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Mit einem Klirren, wie zersplitterndes Glas, bricht in meinem Kopf alles zusammen. Die Synapsen scheinen explodieren zu wollen, ein einziges Chaos. Die schützende Lüge fällt in sich zusammen. Ich fühle mich nackt, mein Geheimnis war bloßgelegt. Mein Flehen, das Hunter es nicht gehört hatte, wurde mit nur einem Blick zerstört. Seine Augen halten meine gefangen. Tränen steigen mir in die Augen. Ich muss meine Augenwinkel zusammenpressen, damit die Tränen nicht ihren Weg nach draußen finden. In Hunters Augen flammt nicht Wut, sie sind einfach nur leer, stumpf, kein glitzern mehr. Es war diese Traurigkeit, mein Verrat, der die letzten Dämme brechen lässt. Eine erste Träne läuft mir die Wange hinunter, tropft auf den Boden. Sein Blick ist stechender und schmerzhafter als jeder Tritt der Späher. Ich will etwas rufen, doch meine Lippen bewegen sich nur stumm. Wie soll ich mich auch verteidigen, ich hatte ihn verraten, die Rebellen verraten, er hatte mir vertraut. Mehr Tränen fließen, es war mir egal. Ich wusste ich würde keine Chance haben, mich zu entschuldigen. Es tut mir Leid.
Doch was soll ich dann sagen? Keine Worte heilen das, was ich getan hatte. Diese Lüge war wie Gift, ein Gift, dass niemand aufhalten konnte. Verrat. Es fraß sich immer weiter in Hunters Erinnerungen. Ich spürte förmlich wie die Kluft zwischen uns größer und größer wurde. In diesem Moment dachte er vielleicht darüber nach, ob alles was ich für ihn empfunden hatte, nur gespielt war. Ich sollte verhindern, dass er das denkt. Es war echt! Doch ich konnte es nicht. Er blieb stumm, rief mir keine Beleidigungen zu. Es war wie ein Schlag, obwohl er keinen Muskel bewegte. Seine eisblauen Augen fixierten mich. Diese Augen, die mich gefangen nahmen. Er war der selbe Mensch, der mich damals verschont hatte. Er hatte mich verschont. Doch damals war ich unschuldig gewesen, ich hatte nicht gelogen, ich hätte nichts getan was anderen Schaden zugefügt hätte. Er würde mich nicht noch einmal verschonen. Nicht nach dem was ich getan hatte.
Sie zerrten mich hoch, meine Muskeln waren bis zum zerreißen gedehnt. Es kümmerte mich nicht, wie betäubt ließ ich alles zu. Ich spürte Hunters Blick, scharf und brennend. Mein Herz raste, zerbrach in kleinste Splitter. Sterben.
In diesem Moment wollte ich sterben. Ich wollte nicht, dass er mir verzieh. Ich hätte es nicht verdient, egal was ich tat. Das schreckliche daran war, das ich wusste, dass er mich nie angelogen hatte. Der salzige und metallische Geschmack in meinem Mund, ließ mich würgen. Mein Magen krampfte sich zusammen, ich krümmte mich zur Seite. Vielleicht sollte ich leiden, dafür was ich getan hatte. Gib auf! Aufgeben. Das Wort dröhnte in meinem Schädel. Hunters Stimme, Amys Stimme, Kyles Stimme, ich hörte sie. Sie alle zischten mit etwas zu. Kyle hatte letztendlich doch recht gehabt. Ich war eine Verräterin. Elend und Kummer ließen mich wieder erzittern. Mein Herz, das gerade zerbrochen war, hatte sich wieder zusammengesetzt, vielleicht nur, um mich nochmals dran zu erinnern, was ich getan hatte. Es brach, wieder, in kleinere Teile. In so kleine Teile, das man sie nicht finden konnte. Niemals wieder. Hunter hatte sich noch immer nicht bewegt. Die Späher hielten ihn fest, mit ihren eiskalten Händen, die es unmöglich machten, zu fliehen. Vielleicht war ich nur deshalb noch am Leben. Weil die Späher ihn aufhielten.
Dann hallten Schüsse durch die Luft. Ob nun weitere Späher oder die Rettung. Der Griff des einen Spähers, der mich gepackt hatte, wurde erst leichter, dann war der Druck der Handfläche verschwunden. Um mich herum flogen Kugeln. Schmerzensschreie. Kenzie. Sie war es. Ich hob den Kopf, mein Nacken knackte, alle Muskeln protestierten. Sie hockte auf einer Balustrade knapp zwanzig Meter über uns, peilte ihr nächstes Ziel an. Sie schoss nicht auf mich, sondern auf Späher. Wahrscheinlich hatte sie noch nicht mitbekommen, dass ich sie und alle anderen belogen hatte. Sonst wäre ich tot.
Hunter hatte sich befreit, die Späher lagen am Boden. Entweder erschossen, oder so schwer verletzt, dass sie sich nicht rühren konnten. Er atmete schwer, stand aber aufrecht. Hellrotes Blut schimmerte in seinen Haaren. Ließen ihn wie einen Löwen aussehen, der gerade seine Beute gerissen hatte. Sein Pupillen hatte sich fast schwarz verfärbt. Düster und voller Schmerz. Sie Pupillen waren riesig. Sein mörderischer Blick hielt mich fest, wie eine siedend heiße Kralle, die mein Gesicht verbrannte. Wir standen uns gegenüber. Er ballte seine Fäuste. Um mir ein Ende zu machen? Das Recht hatte er. Meine Familie, hatte seine zerstört. Ich hatte ihn verraten. Das schlimmste war jedoch, dass er seine Wut im Zaum hielt. Er wollte mich nicht verletzten. Innerlich schrie ich, ich hätte es verdient. Verletze mich! Tu etwas, damit ich weiß wie du fühlst! Weitere Tränen verschleierten meine Sicht.
Das knacken eines Funkgerätes ließ uns beide Stocken. Durch ein Rauschen hörten wir die Stimme eines Mannes. Er brüllte etwas unverständliches. Er erwartete anscheinend eine Antwort des Spähertrupps, der hier am Boden lag. Es würde sich niemand melden. Was würde dann geschehen? Die Antwort war klar. Noch mehr Späher würden anrücken, es würde noch mehr Tote geben. Flieh! Mein Gehirn nahm allmählich wieder den Betrieb auf. Meine brennenden Synapsen fügten sich jeder zusammen. Doch mein Herz war nicht mehr zu retten. In mir, war ich tot. Wie weit würde ich kommen?
,, Bist du Kira Blake?" , die Frage enthielt keine Wertung. Nichts von der Wut, der Traurigkeit die er gerade spürte. Ich gab keine Antwort. Wollte das Unvermeidliche hinauszögern. Ja. Ich nickte nur. Sein Kopf sank weiter nach unten. Mit jedem meiner Worte, zerstörte ich ein weiteren Teil seiner Welt. Halt den Mund!
,, Warum? Warum Hanna? Oder besser gesagt Kira." , mit Mühe unterdrückte er den Reiz, auf mich zu zu stürmen und zu verletzen. Dafür, dass er wenigstens nicht gleich auf mich los ging, dankte ich ihm im Stillen. Es zeigte sein innere Stärke, ein Stärke die ich nicht gehabt hatte, als ich sie belogen hatte. Ich würde alles dafür geben, die Zeit zurück zu drehen. Die Späher wären bald da, bis dahin musste ich verschwinden. Du bist auf sich allein gestellt. Ich hatte keine Angst vor ihm oder davor was kam, aber trotzdem sprang in meinem Körper der Selbsterhaltungstrieb an. Es ging ganz ohne, dass ich etwas tun musste. Ich ließ seine Frage unbeantwortet, drehte ihm dem Rücken zu, wendete mich um gehen. Vielleicht war es gefährlich, vielleicht war es dumm. Doch ich hatte es verdient.
,, Wo willst du hin?"
Weg.
,, Es tut mir Leid." , flüsterte ich mehr, als zu sprechen. Meine Kehle war trocken und rau.
,, Das beantwortet nicht meine Frage."
Ich weiß.
,, Wenn ich nicht gehe, wo soll ich sonst hin? Ich sterbe so wieso, egal wohin ich gehe. In der Stadt gelte ich als Rebellin, bei den Rebellen als Verräterin. Sag mir, wohin ich gehe soll." , meine Stimme klang brüchig vom Schreien.
Wieder senkte er den Blick vor mir. Er konnte mich nicht ansehen. Tu es! Sag mir ins Gesicht, was du denkst! Als er wieder aufsah leuchteten seine Augen wie Lichter in der Dunkelheit. Er hatte einen Entschluss gefasst und ich würde ihn befolgen müssen, ob es nun meinen Tod bedeuten würde oder nicht.
,, Du kommst zu den Rebellen. Wir werden entscheiden."

Naturally (#Wattys2016)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt