Die Lady stand neben ihm, als sie mit geübten, flinken Fingern ihre Flagge abnahm und stattdessen eine weiße, friedlich wirkende hisste. Er hatte darauf bestanden, dass sie wenigstens einen Teil ihrer gewöhnlichen Strategie beibehielten, wenn sie schon sonst jegliche Regeln über Bord warfen. Dieses plötzliche, ungeplante war eigentlich nicht sein Stil.
Bei ihm sollte immer alles ordentlich sein, bis ins aller kleinste Detail. Und dazu gehörten Wochen der Observierung des anzugreifenden Schiffs. Das, was sie hier taten, war der Style der Lady. Der nur so vor Risiken strotzte, mit Gefahren gespickt war wie mit den scharfen Glasscherben, die sie, ähnlich Wurfsternen, in ihrem Gürtel stecken hatte.
Spontan, volles Risiko und schnell. Vollendens gefiel es ihm nicht und das unangenehme Kribbeln im Nacken wurde er nicht los. Aber andererseits funktionierte auch zum ersten Mal seit zwei Wochen sein Gehirn wieder richtig und sein Körper vibrierte vor Adrenalin.
Es machte Spaß, unvorsichtig zu sein.
Mehr, als es sollte.
Und ganz nebenbei: Sie planten kein großes Ding. Nur ein bisschen Schmuck. Sie wollten weder das Schiff, noch seine Vorräte. Er wollte nur etwas, das die Langweile aus seinem Körper vertrieb, das ihn wieder ruhig schlafen ließ.
Einen Blick zu ihr hinüber riskierend, auf ihre Finger, die konzentriert arbeiteten, auf ihre ganze Haltung, die angespannt war, als sie die Knoten aufdröselte. Ihre Augen waren dunkel umrandet. Wie eine Art Flügel wirkten die Striche, die sie mit der Farbe, die er mit Kohle verglichen hätte, um ihre Augen gezeichnet hatte.
„Fühlt sich gut an, oder?", fragte sie mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen, als hätte sie seine Blicke gespürt, wobei sie noch immer auf den Knoten hinabsah. „Das Adrenalin", setzte sie hinzu, schmunzelnd.
„Ja...", antwortete er ein wenig nachdenklich. Die salzige Luft trocknete seine Lippen aus und vielleicht auch aus dem Grund, um noch einmal über seine Antwort nachdenken zu können, leckte er sich darüber.
„Ja, tut es. So, als ob man davon abhängig wäre."
Sie lachte leise.
„Genau so."
Der Wind fuhr ihm durch die Haare, zwang ihn, die Augen zusammenzukneifen und in seinen Ohren rauschte es. Über eben dieses Rauschen hinweg hörte er noch die Absätze der Lady über das Paket klappern. Zwei schnelle Schritte, ein Langsamer, drei schnelle Schritte. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, sie tanzte.
Tat sie aber nicht. Es war ein Tick, etwas, das sie nicht loswurde, das fast so etwas wie Tradition war, wobei sie es selbst nicht bemerkte. Sie tat es immer, immer, wenn sie nervös war, oder gespannt wie die Sehne eines Bogens, wenn sie das Adrenalin in jeder Zelle ihres Körpers fühlte, ihre Hände bebten.
Aber das nur so lange, bis sie den ersten Schlag ausführte, bis sich ihre Hand um den lederumwickelten Griff ihres Messers schlossen. Dann waren ihre Hände ruhiger, als die See an einem Tag ohne Wind, wenn die Oberfläche wie ein einziger, riesiger Spiegel wirkte.
Er stand etwas rechts neben dem Mast, die Arme vor der Brust verschränkt und mit leicht gehobener Augenbraue beobachtend, wie sie immer näher an das andere Schiff heranfuhren. An Bord dessen waren sie längst bemerkt worden.
Zwei Personen standen an der Reling, in ihre Richtung sehend, ansonsten war das Deck fast gespenstisch leer.
Irgendetwas stimmte nicht.
Das war...zu leicht?
Zu einfach?
Als ob sie mitten in eine Falle tappten, als ob über ihnen ein riesiges Netz schwebte, nur darauf wartend, dass sie dumm genug waren, einen Fehler zu machen, unvorsichtig zu sein. Jetzt aber war es längst zu spät, um all das noch abzublasen und zu überdenken und so wischte er seine Zweifel fort, hoffte, der pfeifende Wind möge sie ebenso rasch zerstreuen wie zuvor den Zigarrenrauch.
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surrender or die
FanfictionLangweile. Das kribbelnde Gefühl, das ihn Nächte lang nicht schlafen ließ, das Zittern seiner Finger. Es gab wenig, was Sebastian Moran mehr hasste und noch viel weniger, was ihn so direkt ins Verderben schicken konnte. Neugier brachte jeden irgendw...