Kapitel 2

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Der lange Esstisch war heute nur mager besetzt, Vater, Sohn und Tochter nebst der Haushälterin Maria saßen schweigend beim Mittagessen.
Pepe Brescone war sauer, richtig sauer. Sein Cousin Ronaldo hatte ihm mitgeteilt das Anthony wiederholt in einem anderen Revier gesehen worden war. Das Koks-Revier dieses verdammten Branco Statione.
Das sein Sohn Anthony nach mehr strebte als für ihn gut war, hatte er schon früh erkannt. Seine Gier nach Anerkennung, Macht und Frauen hatten seinen Vater schon manches Mal fast den Kopf gekostet. Aber er war sein Sohn, und ein Camorra ließ seine Familie nie im Stich. Niemals.
Gut, Pepe war froh das keiner seiner Kinder je Blut an ihren Händen gehabt hatten. Aber Drogen zu verticken, und das nicht mal in Millionenhöhe, war eines Brescone nicht würdig. Er vermutete schon länger das eine Abhängigkeit seines Sohnes dahinter steckte.
Pepe stocherte mürrisch in seiner Minestrone herum, schielte immer wieder verärgert zu Anthony. Dünn war er geworden, sein edler Anzug schlabberte nur so um ihn, verbarg dadurch jedoch seine schlaksige Statur. Seine dunklen Haare lagen eng am Kopf, sein Gesicht hatten kantige, harte Züge bekommen. Wann genau war das passiert? Pepe seufzte tief, wann war er ihm entglitten?

Anthony redete nicht viel, zu tief war er in Gedanken bei seinem nächsten Geschäft mit diesem Afrikaner. Er überlegte krampfhaft welcher Übergabeort geeignet wäre, ohne das sein Vater davon Wind bekommen würde. Er hatte seine Augen und Ohren überall.
Das Geschäft würde ihm die nächsten Monate seinen eigenen Bedarf an Drogen sichern. Um so wichtiger das alles glatt gehen musste. Er grinste selbstsicher, er war im Begriff dem alten Statione den Rang abzulaufen. Nur der wusste noch nichts von seinem Glück. Oder Pech.Wie immer man die Sache betrachtete.

Samantha beobachtete ihre Familie mit gemischten Gefühlen. Sie liebte ihren Papa, aber sie konnte seine beruflichen Aktivitäten nicht gut heissen. Erpressung, Mord, Bestechung, sein Repertoire war gross. Seit sie denken konnte, lebte sie in Angst vor Kidnapping, Mord und dem Verlust ihrer Familie.

Ihr Vater hatte damals bestürzt zur Kenntnis genommen, dass sie sich seinem Tun nicht anschließen, geschweige denn unterordnen würde. Inzwischen war er mehr als zufrieden mit ihrer Berufswahl, sie studierte Kunstgeschichte und hatte gelernt, präzise, sachlich und umfassend zu beobachten. Sie konnte das Wahrgenommene klar zuordnen und stilistisch einwandfrei referieren, um dann eine Schlussfolgerung anzubieten. All dies hatte sie im kunstgeschichtlichen Studium gelernt, was ihren Vater sehr stolz machte.
Wenn er wüsste das sie hinter seinem Rücken interne Informationen der Camorra an die andere Seite weiter gab....sie wollte nicht an seine Reaktion denken. Ein Grund niemals ein Wort darüber zu verlieren, sondern lediglich versteckte Hinweise zugeben.

Diese Familie zerfiel zusehens. Seit die Patronin tot war registrierte Maria das Auseinanderdriften der Mitglieder. Allein die Kleine hatte etwas geschafft, unbeirrt blieb sie an ihrem Studium dran. Der Junge hatte sich zum Nachteil entwickelt, seine Geschäfte missfielen seinem Vater. Das würde noch böse enden.
Ja und der Patrone selbst. Pepe. Schon lange hegte sie Gefühle für ihn, aber er schien noch immer an der Verstorbenen Patronin zu hängenden. Maria hatte schon oft versucht seine Aufmerksamkeit zu erhaschen, leider erfolglos. Sie stand auf und wechselte den Topf mit der Minestrone gegen eine grosse Schüssel Spaghetti aus. Holte die Sosse und fing an die Teller einzusammeln.

"Danke Maria," gurrte Pepe und schaute sie lächelnd an.
Marias Herz hüpfte und sie trug ihm als erstes seine Mahlzeit auf.

Samantha grinste ihren Vater wissend an. Dieser räusperte sich leicht verlegen, schaute interessiert auf seinen Teller und aß schweigend weiter.

Samantha hatte nicht besonders viel Hunger. Die zwei Tage im Keller sassen ihr noch in den Knochen. Vielleicht sollte sie langsam damit aufhören. Aber sie musste ihrem Bruder Einhalt gebieten, wie konnte er so viel Leid über die Menschen bringen!
Sie hatte gesehen was Drogen aus ihrer Mutter gemacht hatten, nein, das sollte kein anderer durchmachen müssen.
Ihr Vater hatte es viel zu lange ignoriert, seine Geschäfte stets vorgeschoben. Das ihre Mutter immer dünner wurde damals, das sie immer öfter wie leblos in ihrer Wohnung lag, tagelang. Nicht ansprechbar für ihre Kinder. Zugedröhnt mit Koks, später sogar Heroin spritze. Wenn sie an diese schwere Zeit in ihrer Kindheit zurück dachte lief jedes Mal ein unangenehmer Schauer über ihren Rücken.

Samantha schob ihren Teller von sich und wollte sich erheben.

"Setzten!" Schnauzte ihr Vater und sein Ton ließ keinen Widerspruch zu.

Sie verschränkte maulend die Arme vor ihrer Brust.

"Wohin so eilig, Schwesterherz?" feixte Anthony. Ein wütender Blick traf ihn, den er mit einem gespielten "Aua!" auffing.

"Ich muss mit euch sprechen. Einzeln."

Sowohl Samantha als auch Anthony zogen verwundert eine Augenbraue nach oben. Was wollte er schon wieder?
Pepe leerte gemächlich seinen Teller und stand dann auf um in Richtung Büro zu gehen.

"Sammy, du zuerst."

Augenverdrehend folgte sie ihrem Vater, setzte sich schwungvoll in den alten Sessel. Erwartungsvoll und mit zusammengekniffenem Mund sah sie ihn an.

'Wie ihre Mutter' dachte Pepe grinsend. Er nahm sich eine Zigarre aus der Kiste auf seinem Schreibtisch und setzte sich dann ächzend in seinen Bürostuhl.

Samantha schlug ihre Beine übereinander und verfolgte genau wie ihr Vater die Zigarre köpfte, sie sich dann mit einem Streichholz anzündete. Wieder verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und beobachtete wie Pepe nach dem ersten Zug kleine Kringel in die Luft austiess.

"Nun, wie du weißt gefallen mir die Geschäfte deines Bruders nicht besonders." Pepe suchte nach Worten und zog genüsslich an seiner Zigarre.

"Was hab ich damit zu tun?" Murrte Samantha.

"Du wirst mit deinem Bruder zusammen ziehen und ein Auge auf ihn haben."

Die Empörung stand Sam ins Gesicht geschrieben. "Wie bitte?!"

Pepe lächelte. "Und damit dir das Ganze leichter fällt streiche ich dir im Gegenzug nicht deine Unterstützung zum Studium."
Bam. Das saß. Er konnte regelrecht sehen wie es in ihrem hübschen Köpfchen rotierte.

"Das.....das ist Erpressung!" Stieß sie empört hervor und ihre grünen Augen funkelten ihn an.

"Das würde ich nie wagen, meine Kleine." Er zwinkerte ihr zu und zog erneut an seiner Zigarre.
"Ich will einen wöchentlichen Bericht, was dein Bruder so treibt."

Schnaubend sprang Samantha vom Sessel und wand sich zum Gehen.

"Ach und Spätzchen? Ich liebe dich."

Sie murmelte irgendetwas und stürmte aus dem Büro.

Anthony betrat mit einem mulmigen Gefühl das Büro seines Vaters. Dem Gesichtsausdruck seiner Schwester nach, würde es unangenehm werden.

"Toni, mein Junge, setz dich."

"Was gibt's? " fragte dieser ohne Umschweife.

"Ich mach mir Sorgen um deine Schwester. Sie braucht....wie soll ich sagen....eine starke Hand."

Verwundert kratzte sich Anthony am Nacken. Was hatte Sam angestellt?

"Du wirst auf sie aufpassen. Ich habe dir hier die Schlüssel zu einer Wohnung, sie sollte gross genug für euch beide sein." Pepe kramte in seinem Schreibtisch und beförderte einen Schlüsselbund zu tage.

Anthony sog scharf die Luft ein. Etwas Blöderes hätte ihm nicht passieren können. Gerade jetzt.

"Meinst du nicht sie kann auf sich selbst aufpassen?" Nörgelte er.

"Sie wird bei dir wohnen, basta." Der Ton war unmissverständlich und Anthony fügte sich.

Sam und er würden das schon unter sich regeln. Irgendwie.

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