Sebastian
Scheinbar macht Holly meine Anwesenheit nervös. Denn während sie Kundenbestellungen kontrolliert und in verschiedene Kisten verteilt, fährt sie sich ständig durchs Haar.
Ich wette, sie dachte, dass ich zurück zur Konradi gehe. Leider muss ich sie enttäuschen. Viel lieber warte ich hier, als noch eine weitere Minute mit der Konradi zu verbringen. Wie immer wird sie mit ihrer Nase in irgendwelchen Ordnern hängen. Schon seit dem ersten Tag klebt sie mir am Hintern, war diejenige, die am lautesten »hier« rief als es um Veränderungen ging. Trotzdem versucht sie jegliche Fehler, die unter ihrer Führung passiert sind zu verheimlichen, die ich so oder so finde. Das weiß sie nur nicht.
Ich beneide Thomas, meinen Bruder, der den anderen Bezirk der Firma unter seiner Fittiche hat. Warum bin ich nochmal auf die Idee gekommen, hier herzuexpandieren?
Kopfschüttelnd beobachte ich Holly, die ein weiteres Mal die Tische vorm Geschäft kontrolliert. Vermutlich ist ihr unser Tete-a-Tete unangenehm. Muss es nicht. Mir ist es unangenehmem, weils nicht meine Glanzleistung war und ich gern noch länger bei ihr geblieben wäre. Stattdessen musste ich zum Meeting nach Eutin, das ich mir im Nachhinein hätte sparen können. Was solls. Job ist eben Job.
Die Kaffeemaschine gibt zischende Geräusche von sich, gefolgt von einem brummen, sodass ich vorsorglich nachschaue, ob sie richtig funktioniert. Ah, sie ist in den letzten Zügen. Die Zeit möchte ich nutzen, um Holly ein paar Fragen zu stellen. Rein geschäftlich natürlich. Gerade huscht sie an mir vorbei und verschwindet aus meinem Blickfeld, kurz darauf flackert die Beleuchtung im Geschäft.
»Tragen Sie keine einheitliche Kleidung?«, frage ich, als Holly wieder zurückkommt, um hinterm Tresen Stellung zu beiziehen. Schon am Freitag ist mir das Fehlen des typischen Shirts aufgefallen. Nur durfte ich da nichts sagen.
»Normalerweise schon. Aber …« Sie sieht mich an, scheint darüber nachzudenken, ob sie weitersprechen kann oder nicht.
»Nur zu«, ermuntere ich sie. »Sie brauchen nichts befürchten. Ihre Antworten erleichtern meine Arbeit und bleiben anonym.«
»Ich möchte nicht als Petze dastehen, das müssen Sie wissen. Aber da Sie schon fragen, möchte ich ehrlich sein. Ursprünglich sollten wir alle zwei Jahre neue Shirts erhalten. Doch seit letztem Jahr bekommt unsere Filiale keine mehr. Frau Konradi sagt, wir sollen sie uns selbst kaufen. Keine Ahnung warum. Unsere Beschwerden beim großen Chef wurden bisher ignoriert.«
Harter Tobak, den ich mir sofort ins Smartphone notiere. Als ich aufsehe, erkenne ich Hollys skeptischen Gesichtsausdruck und beruhige sie, ich mache mir lediglich Notizen, die für mich und meine Arbeit wichtig sind. Erleichterung breitet sich auf ihrem Gesicht aus, so wie Freitag als sie mich zu sich einlud. Sie trifft ihre Entscheidungen nicht leichtfertig, das macht sie mir gleich noch sympathischer als ohnehin schon. Ihre natürliche Art, die sie nicht versteckt und sich auch nicht darum schert, wie sie auf einem Strandfest aussieht, obwohl dort fast alle Frauen halbnackt waren, hat mir vorgestern imponiert. Sie ist mir kurz nach meiner Ankunft dort ins Auge gestochen, als sie an der Bar stand und einen Cocktail getrunken hat. Holly trug ein schulterfreies weißes Sommerkleid, das die Sicht auf eine Nabe am linken Oberarm freigab.
Ihre Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden und sie war ungeschminkt. Anders ihre Freundin, deren Make-up ich auf zehn Kilometer Entfernung gesehen hätte. Als sie mich dann auch noch plump anmachte, war ich froh als mein Telefon klingelte und ich sie in die Wüste schicken konnte. Gern hätte ich Holly auf einen Drink eingeladen, aber leider war sie nach meinem Telefonat verschwunden und mein Bruder ließ auch auf sich warten.
»Herr Stettner?«
»Hmmm?«
Holly steht wenige Zentimeter vor mir, sodass ich ihren Duft wahrnehme.
»Die Maschine wäre dann so weit.«
Ich aber nicht. »Wann fangen sie gewöhnlich mit Ihrer Schicht an?«
Erneut sieht Holly mich skeptisch an.
»Haben Sie das in den anderen Filialen auch gefragt?«
»Ja. Ich möchte wissen, ob Sie mit der vorgegebenen Vorbereitungszeit zurechtkommen.«
»In den kleineren Filialen bestimmt, aber bei uns ist eine Stunde zu wenig.«
Ein paar Kunden betreten das Geschäft, daher warte ich bis Holly sie bedient und wieder Zeit zum Reden hat.
»Das heißt Sie alle arbeiten unter Hochdruck, um pünktlich fertig zu sein?«
Nachdenklich sieht Holly an mir vorbei, sodass ich mich umdrehe, aber hinter mir ist niemand.
»Um ehrlich zu sein, wir Mädels fangen alle eine Stunde früher an und arbeiten diese umsonst. Die Vorbereitungen sind sonst kaum zu schaffen.«
Auf meine Frage wer das angeordnet hat, schweigt Holly. Ich hab das Gefühl zwischen ihr und der Konradi gibts Probleme, die ich herausfinden werde. Sollten diese private Natur sein, haben sie hier nichts zu suchen. Das sollte die Konradi wissen.
Fürs erste reichen mir die Informationen, daher stecke ich das Telefon zurück in meine Hosentasche. Noch ehe ich den Kaffee für die Konradi aus der Maschine lasse, füllt sich das Geschäft und eine kleine Schlange an Kunden steht davor. Ich überlege nicht lange und packe mit an. Brötchen in die Tüten legen und Brot verpacken kann ich auch, lediglich beim Kuchen und der Kasse lasse ich Holly ihre Arbeit machen. Obwohl der Kundenansturm nicht weniger wird, bleibt Holly freundlich. Sie beantwortet aufkommende Fragen oder erklärt Dinge, die der jeweilige Kunde nicht sofort versteht. Ich bin erstaunt, wie sie nebenbei mit anderen Kunden Gespräche führt und für jeden ein Lächeln übrig hat. So habe ich das in den anderen Filialen bisher nicht wirklich erlebt. Vermutlich hatten die Frauen in meinem Beisein Angst, etwas falsch zu machen.
Von Hollys anfänglicher Nervosität ist jetzt nichts mehr zu spüren.
»Zwei Kaffee to Go bitte«, unterbricht ihre Stimme meine Gedanken. Da ich wohl etwas dumm aus der Wäsche gucke, hakt sie nach, ob ich noch weiß welche Knöpfe ich drücken muss. Mir liegt eine nicht jugendfreie Antwort auf der Zunge, die ich erfolgreich hinunterschlucke. Das hat hier und jetzt nichts zu suchen. Nickend mache ich mich ans Werk und lasse die Kaffees aus der Maschine. Die Zeit verfliegt und der Ansturm ist so schnell vorbei wie er angefangen hat.
Da mich interessiert, wann die nächste Kollegin kommt, frage ich danach, bekomme aber keine Antwort, vermutlich weil die Brotmaschine läuft und Holly mich nicht verstanden hat.
»Halb zehn«, ruft sie mir plötzlich über das laute Geräusch zu.
Nachdem sie fertig mit Brot schneiden ist, spricht sie weiter, wird aber erneut von einem Kunden unterbrochen. Daher belasse ich es vorerst dabei und notiere mir ihre Antworten.
Als ich das Handy zurück in meine Hosentasche stecke vibriert es und ich werfe einen Blick drauf. Thomas.
»Moin Moin«, begrüße ich ihn und verlasse das Geschäft.