Kapitel 1

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Der kalte Wind zerrte an meiner Kleidung, die durch die vielen Jahre schon heruntergekommen war. Die vielen zerfetzten Lagen an Stoff, würden mir bald nicht mehr helfen, um gegen die erste Kältewelle des Winters anzukommen. Und doch hockte ich hier, meinen Schal um mein halbes Gesicht gezogen und meine Kapuze auf meine eisigen Ohren gepresst. Lauschend nach einem Zeichen von Leben. Mein Blick huschte zwischen das dichte Blätterdach der Nadelbäume und dann zu meinem Bogen, als ein Geräusch tief im Wald meine Aufmerksamkeit weckte. Das Rascheln kam näher, begleitet von festen Schlägen auf dem Boden, die nur von einem großen vierbeinigem Tier stammen konnten. Vor Freude und der Kälte zitternd, nahm ich meinen Bogen in die Hand und spannte die Sehne daran, die ich selbst notdürftig angebracht hatte. Meinen Blick fest auf die Büsche gerichtet, zwang ich mich zur Geduld, während mein warmer Atem wie eine Rauchwolke aus meinem Mund drang. Äste begannen zu knacken und ein Schnauben durchdrang die Stille des Waldes, bevor die Büsche sich teilten und einen prächtigen Wildschwein hervor spuckten. Ich wäre vor Freude aufgesprungen, wenn es hier nicht ums Überleben gegangen wäre.
Tief durchatmend und meinen Körper zur Ruhe zwingend, fokussierte ich mein ganzes Wesen auf dieses Tier. Als wäre nichts mehr von Bedeutung. Alles, was zuvor noch um mich war, selbst diese beißende Kälte war fort und machte nur noch Platz für mich und das Tier, welches ich ins Visier nahm. Ich hielt meinen Atem an und als das Tier in meine Augen blickte, ließ ich meinen Pfeil los und sah dabei zu, wie es binnen von Sekunden seine Stirn durchbohrte. Es war surreal, als das Tier tot umfiel und der dumpfe Knall durch den Wald fegte. Es war so surreal, dass ich eine solch große Beute gemacht hatte, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Wir hatten seit drei Wochen kein Glück mehr gehabt und die wenigen Vorräte gestreckt, die wir noch da hatten. Unsere Verzweiflung hatte so weit gereicht, dass wir bereit waren bald loszuziehen, um die veralteten Häuser durchzusuchen, die einst vor langer Zeit bewohnt waren. Ohne die ständige Angst von einem Wesen der Nacht angegriffen zu werden.
Ich schob die Erinnerungen an diese unbeschwerte Zeit beiseite und warf mir den Bogen über die Schulter, bevor ich zu dem Wildschwein eilte. Mir wurde bewusst, dass ich ihn nicht würde alleine tragen können, weshalb ich das kleine Horn aus meiner Jacke zog und hinein pustete. Mein Vater hatte mir oft von der Technologie erzählt und den kleinen Geräten namens Handys, mit denen man mit anderen kilometerweit kommunizieren konnte. Nun. Dieses Horn war nun das Einzige, womit wir heutzutage kommunizieren konnten und das auch nur, wenn jemand von uns nahe genug war, um das tiefe brummen zu hören. In fünf Minuten abständen, wiederholte ich das Geräusch, bevor endlich Schritte durch den Wald hallten.

>>Nicht dein ernst!<< drang die bekannte Stimme von Blaise in mein Ohr, bevor er mich in seine Arme zog und sich gemeinsam mit mir im Kreis drehte. Mein Kichern durchdrang die Stille des Waldes, bevor Blaise mich endlich absetzte. >>Komm, die anderen werden sich freuen endlich mal wieder was Richtiges zu essen.<< Mit diesen Worten begann ich gemeinsam mit meinem Bruder, das Tier auf den Holzkarren zu hieven, den ich vorsichtshalber heute mitgenommen hatte. Ich war mit der Enttäuschung auf die Jagt gegangen, dass ich wieder nicht mehr als ein Eichhörnchen ergattern würde und nun lief ich breit grinsend neben meinem Bruder her und ließ mich von dem Gefühl einlullen, dass heute ein großartiger Tag war. Es war schwer, das Tier zu transportieren. Obwohl wir zu zweit waren und es noch immer kalt war, rann mir schweiß die Stirn herunter, sodass ich erleichtert aufatmete, als wir endlich an dem riesigen Felsrand ankamen. Wir konnten nicht auf der Oberfläche leben. Dazu war es viel zu gefährlich. Für mich war es nicht schwer gewesen, mich an das unterirdische Leben zu gewöhnen, weil ich damals erst zwei Jahre alt war. Doch meinem Bruder und meinem Vater war es wesentlich schwerer gefallen. Es hatte gedauert, bis sie sich an die Luft gewöhnt hatten und an das beengende Gefühl hier unten. Ohne zu reden durchquerten wir einige Meter die Höhle. Innerlich zählte ich die bekannten 51 Schritte und einen halben, bevor ich mich nach unten beugte und an dem kleinen metallenen Schalter zog, der gerade mal so groß war wie mein Daumen. Licht durchflutete die Höhle, als ein mir noch immer unbekannter Mechanismus dafür sorgte, dass sich ein Spalt im Boden öffnete und eine Treppe zum Vorschein kam. >>Irgendwann finde ich heraus, wie dieses Ding funktioniert.<< teilte ich laut mit, woraufhin mein Bruder gegen meine Schulter boxte. >>Lass es mich wissen, sobald das der Fall ist.<< grinste er, bevor er seine Hand ausstreckte. >>Nach dir Aelia.<< Ich stieg die wenigen Treppen hinunter und blieb vor dem heutigen Wachposten stehen. Verwundert darüber, dass der kleine Bill es endlich geschafft hatte die älteren zu überzeugen, dass er der Aufgabe gewachsen war. >>Was hast du ihnen dafür angeboten Bill. Ich bin überrascht, dass sie endlich eingeknickt sind.<< lachte ich und wuschelte ihm durch seine dunkle wilde Lockenmähne. Stolz reckte er sein Kinn hoch und verstummte augenblicklich, als sein Blick hinter mich huschte und an dem Wildschwein hängen blieb. >>Ein Wildschwein!<< brüllte er, sodass es nicht lange dauerte, bis die ersten Mitglieder unserer kleinen Gemeinschaft herantraten durch das dichte unterirdische Gewölbe.
>>Unfassbar.<< hörte sie jene Frau sagen, die für all das verantwortlich war. Esther trat nach vorne und nahm still meine Hand zwischen ihre, um sie dankbar zu drücken. >>Nicht.<< stoppte ich die Frau vor mir, deren Haar schon fast gänzlich grau und ihre Augen von der jahrelangen Tortur viel zu Matt war. >>Dankt mir nicht für etwas, das unsere Pflicht ist Esther. Jeder trägt sein Päcken und meines war heute gefüllt mit Glück.<< Mein Blick huschte zu dem Mann, der an der Wand lehnte und bewundernd zu mir herüber sah. Begierde zeichnete sich in seinem Blick, sodass meine Wangen heiß wurden. Dementsprechend war ich dankbar, als Esther nickte und mich fürs erste entließ, sodass ich mich davon stehlen konnte. Ich hielt kurz die Luft an, als ich an ihm vorbei lief und ignorierte dieses tückische Grinsen auf seinen Lippen, als er starr hinter mich sah. Dort, wo mein Bruder gemeinsam mit den anderen nur noch dem Wildschwein Aufmerksamkeit schenkte.

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