kurz nach vier. Allein die Vorstellung in wenigen Stunden wieder in der Uni sitzen zu müssen lässt mich unweigerlich gähnen. Hoffentlich hat sie nen verdammt akzeptablen Grund mich um diese Uhrzeit zu wecken!
Nach einer kleinen Ewigkeit habe ich eine Lampe gefunden und verlasse das Zimmer wieder.
"Wo warst du heute Abend eigentlich? Wir hatten Chinesisch hier...", zische ich als ich wieder auf Leni treffe.
"Ist doch überhaupt nicht wichtig. Komm lieber mit, wir müssen uns beeilen!", erwiedert sie und schließt leise die Haustür hinter uns Beiden.

Wir waren etwa eine Stunde auf dunklen Nebenstraßen unterwegs, als wir an einem kleinen See halten.
"Das hier wollte ich dir zeigen. Schön hier oder?", fragt sie. In dem schwachen Licht der gerade aufgehenden Sonne erkenne ich ihr breites Lächeln.
"Ich steh voll auf sowas Schwester!", flüstere ich obwohl niemand hier ist, der uns hören könnte, aus Angst durch meine laute Stimme die Stille des Ortes zu stören.
"Mit ritzen und Vodka hast du doch sicher kein Problem oder?", fragt sie mich und lacht.
"Ne, ich doch nicht! Du kennst mich!", erwiedere ich ebenfalls leise lachend.
"Gut. Dann lass uns Blutsschwestern werden!", raunt das Mädchen direkt in mein Ohr. Bei jeder anderen Person hätten sich diese Worte wie eine abstrackte Idee aus der Jugend geklungen doch mit ihrer Stimme klingt es wie der genialste Einfall den sie je hatte und den sie in Vertrauen mit mir teilt. Und in meinen Ohren gab es zu keinem Zeitpunkt eine genialere Idee als die ihre an diesem See, wo die Sonne gerade beginnt aufzugehen.

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