Elisa geht durch die Türe des Wohnkomplexes. Sie atmet zwei mal tief ein. Es ist Heiligabend und sie ist alleine. Nicht nur das. Sie fühlt sich allein. Das ist bedeutend schlimmer. Denn allein zu sein, war sie gewohnt und liebte es auch, aber das Gefühl von Einsamkeit frisst sich bei ihr in das Gehirn. Sie rutscht dadurch in ein tiefes Loch und muss ihrem Gedankenstrudel erst einmal selbst entkommen.Noch könnte sie zum Berliner Hauptbahnhof fahren mit der U8 über den Alexanderplatz und dann noch in die U5 zur Endstation. Rein in den Zug und schon wäre sie zwei Stunden später zuhause. Nein, sie wäre nicht zuhause, sondern da, wo sie aufgewachsen ist. Den Ort, den ihre Eltern zuhause nennen. Für sie ist Berlin ihr Zuhause und das seit 13 Jahren. Sie verwirft den Gedanken genauso schnell, wie er ihr gekommen ist. Sie wird schwach, wenn ein unbedeutendes Ereignis wie Weihnachten ansteht. Doch sie ist nicht schwach, redet sie sich ein.
Sie holt nochmals tief Luft und schaut auf die Köpenicker-Straße vor ihr. Berlin-Mitte ist trotz der Feierlichkeiten noch recht belebt. Diese Stadt schläft wohl wirklich nie. Sie setzt sich träge in Bewegung und schlendert planlos in Richtung der nahegelegenen UBahn-Station. Sie zündet sich ihre letzte Zigarette aus der Schachtel an, bläst den ersten Rauch in die Luft und wirft die Schachtel in den nächsten Mülleimer. Sie fragt sich, was sie an Heiligabend um 21 Uhr alleine noch machen könnte. Zurück in die Wohnung bleibt für sie ausgeschlossen. Zu sehr würde sie in ihr mentales Loch fallen. Sie hatte heute sowieso schon einen Rückfall. Es war wohl wirklich das schlechte Gewissen ihr selbst gegenüber, was sie auf die Straße getrieben hat.
Die Türen der U8 öffnen sich und sie lässt sich auf einen Stuhl fallen. Sie zieht ihren langen schwarzen Wintermantel noch enger um sich. Das schwarze Kleid, das sie anhat lässt sie trotz der milden Temperaturen frieren. Sie beobachtet drei junge Männer in den Sitzen ihr schräg gegenüber. Sie unterhalten sich lautstark.
Elisa hat nur ein Ziel: Kottbusser Tor. Sie tritt aus der Unterführung der UBahn und setzt sich in Bewegung. Sie hat keine Angst vor diesem Platz, sondern nur Respekt. Sie hebt ihren Blick nicht von der Straße, um Dealern nicht die Möglichkeit zu geben, sie anzusprechen. Natürlich wird sie trotzdem gefragt. Aber sie hat ihre Menge an Drogen heute schon deutlich überschritten. Von dem Glas Wein und den täglichen Zigaretten mal abgesehen. Und sofort schlägt das schlechte Gewissen zu.
Als sie die Tür zur Ritchie-Bar öffnet schlägt ihr der beissende Geruch von Alkohol in die Augen. "Hi Eli, schon vor der Familie geflüchtet oder was sonst treibt dich heute hierher?", hört sie es rufen. Sie hebt ihren Blick und sieht hinter die Bar. Wenigstens hat Fabienne heute Dienst, denkt sie sich. Das war ihre einzige Hoffnung und der einzige Anhaltspunkt wohlgemerkt. "Ne, ne, wohl eher die Möglichkeit auf den besten Gin Tonic der Stadt.", antwortet sie, als sie an der Bar angelangt ist und sich einen Barhocker herangezogen hat. "Das ist natürlich absolut verständlich. Komm gib mir mal deinen Mantel, ich werf den mal grad unter die Theke.", lacht Fabienne sie an, "Gin Tonic kommt danach gleich im Anschluss. Und ach ja, frohe Weihnachten oder so." "Ja ja dir auch besinnliche Weihnachten", murmelt Elisa zurück.
Elisa kennt Fabienne flüchtig. Sie hatte sie ein paar Mal im Fitnessstudio gesehen und sie wohnen fast gegenüber. Sie hatten ein paar Abende zusammen hier in der Bar verbracht. Eine Freundschaft war jedoch nicht entstanden. Fabienne war zu sehr aufgedreht und hipp für sie. Sie kannten sich und mochten sich. Und Elisa hatte nicht gelogen, der Gin Tonic von Fabienne war unschlagbar.
"Hier bitte, einmal Gin Tonic und vielleicht auch noch ein kleines Lachen dazu?". Elisa schaut auf, nimmt das Glas in Hand und verzieht ihre Lippen zu einem kurzen Schmunzeln. "Weihnachten ist einfach scheiße, aber danke für den Drink." "Weihnachten ist nur dann gut, wenn man arbeitet Eli. Feiertags- und Nachtzuschlag, besser gehts nicht.", antwortet Fabienne. Elisa lacht kurz auf, prostet Fabienne zu, die schon bei der nächsten Bestellung im Tun ist. Sie lässt ihren Blick durch die halbvolle Bar schweifen. Wenige sind alleine da, ob die sich auch alleine fühlen?
"Habt ihr auch Champagner?", fragt ein Mann, der sich gerade an die Bar gestellt hat, Fabienne. "Jo, haben wir, in einem Boot?". "Ja bitte, aber ohne diese scheiß Wunderkerzen da, einfach nur n Boot ohne Tam Tam. 6 oder 7 Gläser dazu. Kriegste das hin?". Fabienne nickt: "Machma. Wohin? An den Tisch da im Eck?" Der Typ nickt, bezahlt und wendet sich zum Gehen. Elisa folgt seinem Gang und ihr Blick fällt auf den Tisch, um den ein paar Männer stehen. Männerabend an Weihnachten denkt sie sich, auch nicht übel. Schade, dass die wenigen Freundinnen, die sie hat, alle mit ihrem Partner zuhause sitzen und wohl zuerst klassisch Bratwurst gegessen haben und jetzt Brettspiele spielen und zur Feier des Tages schlechten Sex haben. Sie nippt am Gin Tonic und schüttelt den Kopf. Ne, dann doch lieber in einer Bar in Kreuzberg sitzen und Weihnachten so feiern.
Das Champagnerboot erreicht die Ecke der Bar. Warum sie das weiß? Weil die erwachsenen Männer dies der ganzen Bar lautstark mitteilen. Boah, wie cool sie sich damit jetzt wohl fühlen. Wer trinkt denn bitte Champagner? Elisa, spricht sie mit sich selbst in Gedanken, heute ist ein Festtag, andere Menschen feiern.
"Hey Fabi, ich geh mal kurz rauchen. Ich stell mein Glas mal schnell hinter die Theke ok?" Fabienne nickt und Elisa steuert auf die Bartür zu.
Die kalte Luft erwischt sie und sie zieht ihr schwarzes Kleid über die Hüfte weiter nach unten Richtung Knie. Für wen hat sie sich denn heute bitte geschminkt und schick angezogen? Für sich selbst? Wahrscheinlich, aber seit wann strebt sie nach gesellschaftlichen Standards? Sie muss kurz den Kopf schütteln. Über ihre eigene Entscheidung. Aus ihrer kleinen Tasche sucht sie nach Zigaretten, doch fällt ihr nur ihr Handy und ihr Feuerzeug in die Hand. Scheiße, sie hat die letzte am Weg hierher ja weggeraucht. Sie war da noch so benebelt vom Gras, dass sie das in ihre Handlungsplanung nicht miteinbezogen hat. Sie rauft sich durch ihre kastanienroten Haare.
"Brauchst du Feuer?", hört Elisa. Sie dreht sich herum und blickt auf einen Mann neben ihr. Er trägt eine schwarze Pradajacke und eine hellblaue Jeans. Doch weiter kann sie sich nicht auf seine Kleindung konzentrieren, da ihr Blick sich in seinen blauen Augen festhaftet. "Also kein Feuer? Du rauchst Luft?", fragt der Fremde nach. "Ja ähm hab keine Kippen mehr, aber egal wollt sowieso aufhören.", räuspert sich Elisa und fährt sich erneut durch ihre Haare. "Magst welche? Müsstest du halt selber drehen.". Der Blonde streckt ihr seinen Drehtabak hin. "Ne passt schon", schüttelt Elisa den Kopf. "Ich kann auch für dich drehen, wa. Das mach ich aber nur für dich und, weil heute Weihnachten ist.", murmelt der Unbekannte mit einem Filter zwischen den Lippen undeutlich. "Ne lass stecken, ich steh nicht so auf Weihnachten.", antwortet sie kurz und wendet sich zum gehen. Sie hat keine Lust auf Smalltalk. Sie will sich lieber ihrem Gedankenstrudel und anbahnenden Depressionsschub alleine hingeben. Oder sie säuft sich die mentalen Probleme einfach weg.
"Ok, dann weil ich heute Geburtstag hab?", lacht der Blonde sie an. "Ne sorry, steh auch nicht so auf Geburtstage.", antwortet sie knapp. "Das du auf was stehst, ist wahrscheinlich auch nich einfach, wa. Naja, aber gratulieren könntest du mir schon, oder?", erwidert ihr der Unbekannte frech. Sie zieht die Tür der Bar auf, wirft ihre Haare über die Schultern, dreht sich um, verdreht die Augen und sagt: "Nur weil ich heute der festlichen Grundstimmung wegen so gut gelaunt bin, Happy Birthday und jetzt verpiss ich mich, weil ich kein Bock auf Smalltalk mit dir hab."
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Zigarettenpause [Felix Lobrecht FF]
RomanceElisa ist schwierig. Sie steckt in einer Phase voller Depressionsschübe, Gedankenstrudel und dem dauernden Gefühl von alleine sein. Und dann kommt ein Angebot in ihr Leben. Ungezwungener Geschlechtsverkehr, der ihr Selbstwertgefühl für wenige Stunde...