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„Hab viel Spaß in der Schule und lern viel, Maya", verabschiedete sie sich von ihrer Schwester. Das Mädchen drückte sich kurz an sie und schenkte ihr ein großes Lächeln bevor sie zum Schultor rannte. Ihre Freunde warteten bereits auf sie und sprangen aufgeregt auf und ab als sie gemeinsam über den Platz stürmten. Kurz blieb Morgan noch vor dem Gebäude stehen und beobachtete die Tauben auf den Fensterbänken, die gurrend ihre Brauttänze vollführten oder in ihren Nestern brüteten. Nicht umsonst bekam das winzige Land den Namen Taubinien. Was es mit diesem Land auf sich hat, ist eine lange Geschichte.

Die verlassenen Straßen wurden von den Straßenlaternen beleuchtet die in unregelmäßigen Abständen am Straßenrand befestigt waren. Es war ein ruhiger Morgen und niemand war auf den Straßen unterwegs, was eher untypisch war. Morgan schlenderte die Gassen entlang und zog ihre Kapuze tief in ihr Gesicht und richtete ihren Blick auf ihre Füße. Sie befand sich im ärmsten und am äußersten Teil der Stadt, was man an den herabgekommenen Häusern erkennen konnte. Die Stadt, oder eher gesagt der Staat, Taubinien war in 5 Teile aufgeteilt. Die sogenannten Distrikte. Senicia war einer davon. Morgan lebte schon ihr ganzes Leben lang hier mit ihrem Vater und ihrer elfjährigen Schwester Maya. Über ihre Mutter sprach die Familie nie. Rose Kaminska starb als Morgan zwanzig Jahre alt war. Ihre Mutter war dem Krieg zum Opfer gefallen.

Morgan erreichte nun ein Wohnhaus. Die Fassade war an einigen Stellen herunter gebröckelt und die untersten Fenster wurden mit Holz verbarrikadiert. Glasscherben lagen am Boden und Morgan versuchte ihnen so gut es ging auszuweichen, als sie sich der Haustür nähert und den rostigen Schlüssel in das Schloss steckte. Sie versicherte sich kurz dass ihr niemand gefolgt war, und trat dann in das dunkle Stiegenhaus ein. Nur ein Spalt beim Fenster ließ Tageslicht herein. Sie bewegte sich nun die knarzende Wendeltreppe nach oben und betrat die Wohnung im dritten Stock. Schnell ließ Morgan die Tür ins Schloss fallen. In ihrer Nachbarschaft wurde schon häufig jemand überfallen, und so war sie ständig auf der Hut. Vor allem Frauen und Kinder wurden beraubt, vergewaltigt, geschlagen und sogar getötet. Für die Räuber waren es leichte Opfer und dank des geringen Schutzes der Menschen durch den Staat, kamen sie mit ihren Taten davon. Deshalb brachte Morgan ihre Schwester jeden Tag zur Schule und holte sie auch wieder ab. Ihr Vater kümmerte sich nicht um die beiden und er war andauernd mit seinen sogenannten Freunden trinken oder Drogen nehmen. Es war Morgans Aufgabe die Familie über Wasser zu halten. Morgan hing ihre Jacke auf und lugte vorsichtig um die Ecke. Man konnte schließlich nicht vorsichtig genug sein. Ihr Taschenmesser hatte sie jederzeit griffbereit in ihrer Hosentasche. Endlich konnte sie sich entspannen und Morgan ging erleichtert zum Kühlschrank und nahm sich ein Sandwich, was sie genüsslich hinunter schlang. Essen war knapp und so bekam sie oft nicht einmal zwei Mahlzeiten am Tag.

Immerhin war sie kein hirngesteuerter Zombie wie ihre Familie die das Gift in ihren Adern hatten. Taubinien gab es noch nicht allzu lange und der Staat wurde vor 5 Jahren gegründet, als die Mafia einen Teil von Ostmanien mit einer Droge manipulierten und einen Teil der Bevölkerung so von den anderen abspalteten. Klingt schräg, aber es ist die Wahrheit. Ein sehr talentierter und böshafter Chemiker für die Familie Terunax ein Mittel herstellte, dass die Menschen unterwürfig macht. So konnten sie ein neues Land ins Leben rufen nachdem alle Bewohner von Taubinien für ein eigenes Land gestimmt hatten. Ganz demokratisch. Nach genaueren Investigationen merkte man aber was für einen Fehler Ostmanien begangen hatte, indem sie sich von dem Teil des Landes getrennt hatten. Da viele Länder mit Ostmanien befeindet waren, half den Menschen in Taubinien niemand und ließ Ostmanien alleine im Kampf gegen das Regime.

Aber nun zurück zu dem Gift. Als die Stadt und ihr Umland von der Mafia besetzt wurden nachdem die Absplitterung vollbracht war, merkte man aber das man einige Leute vergessen hat mit dem Gift in Kontakt zu bringen. Weil bei der Impfung mit dem Gift alles schnell gehen musste um zu verhindern das Außenstehende von der Zwangsimpfung erfahren, vergaß man die Impfungen zu dokumentieren. Die ungeimpfte Bevölkerung schloss sich später im Geheimen zusammen und gründete die Widerstandsgruppe, die sogenannte Elpa. Lange blieb die Elpa aber nicht geheim und schon nach kurzer Zeit wusste die ganze Bevölkerung von den Aufständischen. Die Führer von Taubinien gründeten als Antwort darauf die Anti Elpa, die nur darauf aus war die Identitäten und Standorte der Elpa Anhänger ausfindig zu machen. So mussten sie sich so unauffällig wie möglich verhalten. Drei wurden aber bereits gefunden und exekutiert als sie versuchten Flugblätter aufzuhängen, die bei der Bevölkerung sowieso nichts half. Jeder Tag konnte der letzte sein, und dem war sich Morgan stets bewusst. Vor allem sie als Spionin war in höchster Gefahr entdeckt zu werden. Ein falscher Schritt, eine falsche Antwort und ihr und das Blut ihrer Freunde und Verbündeten klebte an der Wand. Trotzdem zögerte sie nicht etwas zu tun und die Gefahr in Kauf zu nehmen. Vor allem tat sie das alles für ihre kleine Schwester.

Die Elpa arbeitet schon seit einiger Zeit an einem Gegenmittel für die Impfung. Bis jetzt blieben ihre Versuche erfolgslos. Die Elpa hatten nur zwei Wissenschaftler und drei Arzte in ihrem Team und ihre Arbeiten wurden immer wieder von der Anti Elpa gestört, die den Feinden so langsam auf die Schliche kamen. Einer ihrer Stützpunkte wurde schon einmal fast entdeckt und so kamen sie mit dem Schrecken davon. Morgans Aufgaben bestanden darin, Kameras und Mikrofons im Hauptquatier zu platzieren und so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Wenn sie konnte half sie auch bei anderen Aufgaben wie Botengänge, Materialbeschaffung oder dergleichen.

Jetzt aber konnte Morgan kurz durchatmen bevor sie aufbrechen musste. Es war einige Zeit her seitdem sie gebadet hatte und so klebte ihre Haut schon etwas und ihr Pullover war mit Schmutz bespritzt. Zum Glück kümmerte es hier niemanden. Man war es gewöhnt. Angewidert verzog Morgan die Nase. Das Wasser war einfach zu kalt um zu duschen. Wasser. Sie hasste es. Der strömende Regen gab ihre schlechte Erinnerungen. Der Schmerz kehrte zurück. Sie konnte sich nicht einmal verabschieden. Das einzige was sie damals noch sah war ihr Körper. Der Körper der leblos am Boden lag. Blaue Flecken am ganzen Leib und all das Blut das sich in den Pfützen sammelte. Ihre Mutter hatte sie doch nur beschützen wollen. Was Krieg nur alles mit den Menschen machte. Morgans Hände waren klebrig von dem Blut, als sie sich verzweifelt über den Körper ihrer Mutter stürzte und sie fest an sich drückte. Deren Augen waren leer und glasig und starrten nach oben in den Himmel der ein einziges Meer aus grauen Wolken war. Ein einziges Mal berührte Morgan ihre Mutter. Das letzte Mal, bevor sie rannte. Weit weg von hier. Die Stimmen der Soldaten dröhnten in ihrem Kopf. Nach Luft rangend kam sie zu stehen. Hier auf dem Dach war sie sicher und wenn sie musste, würde sie springen.

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My name isWo Geschichten leben. Entdecke jetzt