Schreibwettbewerb

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Die Wörter waren Mut, Berg und Horizont

„Lydia! Lydia jetzt warte doch endlich!", Justus lässt nicht von mir ab und folgt mir durch das Dichte Gestrüpp, über enge Wurzelverflechtungen, unter den Kronen der Bäume entlang. Ich atme laut, ich atme schwer. Aber ich wage es nicht stehen zu bleiben. „Lydia! Mensch!" Justus packt mich unsanft an der Schulter und wirbelt mich herum. „Das ist die dümmste Idee die du je hattest!", lacht er und wird im gleichen Moment wieder ernst. Ich sage nichts und schaue ihm nur tief in die Augen. Von mir wird heute nichts mehr an dich kommen, Justus. „Bist du wenigstens vorbereitet?", fragt er nach Sekunden des Schweigens und wirft ein Auge auf meinen Rucksack. Du wird nichts, Justus, ich halte meine Klappe. „Hast du deinem Inhalator?" Ich drehe mich um und gehe. Er weiß ganz genau, dass ich ihn nicht dabei habe. Er weiß es, Justus weiß sowas immer. „Lydia, du machst mich verrückt, ehrlich. Lass mich wenigstens deinen Rucksack nehmen, damit du mir auf dem Weg nach oben nicht umkippst. Bitte." Ich schaue ihn erstmal stur an. Er ist so ein lieber. Eigentlich fühle ich mich bei beiden Möglichkeiten schlecht, ihm entweder nicht den Rucksack geben, oder doch, aber er sieht aus, als hätte er es lieber, mir mein Gepäck zu tragen, als dass er mich mich abmühen sehen würde. Deswegen gebe ich Justus wortlos mein Zeug und stapfe weiter, Aussicht nach einem weiteren dieser gelben Schilder, die dich nach ganz oben führen. Nach ganz oben auf den Berg. Ja, das will ich schaffen, ganz ohne mein Asthmaspray. Ich hasse es. Ich brauche es nicht. Ich kann auch ohne. Aber das muss ich mir erstmal selbst beweisen. 

Wir schweigen beide eine Weile, während wir uns über die Wurzeln balancieren. Nur mein keuchen ist zu hören, und irgendwelche Tiere in der Ferne. Keine andere Menschenseele weit und breit. Liegt wahrscheinlich daran, dass es schon dabei ist dunkel zu werden. Aber das war der beste Zeitpunkt, den Fängen meiner „Mutter" zu entfliehen. Eigentlich sit es Justus' Mutter. Er und ich sind also jetzt quasi Geschwister, seit ich von ihnen adoptiert wurde. Von Justus und seiner Helikoptermutter. Ganz nett die alte, aber sie hätte mich niemals auf diesen Berg gelassen. 

„Lydia?" Schweigen. „Lydia? Lydia hör mir zu. Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Du bist einfach- ich hab- man Lydia! Du bist die einzige Schwester die ich habe, okay? Ich sorge mich doch nur um dich!" Ich nicke. „Danke. Jetzt lass uns weitergehen. Ich will mir morgen den Sonnenaufgang von ganz oben anschauen. Und hey, hol mal die Kekspackung aus dem Rucksack." Endlich, es ist doch ganz angenehm, wieder mit Justus zu reden, das will ich mir nur selbst nie eingestehen. 

Es ist mitten in der Nacht und stockdunkel, als ich bemerke, dass ich Justus verloren habe. „Shit, shit, shit. Justus? Justus!", rufe ich in die Dunkelheit. Scheiße. Wie ist das passiert? Ich verbringe die nächsten Minuten damit, panisch nach Justus zu suchen und zu rufen, mit mehreren Hechelpausen mittendrin. Irgendwie zieht sich das ganze in die Länge. Ich werde ihn in der Dunkelheit nicht finden. Ich habe kein Licht. Ich habe quasi gar nichts, schließlich hat mein Gefährte mir den Rucksack abgenommen. Das einzige, was ich noch sehen kann, sind die Umrisse der Bäume und die gelben Schildchen. Die! Die sind es! Ich werde den Weg einfach weiter antreten. Justus ist die Art Person, die mich so gut kennt, dass er wissen wird, was ich machen werde. Er wird auch nach oben kommen, auf welchem Wege auch immer. Und ich werde oben auf ihn warten. Das ist zur Zeit das Sinnvollste, das ich machen kann. Sinnvoller als jetzt noch weiterzusuchen.

Ich bin halb am verrecken. Irgendwie bin ich eine kleine Erhöhung runtergeknallt und beim wieder hochklettern einen Asthmaanfall bekommen. Ich puste und atme panisch und versuche Luft in die Lunge zu bekommen. Beruhig dich, Lydia. Du brauchst dein Asthmaspray nicht, du hast es sowieso nicht dabei. Du schaffst das. Noch während ich maximal die Hälfte der gesunden Menge an Luft in meinen Körper gepumpt bekomme, stehe ich auf, und gehe weiter. Einfach weiter, weiter und weiter. Ich bin hier um zu gewinnen, mein Leben zu gewinnen. Scheiß auf Asthma, mein „Badass-Ich" spricht in mir und ich kann nicht anders als der Anweisung zu folgen. Weiter. Los

Ich bin oben. Ich. Ich! Ich bin oben! Jetzt gerade sieht man noch nichts, aber ich war gerade wieder bei einem der Wegweiser. Wenn man ganz nah dran geht, kann man die Schrift noch so gerade erkennen. Das Schild hat mir gesagt, noch fünf Minuten bis zur Spitze. Und da bin ich volles Risiko eingegangen und gerannt. Das letzte Stück war nichts, im Gegensatz zum Rest. Endlich.

Ich schaue, ich staune, ich weine. Ich habs geschafft. Ich sehe den Horizont farbenfroh vor mir. Ich bin stolz auf mich, auf mich und meinen Mut. Ich habe es geschafft.

Maybe_Greta

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 12, 2023 ⏰

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