21. Dezember

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Am Morgen wacht sie tränenüberströmt auf. Sie hat gefühlt nur drei Stunden geschlafen und würde am liebsten im Bett bleiben. Doch sie muss Chandler heute einfach sehen. Sie ist an diesem Morgen so langsam, dass sie schon wieder spät dran ist, doch sie fährt mit Nieves zum Kindergarten und kommt sogar noch vor der riesen Schlange bei Caspar an.

"Kann ich heute zwei Kaffeebecher und zwei Zimtschnecken haben?" , fragt sie. Er überreicht ihr die Schnecken und den Kaffee kommentarlos und sie geht weiter zur Bahn. Als sie einsteigt, merkt sie jedoch, dass Chandler nicht an seinem üblichen Platz sitzt und sie könnte heulen. Wahrscheinlich hätte sie doch einfach liegen bleiben sollen. Er würde ihr aus dem Weg gehen. Er will sie nicht sehen und sie muss das akzeptieren. Sie hasst diese scheiß Situation. Sie will ihm die Zimtschnecke und den Kaffee geben, wie sie es versprochen hat, doch er taucht nicht auf. Die Frau gibt immerhin heute keine Kommentare ab. Der Kommentar des älteren Mannes scheint geholfen zu haben. Dieser lächelt sie auch heute wieder an. Sie hat allerdings keine Kraft zurück zu lächeln, was ihr im Endeffekt Leid tut. Sie steigt sogar eine Station früher aus. Vielleicht hat sie Glück und er ist hier, um sich mit seinen Freunden zu Treffen. Doch auch hier: Fehlanzeige. Niemand da. Chandler ist wie vom Erdboden verschluckt. Sie schreibt ihren Freundinnen, dass sie heute nicht mehr kommt. Sie wollte ihn sehen, doch er scheint nicht in der Uni zu sein. Also kann sie ihren Schlaf von heute Nacht auch nachholen und fährt wieder nach Hause. Sie isst lustlos die Zimtschnecke, fährt in den Zauberladen und hat eine Eingebung. Sie kauft eine Kerze und fährt schließlich weiter auf den Friedhof. Auch wenn es eiskalt ist, bleibt sie eine ganze Weile dort. Sie hockt sie an den Grabstein ihres Freundes und erzählt ihm ihre Sorgen, was sie ein wenig tröstet. Sie schaut auf den Grabstein und sieht das Datum seines Todes. Nur noch drei Tage, dann würde sich sein Todestag jähren. Sie hat unglaublich viel Angst vor diesem Tag. Vielleicht sollte aber alles so kommen und sie soll an diesem Tag allein sein. Es ist nicht fair gegenüber ihm, das sie ein Jahr später schon einen neuen Freund hat. Und doch hat sie manchmal das Gefühl, dass er Chandler geschickt hat. Dass die beiden beste Freunde geworden wären, wenn ihr Freund noch leben würden. Chandler hat einfach so viel von ihrem Freund, dass sie es gar nicht glauben kann. Manchmal glaubt sie, die beiden hätten die gleiche Seele. Manchmal glaubt sie, ihr Freund hätte Chandler seine Seele geschenkt. Manchmal glaubt sie, Chandler hätte der Himmel geschickt. Und doch ist er nun nicht mehr an ihrer Seite. Sie isst die eine Zimtschnecke am Grab auf und am liebsten würde sie die zweite auch noch essen. Sie legt die zweite an das Grab, denn die beiden haben sich jeden Morgen im Dezember eine Zimtschnecke und einen Kaffee an Caspars Stand geholt. Nun fühlt es sich wieder wie Verrat an, dass sie die Zimtschnecke Chandler überreichen würde. So fühlt sich das ganze viel besser an. Die Zimtschnecke und den Kaffee Vesco zu geben, denn Chandler mag gar keinen Kaffee. Jeden Morgen, seit vielen Jahren haben Vesco und sie diese Tradition im Dezember gehabt. Sie liebt ihn einfach zu sehr. Sie weint schon wieder. Es ist der schwerste, erste Dezember nach seinem Tod. Letztes Jahr war er weg, im Dezember und sie kann es bis heute nicht glauben. Er hat in seinem Lager, wo er stationiert war, extra am Wochenende welche gebacken, damit er jeden Morgen einen Kaffee und eine Zimtschnecke hatte. Dann haben die beiden telefoniert, weil sie die Tradition nicht brechen wollten, auch wenn sie an anderen Orten waren. Sie kann gar nicht glauben, dass er schon ein Jahr nicht mehr auf der Erde weilt. Aber sie glaubt ganz fest daran, dass er über sie und Nieves wacht. Dass er immer ein Auge auf die beiden hat.

"Ich liebe dich" , flüstert sie und haucht einen Kuss auf ihren Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand, welche sie dann an den Grabstein hält.

"Hier bist du", haucht da auf einmal jemand. Sie erschrickt zu Tode, denn sie dachte, sie ist allein auf dem Friedhof. Vielleicht war das keine ganz so gute Idee, denn hier sind schon einige Raubüberfälle passiert. Sie wappnet sich und nimmt ihre Handtasche in die Hand, bevor sie sich umdreht und dem Mann eine verpassen will. Sie haut ordentlich zu, bevor sie merkt, wer da vor ihr steht.

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