Leise sein

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"Und dann hat er wirklich das Projekt einfach abgesagt, kannst du dir das vorstellen? Von einen auf den anderen Tag sagt der ein halbe Million Euro Projekt ab und - puff - hatte ich nichts mehr zu tun. Ich konnte dann alte E-Mails sortieren, ablegen und löschen. Alter, das ist doch keine Arbeit. Für was hab ich dann bitte studiert? Da dachte ich wirklich, das Startup ist vorbei, bei so einem unfähigen Chef, aber nein. Sich rar machen, macht dann wohl doch einen interessant. Begreift ihr das? Der hat sich rar gemacht und schon sind Aufträge reingeflogen ohne Ende, weil sich rumgesprochen hat, dass wir nur eine gezielte Auswahl an Kunden betreuen. Und da wusste ich es... der Typ, also mein Chef, also unser Chef", plappert Sarah munter weiter und deutet zwischen sich und Elisa hin und her, "der kanns einfach. Der hat nicht nur die freie Marktwirtschaft verstanden, sondern auch grundlegende Prinzipien."

"Ähm Sarah, lass mal bitte den Wein weg. Worauf willst du bitteschön hinaus?", spricht Marius das aus, was sich Elisa seit der letzten Stunde denkt. Sarah ist so in ihrem Redefluss und Mitteilungsbedürfnis, dass sie von einem Thema zum nächsten springt. Sie quatscht einfach darauf los, ohne, dass sie eine Antwort oder eine Meinung von ihren Gegenübern erwarten würde, noch haben will.

"Ja, Schatz bitte. Keiner kann dir folgen. Außer Elisa vielleicht. Die nickt nämlich die ganze Zeit.", schließt sich nun auch Niklas an.

Elisa winkt ab: "Ne, ich checks auch nicht. Es stimmt, wir haben viele Aufträge und unser Chef kann sich aussuchen, was wir zuerst bearbeiten sollen. Aber ich denke, dass das von unserer guten Arbeit kommt und nicht, dass sich unser Chef rar gemacht hat." Elisa malt Anführungsstriche in die Luft.

"Doch genau darum gehts. Er nimmt nicht jeden dahergelaufenen Auftrag an. Willst du gelten, macht dich selten. Und das gilt nicht nur jetzt im Jobkontext."

"Sarah, was wirfst du dir bitte ein? Das sind Sprüche, die haben wir in der Unterstufe benutzt, als es darum ging, dass man sich für ein Mädchen interessant machen wollte, indem man auf SchülerVZ ihr nicht immer gleich geantwortet hat.", lacht Marius. Niklas steigt mit ein: "Ja, oder es könnte irgend so ein Dating-Tipp von irgendeinem schmierigen Typ sein, der selber keine abbekommt. Oder hätte ich dich vor 2 Jahren erobert, wenn ich dir nur alle drei Tage geantwortet hätte?"

Sarah rollt ihre Spaghetti auf ihrem Löffel zusammen und blickt skeptisch in die Runde: "Nein, aber, wenn du mir alle 2 Minuten geantwortet hättest, dann hätte ich mir auch gedacht: Puh, der Typ hats aber nötig."

Niklas antwortet irgendwas, doch Elisa schaltet ab. Sie sind seit fast 1 1/2 Stunden im Restaurant und ihre soziale Batterie entlädt sich allmählich. Der Tisch der vier steht in einer Ecke des Raumes und Elisa kann somit auf die schönen, mit Kacheln verzierten, Wände blicken. Das Licht ist gedämpft und sie genießt ihr Essen in vollen Zügen. Sie hat eine Trüffel-Auberginen Pasta bestellt. Die verschiedenen Gewürze aus der Küche dringen tief in ihre Nase. Die Gerichte sind von der italienischen Küche inspiriert, aber dennoch mit einem gewissen Etwas. Es läuft Italopop im Hintergrund und somit gibt Eros Ramazzotti "Las Cosa Mas Bella" gerade zum Besten. Gedanklich wünscht sie Elisa gerade an ein Haus an der italienischen Küste mit offenem Wohnbereich und Blick auf die untergehende Sonne.

Sie denkt über Sarahs Worte nach und das Gespräch am Tisch rückt noch weiter in den Hintergrund. Es stimmt, ihr Chef hatte eine spannende Strategie am Anfang des Startups gefahren. Er hatte vielversprechende Plakatkampangen abgesagt. So hatte sich in ihrer Bubble herumgesprochen, dass das Unternehmen nicht alles annehmen würde. Und überraschenderweise hatten sie im Zuge dessen viele Aufträge für verschiedene Illustrationen erhalten. Doch für Elisa ist das Rar machen "Kindergarten". In Bezug auf den Datingkontext ist es für sie ein Abturn. Doch sie kennt sich damit nicht aus. Sie datet selten und wenn dann, war es entweder für sie eine intellektuelle Enttäuschung oder es lief auf ein kurzes unbedeutendes Abendteuer hinaus. Ein paar Mal Sex und dann hatte sie sich nicht mehr gemeldet.

"Na sag schon Elisa, was denkst du dazu?", reißt Marius sie mit seinem sanften Blick aus ihren Gedanken. Elisa setzt ein verdutzt Gesicht auf und erwidert, dass sie gerade abgelenkt war. "Wir haben gerade darüber diskutiert, warum es Brokkoli nicht in der Dose gibt und, ob es da noch Forschungsbedarf gibt?" Elisa lacht auf: "Da versinkt man einmal kurz in seinen Gedanken und dann kommt ihr auf sowas. Und zu deiner Frage, ich denke, dass Tiefkühlbrokkoli ausreichend ist, oder?"

Sarah nickt, doch Nikolas wirft vehement ein: "Und wenn ich einen Brokkoli mit auf Reisen nehmen will, aber erst fünf Tage später oder so Bock darauf habe, dann ist er schlecht der Scheiß."

Elisa muss schmunzeln, sie liebt solche unverbindlichen Themen, die keinen Anspruch auf Ernsthaftigkeit haben. Sie ist zwar sowieso eher der stille Zuhörer, der sich seine eigenen Gedanken macht, aber das sind Themen, wo sie nicht nachts wach liegt und noch drüber nachdenkt.

Marius schiebt sich seine letzte Tortellini in den Mund und schmatzt in die Runde: "Wisst ihr, was mich ein Schüler letzte Woche im Unterricht gefragt hat: Ob es ein Synonym für das Wort Synonym gibt? Was willste da darauf antworten? Ich hab gesagt: google es."

"Ist wohl nicht einfach in der aufwachsenden Generation Deutschlehrer zu sein, oder?", meint Sarah.

"Definitiv nicht, die Kinder werden immer frecher. Jetzt hab ich eh das Glück, dass ich in Prenzl-Berg unterrichte und an einem Gymnasium. In Kreuzberg oder Neukölln würde ich mich aufhängen." Elisa muss lachen, sie könnte es nicht. Egal, in welchem Kiez.

Der nette Kellner kommt und räumt die Teller ab.

"Sorry, fürs unhöflich sein, aber ich würd gern draußen eine rauchen. Komm gleich wieder.", wirft Elisa in die Runde, steht auf und zieht sich ihre Pufferjacke über. Sie will sich gerade zum gehen wenden, als Sarah auf Marius zeigt, ihm kurz zu zwinkert und sagt: "Marius, du meintest doch auch, dass dir sehr warm sei, willst du nicht auch mal eben Luft schnappen, hm?"

Marius zieht seine Augenbrauen nach oben: "Ja, ich begleite dich Elisa, wenns für dich passt." Elisa verdreht die Augen, kneift ihre Augenbrauen zusammen und wirft Sarah einen fragenden und leicht angesäuerten Blick zu, nickt knapp in die Richtung von Marius und setzt sich weiter in Bewegung.

"Ne Zigarette nach dem Essen ist für dich Pflicht?", fragt Marius sie vor der Tür. "Als Pflicht würde ich es nicht beschreiben, aber es rundet für mich das Gericht ab. Und ohne dir nahe treten zu wollen, wollte ich auch gerade meine soziale Batterie ein bisschen aufladen, da kommt so ne Zigarettenpause immer recht." "Oh, sorry, das heißt ich hab für dich deine Pause gerade zerstört." Elisa verzieht ihre Lippen zu einem leichten Lächeln und klopft den verbrannten Tabak ab: " Ne, du nicht. Sarah mit ihrer komischen Aktion. Nervt.", erwidert sie und fährt sich mit ihrer freien linken Hand durch die Haare.

Ihr Blick fällt auf Marius. Sie ist nicht blöd, ihr ist die Intention von Sarah bewusst. Sarah würde sich wünschen, dass sie Marius eine Chance gibt, dass sie sich kennenlernen. Sie will sie verkuppeln, schon seit sie sich kennen. Doch Marius ist für Elisa zu anhänglich. Sie sind einmal einen Kaffee zu zweit trinken gegangen. Das Gespräch war zähfließend und danach hat ihr Marius jeden Tag geschrieben, bis er Elisas abweisende Art verstanden hat und es bleiben ließ. Elisa muss grinsen, vielleicht hat Sarah mit ihrem komischen Leitsatz "Willst du gelten, mach dich selten" doch recht. Nein, schüttelt Elisa gedanklich den Kopf, Marius ist einfach nicht ihr Typ. Er ist nett und lieb. Doch er entfacht kein Feuer in ihr. Er ist hübsch mit seinen braunen Haaren und braunen Rehaugen. Doch nett sein reicht für ernsthaftes Interesse von Elisas Seite dann doch nicht aus.

"Wie genießt du deine Zigarettenpause am liebsten?", versucht Marius verzweifelt ein Gespräch aufzubauen.

"Leise."

Zigarettenpause [Felix Lobrecht FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt