Kapitel 30

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Verlor man so seine Menschlichkeit? Starr geradeaus blickend, die Hoffnung verlierend und der Gleichgültigkeit platz machend?

Drei Tage hatten sie mir gegeben, bevor sie mich abermals an diesen Stuhl gesetzt hatten. Drei Tage, in denen ich in meine düstersten Gedanken versunken war.
Sie sprachen zu mir aus ihren Lautsprechern. Verlangten und verlangten, aber alles was ich war, schien fort.
Ich wollte nur noch, dass es endete.

Verwirrt sah ich auf, als ein schriller Ton aus den Lautsprechern hallte. Der Mann. Der Soldat, der versucht hatte mir zu helfen, hockte sich vor mich, die Schlüssel fest in der Hand.
Ohne ein Wort zu sagen, schloss er die Metallfesseln auf und machte einige Schritte rückwärts. Er nickte mir nur zu, bevor er den Raum verlies und die Tür einen Spalt offen lies.

Für einen Moment schoss mir durch den Kopf, dass ich die Freiheit nicht verdienen würde. Doch der Gedanke Asher wieder zu sehen lies mich alles verdrängen, sodass ich mich erhob und meine nackten Füße in Richtung Ausgang lenkte.
Dass ich nicht mehr als ein Nachthemd trug, war ohne Bedeutung. Alles was plötzlich zu zählen schien, waren die Menschen, die mir im Weg standen.
Einer von den Soldaten hielt seine Waffe auf mich gerichtet, aber zwecklos. Ich wich dem Kugelhagel aus, als wären es Federn, die vom Himmel fallen.
Packte ihre Kehlen und riss sie ihnen heraus. Blut regnete in dem Gang, als ich innerhalb eines Sekundenbruchteils drei von ihnen umgebracht hatte.

Ich lächelte, als ich sah, wen sie versucht hatten zu beschützen. Der Arzt, der mir das angetan hatte, sah schockgeweitet zu mir auf. Er wollte etwas sagen. Aber ich riss ihm die Kleidung von seiner Brust und presste ihn gegen die Wand. Einige der Helferinnen pressten sich machtlos gegen die Wand und sahen dabei zu, wie ich ihm seine Haut von der Brust schälte.
Ich wusste nicht, ob es an dem lag, was sie mit mir gemacht hatten, oder die Wut alleine, die ich empfand. Aber ich hatte keine Scheu mehr grausam zu sein. Keine scheu ihm die Haut von der Brust zu schälen und mit meinen Händen langsam in sein Herz durchzudringen. Er schrie, gurgelte, bettelte.
All das, was ich getan hatte.

Doch so zwecklos mein Flehen auch gewesen war. Seines war es genauso.
Also griff ich in seine Brust hinein, umschloss sein warmes Herz und zog es quälend langsam aus ihm heraus.

Mir war egal, dass die meisten davon gerannt waren. Ich hatte auch nicht vor sie zu jagen. Stattdessen ging ich durch den blutigen Gang. Fühlte, wie der Hass langsam verschwand und stattdessen ein anderes Gefühl von mir Besitz nahm.
Trauer.
Ich hatte in diesen wenigen Wochen mehr verloren, als gut war und ich hatte die Befürchtung nie mehr die zu sein, die ich einst war.

Was, wenn er mich nicht mehr wieder erkennt?
Was, wenn er mich nicht mehr lieben kann?
Nicht für das zu dem ich geworden bin.

Verloren und zerschunden lief ich den Gang immer weiter. Ahnungslos wohin ich musste und unfähig etwas aus dem ganzen Tumult auszumachen, weil die Sirene noch immer in meinen Ohren erklang.
Ich wurde immer langsamer. Immer hoffnungsloser. Fast dazu bereit das zu tun, was ich noch nie getan hatte.
Ich war fast bereit aufzugeben und ich hätte es auch.

Doch ein Blick in diese roten Augen und der Damm brach.
Ich sank schluchzend auf meine Knie, bevor Asher mich an seine Brust zog.
>>Ich bin hier. Ich bin bei dir.<< hauchte er mit brüchiger Stimme.
>>Es tut mir so Leid Kleines.<< brach auch seine Stimme, als ich meine blutigen Hände um ihn schlang.
Ich klammerte mich an ihn wie ein verloren gegangenes Kind. Genoss, dass er mich fest hielt und hin und her wiegte. Aber der drang von hier zu verschwinden war so übermenschlich, dass ich mich von ihm gezwungenermaßen löste.

>>Bring mich weg.<< flehte ich. >>Asher, bring mich weg von hier.<<
Er zögerte nicht. Hielt mich fest, während wir den Gang entlang liefen. Es war still geworden. Kein Mensch lief mehr durch die Gänge, was vermutlich daran lag, dass hier überall die Leichen gestapelt lagen.

>>Ich hätte mehr getan, wenn die Zeit gereicht hätte.<< kommentierte Asher meinen umherschweifenden Blick.

Ich schwieg. Konnte nichts sagen, weil sonst die Tränen begonnen hätten zu fließen.
Konnte nichts sagen, weil ich mich grässlich fühlte für das, was ich alles getan hatte.

Asher führte mich raus aus dem Gebäude. Geradewegs auf eine Gruppe von vier Vampiren, die mich mit großen Augen ansahen. Darunter die weißhaarige Vampirin, die mich vor nicht all zu langer Zeit gewarnt hatte.
>>Ich habe nicht viele Verbündete. Aber sie sind mir ohne zu zögern gefolgt.<<

Die weißhaarige reichte mir ohne etwas zu sagen einen warmen Umhang, in den ich mich hüllen könnte. >>Wir treffen uns dort. Es ist besser, wenn wir uns aufteilen, falls sie uns folgen.<< richtete Asher die Worte an alle.
Sie nickten nur, bevor sie alle in eine andere Richtung liefen.

>>Aelia<< holte mich Asher aus meiner Starre, bevor er mich an seine Brust zog. So standen wir da, ohne zu reden. Standen da, während stille Tränen über meine Wange liefen.

>>Wir müssen gehen.<< flüsterte ich, bevor ich mich von ihm löste und seinen Blick mied. Asher aber griff nach meinem Kinn und zwang mich ihn anzusehen.
>>Ich weiß nicht, was du dort erlebt hast und ich werde warten bis du bereit bist darüber zu reden.<< begann er. Ich wollte meinen Blick senken, aber er schüttelte nur den Kopf. >>Aber ich kenne dich gut genug um zu wissen, dass du dich gerade hinter einer meterhohen Mauer versteckst. Ich sehe wie sehr du dich selbst fertig machst und ich will dass du weißt, dass ich in den Jahren meiner Gefangenschaft zu schlimmen Dingen gezwungen war und auch danach. Wenn du mir vergeben konntest Aelia...dann wirst du auch dir selbst vergeben können.<<
Nun konnte ich die Tränen kaum noch zurückhalten. Wischte mir sie mit den Handballen fort, damit er sie nicht lange genug sehen konnte.

>>Wir sollten los.<< wiederholte ich mich, ohne auf seine Worte einzugehen. Ich verstand, was er sagen wollte und wünschte wirklich ich könnte daran glauben. Aber jetzt in meinem Zustand, stand ich viel zu sehr neben mir.
Also war ich dankbar, dass er mich einfach auf seine Arme nahm und wir von diesem Ort verschwanden.

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