Kapitel 2 »omnia iam fiant quae posse negabam«

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Everything which I used to say could not happen, will happen now


Die erste Emotion, die durch meinen Körper schoss war Panik. War ich tot? Ohne dass jemals etwas Spannendes in meinem Leben passiert war? Das durfte einfach nicht sein. Ich durfte nicht einfach so tot sein ohne jemals etwas erlebt zu haben...

Da fiel mir auf, dass ich den Spiegel noch fest umklammert hatte, aber der Spiegel war mir in dem Moment egal. Wichtig war was ich noch in meiner Hand gehalten hatte, als ich noch in meinem Zimmer stand. Spring. Ich brauchte meinen besten Freund. Er beruhigte mich immer, wenn ich nervös war und gerade war definitiv so ein Moment, schließlich war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch lebe.

Voller Panik starrte ich auf meine Hand als mir auffiel, dass er nicht mehr da war. Ich war also ganz alleine in diesem nervenzerfetzenden Weiß, ohne zu wissen wo ich war oder was ich tun sollte, aber das war mir in diesem Moment völlig egal. „Spring!", brüllte ich immer wieder und wieder. Tränen der Angst und der Wut liefen mir die Wangen herunter, während ich keinen klaren Gedanken formen konnte. Es konnte, nein, durfte einfach nicht sein, dass ich tot war und meinen kleinen, besten Freund alleine gelassen habe.

Ich fiel auf meine Knie, mir fielen die Haare in die Stirn und ich schlug die Hände vor mein Gesicht und konnte nichts tun außer weinen. „S- Shade?". Ich erstarrte und wagte es erst nicht einen einzigen Muskel zu rühren.

Nach wenigen Sekunden, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit, drehte ich mich langsam in die Richtung aus der die Stimme kam. Da erblickte ich ein Mädchen mit leuchtend grünem Haar. Sie war unglaublich blass und im Kontrast dazu waren ihre mit Sommersprossen gesprenkelten Wangen aufgeregt errötet.

Als sie mich aus ihren großen, grünen Augen unsicher ansah, wusste ich einfach wen ich vor mir hatte. „Spring..." flüsterte ich ungläubig und war schon wieder den Tränen nahe. Es waren die gleichen Augen, das gleiche Lächeln, welches sich langsam auf ihrem Gesicht ausbreitete... Die Farbe ihrer Haare, genau wie ihre Haut, kein Zweifel...

Erst jetzt bemerkte ich die Tränen in ihren Augen und sie nickte mir vielsagend zu. Man sollte meinen es wäre ein wenig merkwürdig, wenn sein bester Freund, der eigentlich einer kleiner Frosch ist, auf einmal vor einem steht, doch eigentlich war es in diesem Moment, als hätte Spring schon mein Leben lang diese Gestalt gehabt.

Was als nächstes passierte ist nur noch eine verschwommene Erinnerung, doch das nächste was ich weiß ist, dass wir uns fest umarmten, sowohl weinend, als auch lachend. Meine vorherige Verzweiflung war wie weggeblasen, erstickt in dieser Umarmung voller Freundschaft, welche sich jetzt endlich voll zu entfalten schien. Niemals hatte sich etwas in meinem Leben richtiger angefühlt.Das Weiß war mir nun völlig egal, Hauptsache Spring und ich waren wieder vereint. Zusammen, das wusste ich einfach, würden wir schon einen Weg hier raus finden.

Irgendwann hatten wir uns hingelegt, noch immer in unserer Umarmung versunken, während wir redeten und redeten und redeten, Stunden über Stunden, als würden wir all die vergangenen Jahre nachholen wollen. Kein einziges Mal kaute ich auf meinen Fingernägeln, wippte mit den Beinen oder trommelte mit meinen Fingerspitzen. Meine ganze Ruhelosigkeit wurde durch pure Freude ersetzt.

Scheinbar still stand mein damaliger schlimmster Feind, die Zeit. So hielten wir einander eine gefühlte Ewigkeit sicher im Arm, bevor wir irgendwann einschliefen.

Nun gut, ich mochte wohlbehalten und traumlos schlafen, aber Spring machte das Weiß sehr zu schaffen. Sie war ein Frosch, der Farbe und Abwechslung brauchte, wie die Luft zum Atmen. Ihr behagte die Leere gar nicht, sie suchte Spring sogar im Traum heim. In ihrem Traum irrte Spring in der unendlichen Leere weinend und nach Shade rufend umher, auf der Suche nach Leben, Blumen, Wasser und Farben. Sie war allein, hilflos und verzweifelt...

Aber vielleicht muss in einer Geschichte, in der ein Frosch ein Mensch werden kann, ja ein bisschen Magie im Spiel sein und vielleicht erklärt diese Magie ja auch, warum die reale Spring im Schlaf nach dem Spiegel in Shades Hand griff, im selben Moment in dem die Traum-Spring eben diesen Spiegel lose herumliegend fand und aufhob. Wie in Trance flüsterten beide Springs die Worte „Omnia iam fiant quae posse negabam", während sie mit ihren zarten Fingerspitzen die glatte und kalte Spiegeloberfläche berührten. Auf einmal sprießten Pflanzen, Blumen und Bäume aus dem Boden, die in kurzer Zeit alle Bereiche in Sichtweite in ihren Farben einhüllten. Ein kleiner Bach begann zu plätschern und die ersten Tiere machten es sich in dem Wald, der später »Garten der schlafenden Umarmungen« heißen sollte, gemütlich.

Spring drehte sich mit einem zufriedenem Seufzen weiter in meine Arme, wo auch sie endlich ihren erholsamen Schlaf finden sollte, unwissend dass sie von einem wunderschönen Garten umgeben waren, der durch unser Glück lebte und durch unsere Freude die Kraft zum atmen fand.

Ich wachte zuerst auf. Die warme Sonne kitzelte meine sommersprossenbesetzte Nase, Vögel zwitscherten und ich hörte irgendwo das fließen von Wasser. Warte- Sonne? Vögel? WASSER?

Sofort war ich hellwach und riss die Augen auf und sofort breitete sich die Angst in mir auf, dass ich alles nur geträumt habe, doch Spring lag immer noch wohlbehalten und schlafend in meinem Arm.

Doch etwas hatte sich über Nacht dramatisch verändert. Diesem verstörendem, eintönigem und langweiligem Weiß war ein kleines Paradies gewichen. Spring und ich lagen in der Mitte einer kleinen Grasfläche umrandet von Holzstämmen (zum sitzen??) und Schmetterlingsbüschen.

Kleine Lavendelsträucher sprossen überall aus dem Boden und mit ihnen ein angenehmer Duft. Schmetterlinge in allen erdenklichen Farben und Formen flatterten um uns herum und verbreiteten ein tiefes Gefühl von Frieden in mir.

Hinter den Schmetterlingsbüschen mündete ein Bach in einen Wasserfall, der einen Teich voller Koi, Goldfischen und Seerosen füllte. Das atemberaubendste an dem ganzen Platz war jedoch die gigantische Trauerweide, die mit ihren riesigen Ästen fast alles überdachte. Hätte ich nicht gewusst, dass sie gestern noch nicht da war, hätte ich gedacht, dass sie tausende Jahre alt ist. Ihren Stamm hätten Spring und ich zusammen nicht mal annähernd zur Hälfte umfassen können und allein aus meinem Blickwinkel konnte ich 17 verschiedene Vogelnester entdecken. An seinen Ästen und in Körben neben dem Stamm waren unzählige bunt schillernde Früchte, die einen köstlichen Duft verströmten.

Auch Spring war mittlerweile erwacht und so beobachteten wir sprachlos wie kleine, feenartige Wesen mit Kolibrifedern geschäftig Früchte in die Körbe legten und Blütennektar abzapften, den sie in kleinen Gläsern transportierten.

Nur die nötigsten Stellen ihrer ungefähr 30cm langen Körper waren von Spinnennetz- oder blattähnlicher Kleidung bedeckt und ihre Haut schien in sämtlichen Farbschattierungen des Regenbogens.

Plötzlich begannen die Kolibrifeen aufgeregt und laut zu zwitschern und sich um die gigantische Trauerweide zu sammeln, aus der, wie jetzt erkennbar, ein Mädchen geschickt und leichtfüßig herauskletterte, barfuß majestätisch über die Wiese Schritt und letztendlich bei uns stehen blieb.
„Ich bin Aurora, Hüterin des Gartens der schlafenden Umarmungen. Bleibt in Frieden oder bereut jemals hierher gekommen zu sein".

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