18 - Zurück

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Es dauerte einige Zeit, bis der Bus auf dem Parkplatz einrollte und uns jemand abholte. Unsere beiden Lehrer und der Busfahrer waren zusammen gekommen. Herr Hardcore viel uns fast mit Tränen in den Augen in die Arme, da er so froh war, dass uns nichts passiert war. Frau Hamish hielt eine Standpauke darüber wie gefährlich es alleine in diesem Wald sein kann, welche wir uns bedrückt anhören durften. Alles in allem hielt sich der Anschiss jedoch in Grenzen. Ich glaube beide waren einfach froh, dass wir wieder gefunden wurden.

Dylan und ich sitzen im Bus nebeneinander, während ich hinaus in die vorbeiziehende Landschaft starre. Unsere Klamotten sind dreckig und mein Magen knurrt schon wieder. Ob die anderen aus der Klasse uns wohl vermisst haben? Mir würde niemand einfallen, der mich vermissen könnte, aber vielleicht haben sie sich ja Sorgen gemacht. Vielleicht dachten sie es wäre uns etwas schlimmes passiert oder wir würden nie mehr auftauchen. Oder aber es hat sie überhaupt nicht interessiert. Ob sie wohl nach uns gesucht haben?

Die Fahrt dauert lange und erst als es schon dämmert können wir die Hütten im Wald erkennen. Auf dem Kiesplatz haben sich tatsächlich ein paar versammelt und scheinen auf den Bus zu warten. Als wären wir der neuste Kinofilm starren sie den großen Bus an und warten bis er zum stehen kommt. Unsere Lehrer steigen als erstes aus, danach folgen Dylan und ich.

„Omg, sie leben!", höre ich die schrille Stimme von Sina. Sie drängelt sich durch die blöd starrenden Leute und strahlt uns an. „Was ist passiert? Habt ihr euch verlaufen?" Ich bringe nicht mehr wie ein Nicken hervor und Dylan erzählt ihr knapp was passiert ist. „Krass, ganze zwei Tage wart ihr verschwunden! Hier wurden schon Wetten abgeschlossen ob ihr wieder zurück kommt... Ich und ein paar andere haben euch gesucht, aber wir wollten selbst nicht zu tief in den Wald gehen." Wow, es hat tatsächlich jemand nach uns gesucht.

Frau Hamish scheucht die starrenden Schüler davon und wir gehen erst mal auf unsere Hütte. Noah liegt auf seinem Bett und starrt uns überrascht an. „Krass, ihr lebt ja."
„Tatsächlich ja, auch wenn das beinahe schief gegangen wäre", meint Dylan und lässt sich auf sein Bett fallen. Naja, es ist ja nicht so als hätten wir gegen einen Bären gekämpft. Doch Noah scheint das ohnehin nicht zu interessieren.

Nachdem wir geduscht haben und uns frische Klamotten abgezogen, gibt es auch schon Abendessen. Ich weiß nicht wann ich mir das letzte mal so den Bauch vollgeschlagen habe, abgesehen von dem Essen welches Cathy uns gab. Es fühlt sich erstaunlich gut an wieder unter den anderen Schülern zu sein, einfach nicht mehr alleine und verloren irgendwo herum zu irren. Hätten wir Cathy und Pauls Baumhaus nicht gefunden, wäre das sonst wie ausgegangen. Daran möchte ich überhaupt nicht denken.

Später liegen wir in der Hütte und scrollen durch unsere Handys. Ich stehe auf und gehe aufs Klo, jedoch bleibt mein Blick an meinem Spiegelbild im Bad hängen. Es ist blass und meine Augen wirken leblos. Je länger ich mich betrachte, desto mehr Gedanken rasen durch meinen Kopf und desto schuldiger fühle ich mich für das Essen und alles was passiert ist. Ohne groß nachzudenken krame ich die Klinge aus meiner Tasche und ziehe mein Shirt aus. Ich weiß es ist nicht richtig. Ich könnte stattdessen mit Dylan reden. Ich könnte meine Gedanken an ihm herauslassen, vielleicht würde ich mich danach besser fühlen. Doch ich möchte ihm nicht die Stimmung verderben, außerdem ist Noah auch noch da. Wenn er es herausfindet, wird er enttäuscht sein.

Ich betrachte die Narben auf meinem Oberkörper und zögere tatsächlich noch. Vielleicht kann ich mich diesmal gegen die Gedanken wehren. Ich muss das nicht tun. Es ändert doch auch nichts.

Doch, es fühlt sich gut an. Verdammt gut sogar.

Die Stimme in meinem Kopf macht es mir nicht gerade einfacher. Es stimmt, es fühlt sich gut an. Doch nur für einen kurzen Augenblick, dann fühle ich mich noch mehr schuldig. Dann kommt die Wut, wieso ich es getan habe und das ich wieder zu schwach war. Mit zittriger Hand lege ich die Klinge auf dem Waschbecken ab und trete einen Schritt zurück. Nein, ich will das nicht. Ich will mich nicht verletzten.

Bist du dir da sicher?

Ich fahren mit den Rücken an der Wand herunter und vergrabe meine Hände in meinen Haaren. Ich weiß nicht was ich tun soll. Es ist so verlockend, aber ich darf nicht nachgeben. Ich muss stark bleiben, nur dieses eine mal. Vielleicht ist es dann beim nächsten mal schon einfacher und vielleicht bekomme ich es dann öfter hin. Mein ganze Körper zittert und irgendwie ist mir nach heulen zumute, da mich meine Gedanken überfordern. Ich atme mehrmals tief durch und schaffe es mich wieder einigermaßen zu beruhigen. Ich wische die einzelne Träne weg, welche sich in meinem Auge gesammelt hat, und starre das Waschbecken vor mir an.

Dieses Mal nicht.

Entschlossen stehe ich auf und packe die Klinge zurück in mein Täschchen.

Dieses Mal nicht.

Let me show you love • DylmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt