Versuchung

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»So ... Kommen wir nun zu einem Thema, welches in unserer heutigen Gesellschaft immer noch ziemlich verpönt zu sein scheint, Ihnen aber bestimmt schon einmal selbst widerfahren ist.« Der neue Professor, der den Kurs für ›Paranormale Phänomene‹ weiterführen sollte, machte eine bedeutungsvolle Pause und sah grinsend in die Reihen vor ihm. Alle wissbegierigen Studenten starrten erwartungsvoll auf die imposante Gestalt, die sich als ihr neuer Professor entpuppte. Besonders die Blicke der weiblichen Studenten richteten sich neugierig auf ihn. »Ich rede von erotischen Träumen, obwohl diese harmlose Umschreibung unseres nächsten Themas, diesem nicht ganz gerecht wird.« Sein Grinsen wurde – wenn möglich – noch ein wenig breiter, während manche der Studenten scharf die Luft einsogen, andere – zu denen hauptsächlich die männliche Belegschaft gehörte – auflachten und dem Nachbar einen vielsagenden Blick zuwarfen.
»Was soll diese Tatsache mit unserem nächsten Thema zu tun haben?«, fragte ein Mädchen, welches die typische »Ich bin ein Mauerblümchen«-Ausstrahlung aufwies. Die Haare waren zu zwei geflochtenen Zöpfen gebunden und eine Brille zierte ihre mädchenhaften Gesichtszüge. Viele Mädchen in ihrem Alter schminkten sich bereits, während sie solche Spuren nicht aufwies.

Darina hatte einen guten Blick auf dieses Mädchen, saß sie doch nicht weit von ihr entfernt. Sie war sonst eigentlich recht zurückhaltend. Jedoch schien dieses Thema sie etwas aus dem Konzept zu bringen, da sie unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. Ihr war diese Thematik sichtlich unangenehm, stellte Darina fest. Kein Wunder, immerhin mussten sie diese Materie mit einem Mann ergründen und besprechen. Das trug wahrscheinlich eher noch dazu bei, dass sie sich unwohl fühlte.
Dares Blick richtete sich wieder auf ihre Notizen. Hier und da zeichnete sie mystische Wesen auf die Ränder ihres Blocks. Sie hörte trotz dessen aufmerksam zu und schrieb alles sorgfältig mit.
»Das ist eine wirklich gute Frage. Es handelt sich hierbei nämlich um die Thematik Sexualdämonen. In vielen Mythen sind diese sogenannten Succubi (, die weibliche Form der Sexualdämonen) und Incubi (, die männliche Form) mit Albträumen, aber auch erotischen Träumen, verbunden. Sie werden auch als Alb, Alp oder Nachtmahr bezeichnet und in Träumen meist erfühlt als gesehen. Es ist ein Phänomen, welches schon im Mittelalter zur Erklärung ungewollter Schwangerschaften aufgeführt wurde. Meist sind allerdings die Frauen einfach fremd gegangen und wurden dann ungewollt befruchtet.« Darinas Blick hob sich erneut, als sie den verschmitzten Ton des Professors vernahm. Das Zwinkern, dass er den anderen Studentinnen im großen Saal widmete, bekam sie nur noch am Rande mit. Jeder Professor hatte insgeheim seine Lieblingsthematik, diese hier schien wohl seine zu sein, dachte Dare sich im Stillen.

Dares Passion waren schon immer die Geschichte und die damit verbundenen Kulturen und Mythologien gewesen. Schon als kleines Kind hatte ihre Mutter ihr immer die alten Sagen und Legenden vorgelesen oder erzählt, wenn sie zu Bett gegangen war. Sie hatte diese Geschichten schon immer geliebt und sich später auch darauf spezialisiert. Mit ihrem Geschichtslehrer an der Highschool war sie später per Du und hatte sich meist stundenlang mit ihm unterhalten. Sie teilten dieselbe Leidenschaft und konnten sich daher gut austauschen.
»Hier sehen Sie nochmal die Gemälde von J.H. Füssli, in denen er jeweils immer eine Frau darstellt, die von einem Nachtmahr heimgesucht wird. Sie sind in den Jahren 1781 und 1782 entstanden und teilen sich beide denselben Titel: der Nachtmahr.« Ein bedeutungsvoller Blick schwenkte in Darinas Richtung. Das Grinsen des Professors, welches nun wieder seine markanten Züge umschmeichelte, galt ihr.
»Nun packen Sie Ihre Sachen zusammen! Wir machen beim nächsten Mal dort weiter, wo wir aufgehört haben«, beendete er die Vorlesung. Viele der Studenten suchten ihre sieben Sachen zusammen und verließen anschließend den Saal. Einige Mädchen begaben sich allerdings in kleinen Grüppchen zu dem neuen Professor, um Fragen zu stellen. Dare ließ sich jedoch Zeit mit dem Zusammenpacken ihrer Sachen, damit sie nicht in diesen Stau von Studenten geriet, die alle zur gleichen Zeit den Raum verlassen wollten. Die Tür hatte nun einmal nur eine bestimmte Breite vorzuweisen, weshalb auch nicht alle auf einmal hindurchpassten. Das verstanden die meisten niemals. Über dieses Verhalten konnte sie aber nur den Kopf schütteln. Diese Hetzerei war ihr fremd, in ihrer Familie war es immer ruhig und geduldig zugegangen, obwohl ihre Eltern schon seit 25 Jahren in den USA lebten. Im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester, war Darina allerdings hier geboren worden. Sie lebte schon ihr ganzes Leben lang in New York, während ihre restliche Familie in einem kleinen Dorf in Bulgarien gelebt hatte und dann erst über den großen Teich ausgewandert war.

Incubus - VerführungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt