Hätt ich bloß den Mund gehalten

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20 Jahre später

Holly

»Glaubst du ich werde in meinem Leben jemals wieder Sex haben?«
Anna stellt laut polternd ihre Tasse ab. »Meinst du die Frage ernst?«
Ich nicke.
»Bist du deshalb so nervös? Weil du Angst hast kein Sex mehr zu bekommen?« Sie schüttelt ungläubig den Kopf.
»Nein, ja«, stammle ich. Ach ich weiß doch auch nicht was ich will.
»Was ist los«, will sie wissen.
Kurz überlege ich, ob ich von meinem versauten Traum erzählen soll oder nicht, als die Worte auch schon aus mir heraussprudeln. Die expliziten Stellen lasse ich aus, die hört sie nicht gern.
Aber ich beschreibe den Typ Mann mit dem ich im Traum extrem Matrazensport betrieb habe. »Er sah aus wie ein Covermodel von den Büchern die Johanna liest«, sage ich abschließend.
Nachdem alles raus ist komme ich mir blöd vor. Vor allem weil Anna mich anstarrt als hätte ich nicht mehr alle beisammen. Womit sie vermutlich recht hat.
Keine Ahnung warum ich gerade ihr davon erzähle. Schließlich hat sie in den letzten zwei Jahren, die wir uns kennen, nie ein gutes Wort über Männer verloren. Wenn ich nach dem Grund fragte hat sie abgeblockt. Überhaupt spricht Anna wenig über ihre Vergangenheit. Ich hingegen oft, weil sie stetz und ständig um mich herum auftaucht, in Form meiner Schwester und anderen Personen. Meine Schwester, ist unter anderem ein Grund, weshalb ich seit zwei Jahren Single bin. Ich erwischte sie und meinen Ex zusammen in unserem Bett. Bevor die ekelhaften Bilder in mir aufploppen schüttle ich die Gedanken daran fort.
»Also du hattest heißen Traumsex und hast jetzt schiss keenen echten Sex mehr zu haben«, überlegt sie und bedenkt mich mit einem undefinierbaren Blick.
»Pssst. Nicht so laut.« Vorsorglich sehe ich mich um, zum Glück ist niemand in der Nähe. »So ungefähr«, flüstere ich.
»Haste deshalb einen Rock an? Damit du dich gegebenenfalls hinten vergnügen kannst?«
Wie bitte? »Sag mal, wie denkst du über mich?«, empöre ich mich, aber meine Freundin winkt ab, als hätte ich nichts gesagt.
»Da du, wie wir beide wissen, zu schüchtern bist für One Night Stands, wirst du wahrscheinlich die kommenden hundert Jahre auf dem trockenen liegen. Oder du springst über deinen Schatten und sprichst einen Typen an. Solangs nur Sex ist. Da findeste bestimmt jemanden.«
Was? Ich einen Typen ansprechen? Niemals. Allein der Gedanke daran. Puuuh, mir wird warm vor Angst. Heimlich fächle ich mir mit einem Flyer Luft zu.
»Ha, erwischt«, quäkt Anna laut. »Ich würde das ja für dich übernehmen, aber ick bin die falsche Person dafür. Vielleicht solltest du mit deinem Tim darüber sprechen, der kennt bestimmt jemanden der für dich in Frage kommt.«
Gar keine schlechte … eine super schlechte Idee. Besagter Tim ist mein bester Freund. Er und Anna mögen sich nicht, was es manchmal sehr schwierig macht mich mit beiden auseinanderzusetzen.
»Nee, wenn seine Nicole das mitbekommt ist wieder die Kacke am dampfen.«
»Dann solltest du selbst aktiv werden. Am besten wäre einer der nur auf Urlaub hier ist. Dann haste danach keene Sorge den wieder loszuwerden.«
Anna grinst breit und spricht weiter. »Oder glaubst du ein Typ, wie aus deinem Traum, kommt einfach mal so in unseren Laden gestolpert? Ick glob nich.«
Eine gute Frage. Natürlich kommt solch Sahneschnittchen niemals einfach so in den Laden, so schlau bin ich auch. Pfff, was sie wieder denkt.
Während ich darüber nachdenke wie ich, die heilige Holly, mein Problem gelöst bekomme, scheint Anna in Gedanken schon bei ihrem Termin zu sein. Vielleicht brauch ich auch gar keinen Sex, den brauchte ich die letzten Jahre auch nicht. Schuld daran ist garantiert der Traum. Sobald ich den vergessen habe, werde ich auch nicht mehr an Sex denken. Problem gelöst.
»Ich wussts, du kneifst«, holen mich Annas Worte aus meinen Gedanken und höre mich sagen; »Der nächste Typ der mir gefällt, den sprech ich an.«
Meine Freundin starrt an mir vorbei, sie hat mich nicht gehört, worüber ich glücklich bin. Denn das war nicht ich die da gesprochen hat, dass war eine fremde Holly. Eine die ich nicht kenne.
Bevor mein Milchkaffee entgüldig kalt wird trinke ich ihn zur Hälfte aus und strecke die Beine unterm Tisch aus. So könnte ich bis zum Feierabend sitzen bleiben. Leider habe ich noch ein paar Stunden vor mir, bis ich den genießen kann.
Es ist Sommer, wie immer viel zu warm und wenig los. Nachmittags sind die Touristen sowie die Einheimischen meist an der Ostsee oder an einem der hiesigen Seen vorzufinden. Für uns Verkäuferinnen in den Geschäften heißt das, dass wir viel Zeit zum putzen, aufräumen oder andere Dinge haben, die sonst liegenbleiben.
»Oder du angelst dir morgen Abend einen auf dem Strandfest.«
Ihre Worte schweben zwischen uns wie ein Blatt im leichten Wind. Während Anna mich anstarrt und in ihrer Tasse rührt, gefällt mir der Vorschlag von ihr sekündlich besser.
»Ach neee«, wirft sie missmutig ein. »Du hast ja ein Date mit dem ... deinem Tim.«
Ernsthaft? Kurz kommt mir in den Sinn unseren Schichttausch abzublasen, nur damit sie nicht rechtbehält, weil Tim vermutlich gar nicht erst auftaucht.
»Glaubst du er wird diesmal kommen?«
Liest sie neuerdings meine Gedanken? Schulterzuckend nippe ich an meiner Tasse. »Er hat es versprochen.«
Anna öffnet ihren Mund schweigt aber.
»Was?«, frage ich genervt. »Sag schon was du denkst bevor du platzt.«
»Versprechen kann sich jeder mal«, haut Anna trocken raus und grinst mich an.
Wo sie recht hat, hat sie recht. Aber das werde ich unmöglich zugeben.
»Ich wünschte ich würde mich irren«, spricht sie weiter. »Doch ich sehe es kommen und er lässt dich wieder mal hängen. Nur weil seine Nicole etwas gegen euer Treffen hat.«
Was sind das für Töne? Zum ersten Mal seit sie Tim kennt, nimmt Anna ihn in Schutz, wenn ich das so nennen kann. Ich bin baff.
»Er kennt dich länger als sie. Wieso ist er ihr so dermaßen hörig und setzt eure Freundschaft aufs Spiel? Beste Freunde findste nich so schnell. Ne neue Trusche hingegen schon.«
Mein grunzen lässt Anna unkommentiert und schwadroniert weiter. Natürlich hat sie kein gutes Wort für Tims Freundin übrig. Zumindest sind wir uns bei dem Thema einig, worüber ich schmunzle.
Warum kann es nicht immer so sein? Wieso können Anna und Tim sich nicht verstehen? Ich verlange nicht, dass sie und Tim beste Freunde werden und jedes Wochenende zusammen Kaffee trinken. Ein wenig netter zueinander sein, dass wäre schön. Denn ich bin es leid ständig zwischen den Stühlen zu stehen, weil keiner von ihnen ein gutes Wort über den anderen zu sagen hat.
»Na gut, ich muss los. Schreib mir Sonntag wie es war und ob du deinen Hunger nach Sex gestillt hast.« Sie zwinkert mir zu ehe sie aufsteht und auf mich hinabschaut. »Trau dich einfach. Wie gesagt solch heißer Typ wird niemals durch diese Tür stolpern. Bis Sonntag.«
»Bis Sonntag«, antworte ich, bin mir aber sicher sie hat mich nicht mehr gehört.
Hätt ich doch bloß den Mund gehalten.

Bis wir uns wiedersehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt