Kapitel 41 - erste Spur

2.6K 181 4
                                    

Schon seit gefühlten Stunden bahnte sich mein Auto seinen Weg über diverse Autobahnen bis hin zu eintönigen Landstraßen. Gähnend lehnte ich meinen Kopf an die Scheibe ohne überhaupt zu wissen, wohin wir fuhren. Ob wir uns noch weiter von zu Hause entfernten oder geradewegs darauf zu steuerten, war mir auch unklar, obwohl ich inständig zweiteres hoffte.

Ich hatte aufgegeben, Damien danach zu fragen, denn er wollte trotz mehrmaligen Versuchen meinerseits einfach nicht mit der Sprache rausrücken - wieso, wollte er mir ebenfalls nicht mitteilen. Ich warf meinen Kopf genervt in den Nacken und versuchte mein Glück ein zweites Mal.

"Wohin fahren wir?" Ich verdrehte die Augen und beobachtete ihn, wie er mit voller Konzentration versuchte, die richtige Ausfahrt zu finden. Der Anblick wie er sich immer wieder nach vorn beugte, nur um sich gleich wieder darauf enttäuscht in den Sitz zu werfen, wenn wir an einem Schild vorbei rauschten, ließ ein Lächeln auf meinen Lippen entstehen.

"Du kannst noch so oft fragen und mich mit diesem Blick ansehen und ich werde es dir trotzdem nicht sagen. Vielleicht ist die Enttäuschung dann nicht so groß, wenn sie nicht dort sind.", erwiderte er geduldig ohne mich dabei anzusehen.

Ich rutschte ein wenig tiefer in meinen Sitz und fragte spielerisch in meiner höchsten Tonlage: "Welchen Blick meinst du denn?" Seine weißen Zähne kamen zum Vorschein als er lächelte und er wandte den Blick für ein paar Sekunden von der Straße, um mich anzusehen.
"Na eben genau dieser.", säuselte er und nahm meine Hand liebevoll in seine. Mein Herz machte einen Satz und tausend kleine Teile zersprangen in mir nur um wild drauf los zu flattern. Die Röte stieg mir in die Wangen und ich wusste nicht einmal weshalb, diese Vertrautheit zwischen uns ließ mein Herz höher schlagen.

"Aber keine Sorge, wir sind gleich da. Ich muss nur die richtige Abzweigung finden." Er betonte das "nur", sodass ich mich insgeheim fragte, ob die Aufgabe wirklich so leicht war, wie er meinte. Schulterzuckend schloss ich die Augen und lauschte dem wohligen Vogelgezwitscher, dass um uns herum herrschte.
Schließlich muss er sie doch gefunden haben, denn wenig später, ich war gerade dabei einzunicken, stellte er den Motor ab. Vor uns ragten Bäume auf, die wie drohende Statuen den Blick auf einen kleinen Waldweg freigaben. Ich betete inständig dass unser "Ziel" sich in der Nähe befand, aber weit und breit waren nur Büsche, Bäume und Geröll zu erkennen. Wie sollte es auch anders sein.

Mit einem tiefen Seufzer schwang ich die Tür auf und folgte Damien, der bereits beinahe den Eingang des Waldes erreicht hatte. Die Luft war kühl und erfrischte meine Haut, die voller Müdigkeit steckte. Ich zog mir meine Jacke fester um meinen Hals und stapfte so schnell ich konnte durch über sumpfartigen Weg, jederzeit darauf achtend, nicht in eine der zahlreichen Pfütze zu treten.

Die Wohnung meines Vaters mit den Löchern auf dem Fußboden fiel mir wieder ein und ein Ziehen fuhr durch meine Brust. Wo war er nur? Ob er auch an mich dachte? Schwer schluckte ich und schüttelte den Kopf, als würden meine Sorgen dadurch einfach abfallen, wie loser Staub. Aber es ließ sich nicht so einfach verdrängen, die unerbittliche Angst blieb in meinem Unterbewusstsein.

Ich musste beinahe rennen um mit Damien Schritt zu halten, da er zielstrebig durch den Wald marschierte und keine Rücksicht auf mich nahm. Keuchend stieß ich nach einer Ewigkeit hervor: "Warte bitte kurz. Ich hab kürzere Beine als du!"
Ein verschmitztes Lächeln aufgesetzt, drehte er sich um, jedoch nicht ohne dabei weiterzulaufen. "Na komm, du warst es doch, die sich so beeilen wollte."
Ich verdrehte zum gefühlten hundertsten Mal meine Augen und stieß ihm in die Rippen als ich ihn erreichte.
Damien verzog sein Gesicht zu einem leidenden Gesichtsausdruck und hob sich gespielt schmerzerfüllt die Stelle, an der meine Faust ihn getroffen hatte. Ich schüttelte lächelnd den Kopf und zog ihn weiter.

"Tada!", rief er plötzlich freudestrahlend und schob ein paar Äste vor uns zur Seite. In meinem Blickfeld lag die alte Scheune, vor der ich mich immer gefürchtete hatte, als ich ein kleines Kind war. Ein kalter Schauer überzog mich auch jetzt bei dem Anblick der verrosteten Wände, dem abgestorbenen Efeu und dem Dickicht das sich ringsherum um das halb zerfallene Gebäude gebildet hatte.
"Du bist sicher, dass sie hier sind?", meine Stimme klang skeptisch und voller Vorsicht.
"Sicher nicht, aber es ist der erste Ort, der mir eingefallen ist. Ich und...Alec haben hier früher oft gespielt, es war eine Art Geheimversteck, weil es hier so schön gruselig ist. Er hat ständig darauf bestanden, her zu kommen.", kurz schien sein Blick fern, als würde er in Erinnerungen schwelgen, aber er fing sich recht schnell wieder.

"Du findest dieses alte Gebäude also gruselig?", scherzte ich.
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, der Gedanke dass Damien sich vor einer alten Scheune fürchtete, war zu köstlich. Ich mich zwar auch, aber immerhin war ich ein Mädchen und jünger als er. Trotzdem verschwieg ich es lieber, es tat seinem Ego ganz gut ein wenig geneckt zu werden.

"Früher, meinte ich.", er klang ein wenig beleidigt, vielleicht verletzt in seinem männlichen Stolz. Ich verkniff mir einen weiteren Kommentar, gab ihm aber als Entschuldigung einen flüchtigen Kuss, den er dankend annahm.

"Scheint aber alles still zu sein.", murmelte ich, als wir plötzlich hinter einem Busch stehen blieben.
"Der Schein kann trügen.", gab er zurück und duckte sich, ehe er mich mit ihm am Arm nach unten drückte.
"Der Plan lautet folgendermaßen: Ich werde hineingehen und mich umsehen. Falls dein Vater wirklich dort ist, werde ich mit Alec reden und ihn befreien."
Ich sah ihn abwartend an, darauf bedacht, dass er scherzte, aber offenbar meinte er es ernst. Todernst.

"Nein?!", rief ich, als ich als das realisierte und zwar so laut, dass Damien mich vorwurfsvoll ansah. "Ich werde dich das nicht alleine machen lassen!"
Ich erhob mich, ehe Damien etwas erwidern konnte und stapfte ohne genauere Überlegung auf die Scheune zu. Zufrieden mit meiner Willensstärke und meiner Durchsetzungskraft verschränkte ich die Hände vor der Brust. Aber dabei hatte ich außer Acht gelassen, dass mein Freund ein Vampir war und damit mir wortwörtlich immer einen Schritt voraus. Er stand urplötzlich vor mir und hielt mich fest, als ich vor lauter Schreck fast in ein paar Dornen gefallen wäre.

"Lass das, es ist unfair!" , meinte ich empört über diese Ungerechtigkeit, aber zugleich dankbar für seine haltende Hand. Denn aufgrund dieses umwerfenden Lächelns, dass er mir zuwarf, konnte ihm einfach nicht böse sein. Vielleicht war das genau meine Schwäche.

Ohne weitere Umschweife griff er mach meiner Hand und zerrte mich immer weiter auf die Scheune zu. Mein Durchsetzungsvermögen hatte also letztendlich doch nicht ganz versagt. Ich wich Büschen, Ästen und Pflanzen aus, die immer wieder versuchten meine Kleidung zu zerstören und wurde dabei von Damien, der mich unaufhaltsam weiterzog nur bedingt unterstützt. Wenn er einmal Gefallen an etwas gefunden hatte, war er einfach nicht mehr aufzuhalten. Das musste ich nun am eigenen Leib spüren.

Ein leises Klirren war zu hören und ich zuckte automatisch zusammen. Damien sah mich verräterisch an, doch als ich auf den Boden sah und erkannte, dass es sich um eine Glasflasche handelte, auf die ich getreten war, war es sein Part die Augen zu verdrehen. Ich wagte es nicht den Blick auf die Scheune vor uns zu werfen, das ängstliche Gefühl in meinen Bauch drohte sonst immer mehr Gestalt anzunehmen. Stattdessen blickte ich auf das Gras, durch das wir schlichen und das mit einem Mal von einer Kiesfläche ersetzt wurde. Erst als das Geräusch unserer Schritte auf den kleinen Steinen zu hören war, sah ich auf.

Das schäbige, dunkle Gebäude erschien mir vom ersten Moment an als das beste Versteck für eine Entführung. Für eine Entführung meines eigenen Vaters durch Alec. Alec - ich verspürte mit einem Mal einen gewaltigen Hass, aber konnte man eine Person überhaupt hassen, die man gar nicht kannte? Das war alles was ich denken konnte. Nach allem was mir Damien über ihn erzählt hatte, nach allem, was Alec vermutlich meiner Tante, meiner besten Freundin und jetzt meinem Vater angetan hatte, was sollte ich da sonst für diese Person empfinden als blanke Wut? Ich knirschte mit den Zähnen und ballte meine Hände zu Fäusten, bis ich die Tür vor uns erblickte.

Von der besagten 'Tür' war zwar ausschließlich der verbeulte Rahmen und eine Plastikfolie darüber bestehen geblieben, aber immerhin. Ich überließ Damien das Entfernen der Folie während ich krampfhaft meine Wut bekämpfte. Aber wenigstens vertrieb sie meine Angst somit fast vollständig. Sobald Damien den Weg freigelegt hatte, verschwand er ohne Zurückzublicken in der Dunkelheit. Ein letzte Mal sah ich mich noch um, für den Fall, dass uns jemand beobachten würde und folgte ihm.

_________________________________

DARK BLOODWo Geschichten leben. Entdecke jetzt